2020 XL5: Zweiter und größter Erd-Trojaner entdeckt

Copyright: NOIRLab/NSF/AURA/J. da Silva
Barcelona (Spanien) – Astronomen und Astronominnen haben die Existenz eines weiteren Objekts bestätigt, das die Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne auf einem der sogenannte Lagrange-Punkte begleitet. Es ist erst der zweite bekannte sogenannte Erd-Trojaner. Diese Erdbegleiter sind für zukünftige Forschungsmissionen aber auch für die Suche nach außerirdischen Artefakten in Erdnähe von Interesse.
Wie das internationale Team um Toni Santana-Ros von den Universitäten Alicante und Barcelona aktuell im Fachjournal „Nature Communication“ (DOI: 10.1038/s41467-022-27988-4) berichtet, handelt es sich bei dem Objekt mit der Bezeichnung „2020 XL5“ vermutlich um einen Asteroiden von rund 1,2 Kilometern Größe. Aufgrund seiner geringen Helligkeit (Magnitude 22) ist diese aber nur mit den größten erdgestützten Teleskopen überhaupt sichtbar. „2020 XL5“ begleitet die Erde auf dem Lagrange-Punkt 4 (L4), einem Punkt auf der Erdumlaufbahn um die Sonne, der 60 Grad vor der Erde liegt. Die aktuellen Berechnungen zeigen, dass „2020 XL5“ unseren Planeten noch weitere 4.000 Jahre auf dieser Position begleiten wird.
Hintergrund
Bei den sogenannten Lagrange-Punkten (s. Titelabbildung) handelt es sich um fünf Punkte in Systemen zweier Himmelskörper (in diesem Fall Sonne und Erde), an denen sich die Gravitationskräfte der beiden Körper ausgleichen und an denen ein leichterer Körper (Asteroiden oder Raumsonden) antriebslos den massereicheren Himmelskörper (Sonne) umkreisen kann, wobei er dieselbe Umlaufzeit wie der masseärmere Himmelskörper (Erde) besitzt und sich seine Position relativ zu den beiden Körpern (Sonne und Erde) nicht ändert. Der Lagrange-Punkt 1 (L1) befindet sich zwischen Sonne und Erde. Auf L2 hat das neue Weltraumteleskop James Webb kürzlich seinen Dienst aufgenommen (…GreWi berichtete).
Entdeckt wurde „2020 XL5“ erstmals im Dezember 2020 anhand von Beobachtungen mit dem Pan-STARRS1 auf Hawaii. Anhand von Folgebeobachtungen mit weiteren Teleskopen, darunter das Lowell Discovery Telescope, das SOAR-Teleskop in Chile, und der Optical Ground Station der Europäischen Raumfahrtagentur ESA auf Teneriffa, konnte der Trojaner nun bestätigt werden. Bereits 2010/11 hatten Astronomen den ersten bekannten Erd-Trojaner (2010 TK7) auf L4 entdeckt. Hierbei handelt es sich um einen Asteroiden von rund 300 Metern Durchmesser (…GreWi berichtete).
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Hintergrund
Obwohl Objekte auf den Lagrange-Punkten die Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne über lange Zeiträume begleiten können, ist ihre Entdeckung nicht ganz so einfach, wie man es sich vielleicht vorstellen könnte. Der Grund hierfür liegt in dem Umstand, dass die beiden Lagrange-Punkte 4 und 5 erst in der Dämmerung ins Blickfeld von erdgestützten Teleskopen gelangen und nur selten weit über den Horizont steigen. Selbst für Raumsonden ist es schwer, dortige Trojaner zu entdecken. So passierte die NASA-Mission „OSIRIS-Rex auf ihrem Weg zum Asteroiden Bennu den Lagrange-Punkt 4 – ohne jedoch die beiden bislang bekannten Trojaner zu sehen. Vor diesem Hintergrund vermuten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, dass noch viele weitere, meist aber kleinere Erd-Trojaner unentdeckt existieren. Zum Vergleich, auf den Lagrange-Punkten des Jupiter sind tausende Trojaner bekannt.

Copyright: NOIRLab/NSF/AURA/J. da Silva
Da es sich bei den beiden bislang bekannten Erd-Trojanern vermutlich um eingefangene Asteroiden aus dem Asteroidengürtel handelt, sind diese ein interessantes Ziel für zukünftige Forschungsmissionen vor Ort. Zuvor, so gibt zumindest Santana-Ros zu bedenken, sollte aber vielleicht die Entdeckung weiterer Trojaner an L4 abgewartet werden, um eine solche Mission so ertragreich wie möglich zu gestalten.
Neben einer rein astronomischen Forschungsmission sind Erd-Trojaner aber auch aus Sicht der Suche nach außerirdischen Artefakten in Erdnähe von besonderem Interesse: Erst im vergangenen Jahr forderten SETI-Forschende eine gezielte Suche nach außerirdischen Artefakten und Beobachtungs-Sonden im Sonnensystem (…GreWi berichtete).
Vor dem Hintergrund, dass wir selbst derzeit an Konzepten für die Erforschung unseres nächstgelegenen Nachbarsystems (Proxima Centauri / Alpha Centauri ) arbeiten (…GreWi berichtete), sei es “nicht unangemessen zu glauben, dass andere Spezies möglicherweise während einer oder mehreren dieser engen Begegnungen Sonden zur Erforschung unseres Sonnensystems ausgesandt haben könnten“, erläuterten Hector Socas-Navarro vom Instituto de Astrofısica de Canarias, Jacob Haqq-Misra vom Blue Marble Space Institute of Science in Seattle, Jason T. Wright vom Department of Astronomy&Astrophysics an der Pennsylvania State University, Ravi Kopparapu vom Goddard Space Flight Center der NASA, James Benford vpn Microwave Sciences und Ross Davis von der Indiana University via ArXiv.org und im Fachjournal „Acta Astronautica“ (DOI: 10.1016/j.actaastro.2021.02.029). Zwar sei die Idee als solche nicht neu, doch seien bislang nur wenige Suchen nach solchen Objekten durchgeführt worden.
Deshalb schlagen die Experten nun auch vor, erdnahe Objekte (near-Earth objects = NEOs) gezielt nach dortigen Artefakten oder sogar sogenannten “Lurkers” (also gezielt auf einem Himmelskörper stationierten Beobachtungssonden) abzusuchen. Zwar seien schon viele NEOs aus der Ferne beobachtet, ihre Oberflächen aber nur sehr selten und im Sinne von SETI sogar noch nie gezielt untersucht worden. Die Chance, auf erdgerichtete „Lurkers“ zu stoßen, sehen die Autoren besonders auf dem Mond und Erdtrojanern – also Objekten, die die Sonne auf der gleichen Bahn wie unsere Erde umkreisen, unserem Planeten aber auf den Librations- oder Lagrange-Punkten mit einem mittleren Abstand von 60° auf dem Lagrange-Punkt L4 vorauseilen beziehungsweise nachfolgen (L5) – besonders hoch, sollten solche künstlichen Objekte tatsächlich wie angedacht existieren (…GreWi berichtete).
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