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5400 Jahre alt: Weltweit älteste Radspuren in Norddeutschland gefunden
Andreas Müller
3 min
Die beiden dunklen linearen Verfärbungen sind die Wagenspuren, die die Forscherinnen und Forscher in einem der Langbetten (LA3) der Flintbeker Sichel entdeckt haben. Copyright/Quelle: Dieter Stoltenberg / CAU
Kiel (Deutschland) – In einem der größten Megalith-Friedhöfe der Jungstein- und Bronzezeit Europas, dem Gräberfeld bei Flintbek nahe Kiel, haben Archäologen den weltweit frühesten Nachweis für die Nutzung von Rädern und Wagen in Form von Radspuren entdeckt. Die Technologie wurde somit vermutlich nicht erstmals im Nahen Osten erfunden, wie bislang angenommen.
Wie das Team um Professorin Doris Mischka von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) aktuell in der Publikation „Das Neolithikum in Flintbek. Eine feinchronologische Studie zur Besiedlungsgeschichte anhand von Gräbern“ berichtet, konnten die Wagenspuren auf etwa 3400 vor unserer Zeitrechnung (v. u. Z.) datiert werden,
Hintergrund
Ansicht von Südwesten auf das Langbett Flintbek LA 3. Es besteht aus einer Ansammlung mehrerer Dolmen und Einzelgräber. Im Vordergrund ist ein Einzelgrab zu sehen. Es ist mit einer Bodenpflasterung aus flachen Steinplatten ausgestattet und der Rand besteht aus vielen Steinen, zwischen denen ursprünglich eine zeltartige Holzkonstruktion fußte. Diese spezifische Architektur ist nach einem Fundplatz in Dänemark als Typ Konens Høj benannt. Copyright/Quelle: Dieter Stoltenberg / CAU
Auf dem auch als „Flintbeker Sichel“ bekannten Gräberfeld bei Flintbek reihen sich Dutzende Grabmonumente aus der Jungstein- und Bronzezeit sichelförmig aneinander. Es handelt sich um das größte frühgeschichtliche Gräberfeld Europas. Archäologinnen und Archäologen fanden dort bei Ausgrabungen sieben sogenannte Langbetten, steinzeitliche Großsteingräber sowie 14 Grabhügel. Mit Hilfe von Radiokohlenstoffdatierungen konnten sie nachweisen, dass das aufgrund seiner Form als Flintbeker Sichel bezeichnete Gebiet bereits vor etwa 5800 Jahren für erste Bestattungen genutzt wurde. Zu dieser Zeit erbauten die Menschen zunächst die Langbetten, die sie durch sukzessive Anbauten stetig vergrößerten. Während der frühen Phase errichteten sie zudem Grabhügel mit kleinen Steinkammern, sogenannte Dolmen.
500 Jahre später, um 3300 v. u. Z., verändert sich die Architektur. Man begann, die Toten in Ganggräbern zu bestatten, großen Steinkammern mit ebenfalls aus Stein gebauten Zugängen, die fortan für viele Jahrhunderte als kollektive Bestattungsorte dienten. Mischka nimmt an, dass hier Familien aus verschiedenen Gebieten jeweils ihren eigenen Begräbnisplatz hatten. Die Flintbeker Sichel wäre somit das rituelle Zentrum für die ganze Region. (Quelle: CAU)
Neben der Vielzahl der Gräber sorgen nun auch die bei den archäologischen Feldarbeiten zutage getretenen, zunächst unscheinbar wirkenden, braunen Linien im Boden für Aufsehen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten fest, dass die Breite dieser Verfärbungen genau mit der Breite von jungsteinzeitlichen Holzrädern übereinstimmt, in unter anderem in den Mooren Norddeutschlands gefunden wurden. „Weiterhin entsprechen die Abstände der beiden Rillen zueinander genau der Breite jungsteinzeitlicher Wagenachsen.“
So wie auf dem Titelbild der Publikation, das die Arbeiten während des Grabbaus darstellt, könnte der von Rindern gezogene Wagen ausgesehen haben, der die Spuren auf dem Flintbeker Gräberfeld hinterlassen hat (Illu.). Copyright/Quelle: Susanne Beyer / CAU
Für die Forschenden handelt es sich dabei um einen eindeutigen Beweis dafür, dass für den Bau der Strukturen in der Flintbeker Sichel die damals neue Technologie der Nutzung von Rädern und Wagen zum Einsatz kam – und das bereits um 3400 v. u. Z.
„Damit findet sich in Flintbek der früheste Nachweis dieser Innovation, die in vielen anderen Regionen Europas und Südwestasiens erst im späten vierten Jahrtausend v. u. Z. anzutreffen ist. Die Technologie wurde somit vermutlich nicht im Nahen Osten erfunden, wie bislang angenommen.“
Auch der Kieler Archäologe Professor Johannes Müller, Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Schwerpunktprogrammes (SPP) „Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung. Zur Entstehung und Entwicklung neolithischer Großbauten und erster komplexer Gesellschaften im nördlichen Mitteleuropa“ und Herausgeber der Publikationsreihe zeigt sich von der Entdeckung beeindruckt: „Es ist eindeutig, dass die Menschen in Mitteleuropa ebenso früh wie jene des Nahen Osten hochtechnologisiert waren“, erläutert er. „Das Ergebnis rückt Flintbek in das Zentrum einer der entscheidenden Innovationen der Menschheit.“
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