Älteste und größte megalithische Monumentalanlage in Ostafrika entdeckt

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Die megalithische Monumentalanlage Lothagam North in Kenia.

Copyright: Hildebrand et al. /PNAS, 2018

Lothagam North (Kenia) – In der Nähe des Turkanasees in Kenia haben deutsche und US-Archäologen eine megalithische Grabanlage monumentalen Ausmaßes entdeckt. Mit einem Alter von rund 5.000-4.300 Jahren ist es das älteste Bauwerk sonst nomadisch lebender Hirten und widerspricht damit bisherigen Vorstellungen zu prähistorischen Monumentalbauten.

Wie das Team um Elisabeth Hildebrand von der Stony Brook University und Anneke Janzen vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte aktuell im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS, DOI: 10.1073/pnas.1721975115) berichten, entstand die Anlage zu einer Zeit, als ein Klimawandel die nomadischen Viehzüchter aus der Sahararegion Richtung Süden und Osten vertrieb, wo sie – wie schon zuvor in der Sahara, nun begannen, entsprechende – nun jedoch deutlich größere – Ritualmonumente zu errichten.

Die jetzt beschriebene Anlage umfasst ein Gelände von 1.400 Quadratmetern, auf der sich neun Steinkreise und sechs Hügelgräber um eine rund 30 Meter durchmessende große Steinplattform gruppieren. Damit handelt es sich nicht nur um den größte, sondern auch zugleich ältesten megalithischen Monumentalbau in Ostafrika. In die freigelegte zentrale Felsenplattform wurden dann hunderte dicht beieinanderliegende Gruben gegraben, in denen im Laufe der Jahrhunderte schätzungsweise 580 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – bestattet wurden. Danach wurden die Gräber aufgefüllt und zu einem flachen mit gleichgroßen Basaltkieseln bedeckten Hügel aufgearbeitet und mit aus einigen Kilometern Entfernung stammenden Steinsäulen be- und umbaut.


Beispiele der zahlreichen Schmuckfunde aus den Gräbern von Lothagam North.

Copyright/Quelle: Carla Klehm / Hildebrand et al. /PNAS, 2018.

Die Toten selbst waren zudem reich mit persönlichem Grabschmuck aus Perlen oder Steinen um Hals, Hüfte und Knöcheln oder auch mit Armreifen und Ringen aus Nilpferdelfenbein und Ketten aus Nilpferdzähnen und sonstigen Anhängern beschmückt.

Ein zu einer zoomorphen Form gearbeitetes Steinplättchen.
Copyright/Quelle: Copyright: Katherine Grillo / Hildebrand et al. /PNAS, 2018

Besonders interessant sei der Umstand, dass sich anhand des Totenschmucks keine Hinweise auf verschiedene Klassen oder soziale Unterschiede unter den Beigesetzten finden: „Dieser Schmuck war nicht auf eine Altersgruppe, ein Geschlecht oder einen Gräbertyp beschränkt“, Das spreche dafür, dass diese Verzierungen die Norm waren, so die Forscher. Auch die Anordnung der Gräber oder die Art der Bestattungen verweisen laut den Archäologen auf keine sozialen Hierarchien. Offenbar handelte es sich also bei den Erbauern von Lothagam North um Menschen, die in einer egalitären Gemeinschaft – ohne Eliten oder Schichten – lebten.

Damit liefere die Anlage ein Beispiel für einen Monumentalbau, der nicht eindeutig mit der Ausprägung sozialer Hierarchien verknüpft sei, so Hildebrand. „Es handelte sich also ganz offenbar nicht um einen Bau zur Machtdemonstration einer Elite, sondern ein Ritual- und Grabplatz für alle.“

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Hinzu wurde die monumentale Anlage von nomadisch lebenden Hirten errichtet. Auch das galt bislang unter Archäologen und Historikern als unwahrscheinlich bis unmöglich. „Diese Entdeckung stellt frühere Vorstellungen zu Monumentalität in Frage“, kommentiert Elizabeth Sawchuk und führt dazu weiter aus „Die Abwesenheit von Beweisen dafür, dass Lothagan North eben nicht einhergehend mit der Entstehung von Hierarchien entstand, zwingt uns unsere bisherigen Vorstellungen von sozialem Wandel zu hinterfragen.“

Der Umstand, dass die Anlage von frühen, eigentlich nomadisch lebenden Hirten mit einer mehr oder weniger egalitären Gesellschaftsstruktur errichtet wurde, stellt die bisherige Vorstellung, dass für derartige Anlagen (wie sie in Form von Göbekli-Tepe, Stonehenge oder Goseck etwa zeitgleich weltweit errichtet wurden) die hierzu notwendige logistische und koordinierende Gliederung, hierarchisch gegliederter Gesellschaftsformen notwendig waren, in Frage.


Luftbild der Steinkreise und Grabhügel von Lothagam North.

Copyright: Katherine Grillo / Hildebrand et al. /PNAS, 2018

Die Wissenschaftler selbst vermuten, dass es die schwierigen Lebensumstände der in die Region neu eingewanderten Hirten waren, die sie zu den für den Bau der Anlage notwendigen gemeinsamen Anstrengungen veranlasste. „Hier angekommen, waren sie nicht nur mit neuen und sich wandelnden Umweltbedingungen (zur fraglichen Zeit gingen die Regenfälle rund um den See um bis zu 50 Prozent zurück), sondern auch mit den bereits am See ansässigen Fischer-Jäger-und Sammler-Kulturen konfrontiert. (…) Die Monumente könnten ihnen also als Versammlungsorte gedient haben, an denen sie ihre sozialen Bindungen erneuerten und den Zusammenhalt der Gemeinschaft stärkten“, so Janzen. „Der Informationsaustausch und die Interaktion während der gemeinsamen Rituale könnte den mobilen Hirten zudem geholfen haben, sich in der sich schnell um sie herum verändernden Umwelt zurechtzufinden.“

„Lothagam North ist der früheste monumentale Ort in Ostafrika“, fasst Hildebrand abschließend zusammen: „Diese Entdeckung zwingt uns, erneut darüber nachzudenken, wie wir soziale Komplexität und die Motivation definieren, die Menschengruppen dazu bringt, öffentliche Architektur zu errichten.“

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