ALMA-Teleskop findet entferntes Ebenbild der Milchstraße

Das Licht der Galaxie, SPT0418-47, wird von einer nahen Galaxie gravitativ verzerrt und erscheint am Himmel als nahezu perfekter Lichtkranz. Copyright: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), Rizzo et al.
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Das Licht der Galaxie, SPT0418-47, wird von einer nahen Galaxie gravitativ verzerrt und erscheint am Himmel als nahezu perfekter Lichtkranz. Copyright: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), Rizzo et al.

Das Licht der Galaxie, SPT0418-47, wird von einer nahen Galaxie gravitativ verzerrt und erscheint am Himmel als nahezu perfekter Lichtkranz.
Copyright: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), Rizzo et al.

Garching (Deutschland) – Mit der Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) haben Astronomen eine extrem weit entfernte und daher sehr junge Galaxie entdeckt, wie sie unserer Milchstraße überraschend ähnlichsieht. Ihre Struktur widerspricht Theorien zur Entstehung und Entwicklung von Galaxien.

Wie die Astronominnen und Astronomen um Francesca Rizzo, Doktorandin vom Max-Planck-Institut für Astrophysik en der Europäische Südsternwarte (ESO) aktuell im Fachjournal „Nature“ (DOI: 10.1038/s41586-020-2572-6) berichten, ist die Galaxie ist so weit entfernt, dass ihr Licht mehr als 12 Milliarden Jahre gebraucht hat, um uns zu erreichen: „Wir sehen sie so, wie sie war, als das Universum gerade einmal 1,4 Milliarden Jahre alt war.“ Außerdem sei die Galaxie überraschend wenig chaotisch, was wiederum jenen Theorien widerspricht, laut denen alle Galaxien im frühen Universum turbulent und instabil waren. „Diese unerwartete Entdeckung stellt unser Verständnis der Entstehung von Galaxien in Frage und gibt uns neue Einblicke in die Vergangenheit unseres Universums. Dieses Ergebnis stellt einen Durchbruch auf dem Gebiet der Galaxienentstehung dar und zeigt, dass die Strukturen, die wir in nahen Spiralgalaxien und in unserer Milchstraße beobachten, bereits vor 12 Milliarden Jahren vorhanden waren“, so Rizzo.

Die untersuchte Galaxie mit der Bezeichnung „SPT0418-47“ scheint zwar keine Spiralarme zu haben, weist aber mindestens zwei für unsere Milchstraße typische Merkmale auf: eine rotierende Scheibe und einen Bulge, die große Ansammlung von Sternen, die dicht um das galaktische Zentrum gepackt sind. Dies ist das erste Mal in der Geschichte des Universums, dass ein Bulge so früh in der Geschichte des Universums beobachtet wurde, so dass SPT0418-47 das am weitesten entfernte Ebenbild der Milchstraße ist.

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„Die große Überraschung war die Feststellung, dass diese Galaxie tatsächlich nahen Galaxien recht ähnlich ist, was den Erwartungen aus den Modellen und früheren, weniger detaillierten Beobachtungen widerspricht“, erläutert Mitautor Filippo Fraternali vom Astronomischen Institut Kapteyn der Universität Groningen in den Niederlanden. „Im frühen Universum befanden sich junge Galaxien noch im Entstehungsprozess. Daher erwarteten die Forscher, dass sie chaotisch sind und nicht die ausgeprägten Strukturen aufweisen, die für entwickeltere Galaxien wie die Milchstraße typisch sind.“

Die Untersuchung entfernter Galaxien wie SPT0418-47 gilt den Forschern als grundlegend für unser Verständnis der Entstehung und Entwicklung von Galaxien: „Diese Galaxie ist so weit entfernt, dass wir sie sehen, als das Universum nur 10 Prozent seines heutigen Alters hatte, weil ihr Licht 12 Milliarden Jahre brauchte, um die Erde zu erreichen. Wenn wir sie studieren, gehen wir in eine Zeit zurück, in der diese Baby-Galaxien erst am Anfang ihrer Entwicklung standen.“

Da diese Galaxien so weit entfernt sind, sind detaillierte Beobachtungen selbst mit den leistungsfähigsten Teleskopen fast unmöglich, da die Galaxien klein und lichtschwach erscheinen. Dieses Hindernis überwand das Team, indem es eine nahe Galaxie als starkes kosmisches Vergrößerungsglas benutzte – ein Effekt, der als „Gravitationslinse“ bekannt ist und es mit ALMA erlaubt, in die ferne Vergangenheit in noch nie dagewesener Detailgenauigkeit zu blicken. Bei diesem Effekt verzerrt und krümmt die Gravitationskraft der nahen Galaxie das Licht der fernen Galaxie und lässt sie verzerrt und vergrößert erscheinen. Die gravitativ vergrößerte, entfernte Galaxie erscheint dank ihrer nahezu exakten Ausrichtung als ein nahezu perfekter Lichtkranz um die nahe Galaxie (siehe Abb.).

Die Forschungsgruppe rekonstruierte die wahre Form der fernen Galaxie und die Bewegung ihres Gases aus den ALMA-Daten mit Hilfe einer neuen computergestützten Modellierungstechnik. „Als ich das rekonstruierte Bild von SPT0418-47 zum ersten Mal sah, konnte ich es nicht glauben: Hier öffnete sich eine wahr Schatztruhe“, erinnert sich Rizzo.

Rekonstruktion der tatsächlichen Form der entfernten Galaxie (Illu.). Copyright: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), Rizzo et al.

Rekonstruktion der tatsächlichen Form der entfernten Galaxie (Illu.).
Copyright: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), Rizzo et al.

„Was wir gefunden haben, war ziemlich rätselhaft; obwohl sich Sterne mit hoher Geschwindigkeit bilden und daher hochenergetische Prozesse ablaufen, ist SPT0418-47 die am stärksten geordnete Galaxienscheibe, die je im frühen Universum beobachtet wurde“, erklärt Mitautorin Simona Vegetti, ebenfalls vom Max-Planck-Institut für Astrophysik. „Dieses Ergebnis ist ziemlich unerwartet und hat wichtige Auswirkungen darauf, wie sich nach unseren Vorstellungen Galaxien entwickeln.“

Die Astronomen und Astronominnen merken jedoch an, dass SPT0418-47 zwar eine Scheibe und andere Merkmale aufweist, die denen der heutigen Spiralgalaxien ähneln, aber sie erwarten, dass sie sich zu einer Galaxie entwickeln wird, die sich von der Milchstraße auch stark unterscheidet. Damit reiht sie sich dann in die Klasse der elliptischen Galaxien ein, einer anderen Art von Galaxien, die neben den Spiralgalaxien heute das Universum bevölkern.

„Diese unerwartete Entdeckung deutet darauf hin, dass das frühe Universum vielleicht nicht so chaotisch ist, wie man einst glaubte, und wirft viele Fragen darüber auf, wie sich eine gut geordnete Galaxie so kurz nach dem Urknall gebildet haben konnte“, so die Autoren der Studie.

Die ALMA-Entdeckung folgt auf die im vergangenen Mai angekündigte Entdeckung einer massereichen rotierenden Scheibe, die in ähnlicher Entfernung gesehen wurde. SPT0418-47 kann dank des Linseneffekts in feineren Details beobachtet werden und hat zusätzlich zu einer Scheibe einen Bulge, was sie unserer heutigen Milchstraße noch ähnlicher macht als die zuvor beobachtete Galaxie.

In zukünftige Studien, wollen die Wissenschaftler dann auch mit dem Extremely Large Telescope der ESO versuchen, herauszufinden, wie typisch diese „Baby“-Scheibengalaxien wirklich sind und ob sie im Allgemeinen weniger chaotisch sind als vorhergesagt. Dies eröffnet den Astronomen neue Wege, um herauszufinden, wie sich Galaxien entwickelt haben.




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Quelle: ESO

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