Wien (Österreich) – Anhand alter DNA konnte ein internationales Archäologieteam nun aufzeigen, dass die Ureinwohner der auch als Osterinsel bekannten Insel Rapa Nui schon lange Zeit vor der Entdeckung des polynesischen Eilands durch die Europäer Kontakt mit indigenen Amerikanern hatten – vielleicht sogar vor Kolumbus. Zudem spricht auch die aktuelle Studie gegen die bisher populäre Theorie, wonach die Rapanui-Kultur einem selbstverursachten Ökozid zum Opfer fiel.
Wie das Team um Víctor Moreno-Mayar von der Universität Kopenhagen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Lausanne und Wien aktuell im Fachjournal „Nature“ (DOI: 10.1038/s41586-024-07881-4) berichten, zeigen die Ergebnisse einer Genom-Analyse von 15 Rapanui-Individuen, die 1670 und 1950 lebten, dass die Rapanui schon vom 13. zum 15. Jahrhundert Kontakt mit indigene Menschen aus Amerika hatten. Die Überreste dieser 15 Personen werden derzeit noch im Pariser Musée de l’Homme aufbewahrt, sollen zukünftig aber wieder nach Rapa Nui zurücküberführt werden.
Ergebnisse belegen Kontakte mit und nach Amerika
Die nun vorgestellte Genomanalyse zeigt, dass etwa zehn Prozent des Rapanui-Genpools von Native Americans stammt. Vor allem aber zeigen den Genomdaten nun, dass beide Populationen bereits vor der Ankunft der Europäer auf der Insel und in Amerika aufeinandertrafen. Damit findet die Studie auch eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob die Rapanui selbst jemals Amerika erreicht hatten, also zu Transpazifikfahrten in der Lage waren.
„Anhand der genetischen Daten und der Radiokarbondaten derselben Knochen konnten wir berechnen, dass der Kontakt zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert und damit vor der Ankunft der Europäer stattgefunden haben muss“, erläutert der für die Modellierung des Aufeinandertreffens verantwortliche Archäologiewissenschaftler Tom Higham von der Universität Wien.
Amerikafahrten sogar noch vor Kolumbus?
Zwar könne die Studie nicht sagen, wo genau dieser Kontakt stattfand. Allerdings könnte das Analyseergebnis nahelegen, dass die Rapanui Amerika noch vor Christoph Kolumbus erreichten. „Viele dachten auch, dass die heutigen Rapanui teils von Native Americans abstammen, weil die Europäer Native Americans auf die Insel brachten“, erläutert Víctor Moreno-Mayar von der Universität Kopenhagen und führt dazu weiter aus: „Die Daten deuten jedoch stark darauf hin, dass sich Rapanui und amerikanische Ureinwohner bereits Jahrhunderte vor der Ankunft der Europäer auf Rapanui oder in Amerika begegneten und vermischten. Wir glauben, dass dies bedeutet, dass die Rapanui zu noch gewaltigeren Reisen über den Pazifik fähig waren als bisher angenommen.“
Eine weitere Fragestellung der aktuellen Untersuchung war die nach dem lange Zeit vermuteten Bevölkerungskollaps durch „Ökozid“ in den 1600er.
Der falsche Mythos vom Ökozid der Rapanui
Bei der zweiten überprüften Theorie geht es um einen vermuteten Bevölkerungskollaps durch „Ökozid“ in den 1600er-Jahren. Laut dieser (mittlerweile veralteten) Vorstellung führten die damals rund 15.000 Rapanui ökologische Veränderungen herbei, die zu einer Periode der Ressourcenknappheit, zu Hungersnöten, Kriegen und sogar Kannibalismus führten und schließlich in einem katastrophalen Bevölkerungskollaps gipfelten.
Um diese These zu überprüfen, untersuchten die Forschenden ebenfalls die alten Genome der Rapanui-Individuen in der Erwartung, eine genetische Signatur eines Populationskollaps etwa in Form eines plötzlichen Rückgangs der genetischen Vielfalt zu finden.
Allerdings gibt es in den Gendaten keine solchen Hinweise auf einen derartigen Kollaps der Population im 17. Jahrhundert. „Unsere genetische Analyse zeigt, dass die Population vom 13. Jahrhundert bis zum Kontakt mit den Europäern im 18. Jahrhundert stabil wächst. Diese Stabilität ist von entscheidender Bedeutung, denn sie widerspricht direkt der Vorstellung eines dramatischen Bevölkerungskollaps vor dem Kontakt“, sagt Bárbara Sousa da Mota von der Universität Lausanne und weitere Erstautorin der Studie.
Mit ihrer genetischen Analyse sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur die Theorie des Ökozids widerlegt, sondern auch die Widerstandsfähigkeit der Rapanui-Bevölkerung unterstrichen, die über mehrere Jahrhunderte hinweg bis zu den kolonialen Unterbrechungen, die der Kontakt mit den Europäer nach 1722 mit sich brachte, Umweltprobleme sogar bewältigte.
Erzählung vom Ökozid folgte vermutlich kolonialer Narrative
Moreno-Mayar vermutet, „dass die Idee des Ökozids als Teil eines kolonialen Narrativs entstanden ist. Diese Vorstellung besagt, dass dieses angeblich primitive Volk nicht in der Lage war, mit seiner Kultur oder seinen Ressourcen umzugehen, und dass dies fast zu seinem Untergang geführt hätte. Aber die genetischen Daten zeigen das Gegenteil. Es gibt keine Beweise für einen Bevölkerungszusammenbruch vor der Ankunft der Europäer auf der Insel, wir können diese Vorstellung jetzt ad acta legen.“
Damit bestätigt die aktuelle Studie jüngste Erkenntnisse von Untersuchungen von Forschenden um Dr. Dylan Davis von der Columbia Climate School. Im Fachjournal „Science Advances“ zeichneten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erst im vergangenen Juni das Szenario einer Bevölkerung auf Rapa Nui, die nie jene Populationsgröße erreicht habe, auf der fast sämtliche frühere Annahmen beruhten. Stattdessen erklären Davis, Kolleginnen und Kollegen nun, dass die Population auf Rapa Nui einige wenige Tausend Menschen nie überschritten habe und die Siedler hingegen sogar Mittel und Wege gefunden hätten, um mit den natürlichen Einschränkungen der schon immer kargen und nur schwer zu bewirtschafteten Insel sogar jahrhundertelang erfolgreich auszukommen (…GreWi berichtete).
WEITERE MELDUNGEN ZUM THEMA
Studie widerspricht Ökozid-Szenario zu Rapa Nui 24. Juni 2024
Recherchequelle: Universität Wien, Nature
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