Wien (Österreich) – Die rund 29.500 Jahre alte Frauenfigurine, die als „Venus von Willendorf“ bekannt wurde, zählt zu den Ikonen beginnender Kunst in Europa. Bislang galt als ungewiss, wo genau der Stein für die Venus herkam – ist dieser doch nicht typisch für den Fundort. Eine neue Analyse zeigt nun, dass das Gestein vermutlich aus Norditalien oder aber sogar aus der Ostukraine stammt.
Wie der Anthropologe Gerhard Weber von der Universität Wien und die beiden Geologen Alexander Lukeneder und Mathias Harzhauser sowie die Prähistorikerin Walpurga Antl-Weiser vom Naturhistorischen Museum Wien aktuell im Fachjournal „Scientific Reports“ (DOI: 10.1038/s41598-022-06799-z) berichten, haben sie die knapp 11 cm hohe Figurine aus Willendorf mittels hochauflösender micro-tomographischer Aufnahmen analysiert. Die neue Erkenntnis werfe „ein ganz neues Licht auf die bemerkenswerte Mobilität der ersten modernen Menschen südlich und nördlich der Alpen“, so die Forschenden.
Hintergrund
Die Venus von Willendorf ist eine der bekanntesten Venusfigurinen von verschiedenen Fundorten. Bei Größen zwischen 6 und 16 Zentimeter, bestanden die bislang bekannten Figuren aus Stein, Elfenbein, Horn oder gelegentlich aus Ton. Einige wurden eingefädelt und als Amulette oder Totems getragen. Für die Wissenschaft immer noch ein Rätsel ist die Frage nach der Darstellung der Frauen, die so im altsteinzeitlichen Europa eigentlich nicht zu erwarten bzw. die Regel gewesen sein sollten (…GreWi berichtete).
Die Venus vn Willendorf ist nicht nur in ihrer Machart besonders, sondern auch was ihr Material betrifft. Während andere Venusfiguren meist aus Elfenbein oder Knochen, manchmal auch aus verschiedenen Gesteinen gefertigt sind, wurde für die niederösterreichische Venus Oolith verwendet, einzigartig für solche Kultobjekte. Die 1908 in der Wachau gefundene Figur, zu sehen im Naturhistorischen Museum Wien, konnte bisher nur äußerlich untersucht werden.
Zunächst stellten Weber, Lukeneder, Harzhauser und Antl-Weiser fest, dass Venus im Inneren überhaupt nicht gleichmäßig erscheint: “Eine besondere Eigenschaft, die man benutzen konnte, um ihre Herkunft zu bestimmen“, so der Anthropologe. Anhand von Vergleichsproben aus Österreich und Europa und werteten die Forschende sodann zahlreiche Gesteinsproben von Frankreich bis zur Ost-Ukraine, von Deutschland bis Sizilien aus.
„Die Tomographie-Daten der Venus zeigten, dass sich die Sedimente im Gestein in verschiedenen Dichten und Größen abgelagert hatten“, erläutert die Pressemitteilung der Universität Wien. „Dazwischen befanden sich immer wieder kleine Reste von Muscheln und sechs sehr dichte, größere Körner, sogenannte Limonite. Letzteres erklärt die bisher rätselhaften halbkugelförmigen Vertiefungen an der Oberfläche der Venus mit demselben Durchmesser.“ Weber fügt hinzu: „Die harten Limonite sind dem Schöpfer der Venus beim Schnitzen vermutlich herausgebrochen. Beim Venusnabel hat er dann offenbar aus der Not eine Tugend gemacht.“
Eine weitere Erkenntnis des Teams: Der Venus-Oolith ist porös, weil sich die Kerne der Millionen Kügelchen (Ooide), aus denen er besteht, aufgelöst hatten. Damit könne man sehr gut erklären, warum der findige Skulpteur gerade dieses Material vor 30.000 Jahren ausgesucht hat: Es ist wesentlich leichter zu bearbeiten.
Zudem gelang es den Forschenden einen winzigen, gerade einmal 2,5 Millimeter langen Muschelschalenrest zu identifizieren und datierten diesen in die Zeit des Jura. Damit waren alle anderen potentiellen Lagerstätten des Gesteins aus dem viel späteren Miozän-Erdzeitalter, wie etwa diejenigen im nahegelegenen Wiener Becken, ausgeschlossen.
Auch die übrigen Proben analysierte das Forschungsteam auf ihre Korngrößen. Hunderte, manchmal auch tausende Körnchen wurden mit Bildverarbeitungsprogrammen oder gar manuell markiert und vermessen: „Keine der Proben im Umkreis von 200 Kilometern von Willendorf passte auch nur annähernd. Die Analyse zeigte schließlich: Die Proben der Venus waren statistisch nicht zu unterscheiden von Proben eines Ortes aus Norditalien in der Nähe des Gardasees.“ Das wiederum sei bemerkenswert, da dies bedeute, dass die Venus (oder zumindest ihr Material) eine Reise von südlich der Alpen bis zur Donau nördlich der Alpen angetreten hatte.
Zum Thema
„Die Menschen im Gravettian – der damaligen Werkzeugkultur – haben günstige Standorte gesucht und bewohnt. Wenn sich das Klima oder die Beutetiersituation geändert haben, sind sie weitergezogen, vorzugsweise entlang von Flüssen“, erklärt Gerhard Weber. So eine Reise könnte auch Generationen gedauert haben.„Einer der beiden möglichen Wege vom Süden in den Norden würde um die Alpen herum und in die Pannonische Tiefebene hineinführen und wurde in Simulationen schon vor einigen Jahren von anderen Forscher*innen beschrieben. Die andere Möglichkeit, um vom Gardasee in die Wachau zu gelangen, würde über die Alpen führen. Ob dies vor mehr als 30.000 Jahren möglich war, ist aufgrund der damals beginnenden Klimaverschlechterung unklar. Eine eher unwahrscheinliche Variante, wenn es damals bereits durchgehende Gletscher gegeben hätte. Der 730 km lange Weg entlang der Etsch, des Inns und der Donau liegt aber – bis auf 35 Kilomenter beim Reschensee – immer unter 1.000 Meter Seehöhe.“
Während die Statistik eindeutig auf Norditalien als Ursprung des Venus-Ooliths verweist, gibt es aber auch noch einen anderen interessanten Ort für den Ursprung des Gesteins, berichten Weber, Lukeneder, Harzhauser und Antl-Weiser weiter: „Dieser liegt in der Ostukraine, mehr als 1.600 Kilometer Luftlinie von Willendorf entfernt. Die dortigen Proben passen nicht so eindeutig wie jene aus Italien, aber besser als alle anderen im Sample. Eine interessante Verbindung dabei: Im nahen Südrussland wurden Venusfiguren gefunden, die zwar einiges jünger sind, aber der in Österreich gefundenen Venus sehr ähnlich sehen. Dass zu dieser Zeit Menschen in Zentral- und Osteuropa miteinander in Verbindung standen, zeigen auch genetische Ergebnisse.“
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Nur wenige systematische Untersuchungen haben sich bisher mit der Existenz von frühen Menschen in diesem Zeitrahmen im Alpenraum und mit ihrer Mobilität beschäftigt. Der berühmte „Ötzi“ beispielsweise kommt erst sehr viel später ins Spiel, nämlich vor 5.300 Jahren. „Über diese Venus-Ergebnisse und unser neues Wiener Forschungsnetzwerk Human Evolution and Archaeological Sciences wollen wir, in Zusammenarbeit von Anthropologie, Archäologie und anderen Disziplinen, die frühe Geschichte im Alpenraum weiter klären“, berichtet Weber abschließend.
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Recherchequelle: Universität Wien
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