Auch Afrikaner besitzen Neandertaler-Gene
Princeton (USA) – Gingen Genetiker bislang davon aus, dass afrikanische Menschenpopulationen kaum bis keine Gene des Neandertalers besitzen, zeigt eine aktuelle Studie, dass der Neandertaler auch im Genom afrikanischen Populationen Spuren hinterlassen hat, obwohl diese sich eigentlich isoliert von Europa entwickelt haben. Der Grund für die erstaunliche Entdeckung war offenbar ein früher Rückwanderung auf den afrikanischen Kontinent.
Wie das Team um Professor Joshua Akey und Lu Chen von der Princeton University aktuell im Fachjournal „Cell“ (DOI: 10.1016 / j.cell.2020.01.012) berichtet, hatten frühere Sequenzierungen gezeigt, dass modernen Menschen in Asien, Europa und Amerika ungefähr 2 Prozent ihrer DNA von Neandertalern geerbt haben. Im Genom afrikanischer Populationen wurden hingegen bislang keine Spuren der Neandertaler entdeckt. Mit einer neuen Analysemethode konnte nun jedoch auch der Nachweis von Neandertalergenen im menschlichen Genom auch in afrikanischen nachgewiesen werden. „Es ist das erste Mal, dass wir das tatsächliche Signal einer Neandertaler-Abstammung bei Afrikanern feststellen konnten“, so die Forscher.
Die von den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen entwickelte Methode „IBDmix“ leitet ihren Namen vom genetischen Prinzip „Identität durch Abstammung“ (Identity by Descent – IBD) ab, bei dem ein DNA-Abschnitt bei zwei Personen identisch ist, weil diese Personen einst einen gemeinsamen Vorfahren hatten. Die Länge des IBD-Segments hängt davon ab, wie lange diese Personen einen gemeinsamen Vorfahren hatten. Zum Beispiel teilen Geschwister lange IBD-Segmente, weil ihr gemeinsamer Vorfahr (ein Elternteil) nur eine Generation entfernt ist. Alternativ teilen sich vierte Cousins kürzere IBD-Segmente, da ihr gemeinsamer Vorfahr (ein dritter Urgroßvater) mehrere Generationen entfernt ist.
Das Princeton-Team nutzte die neue Methode, um Neandertaler-DNA im menschlichen Genom zu identifizieren, indem Sequenzen, die Neandertalern ähneln, da wir in der sehr fernen Vergangenheit (vor ca. 500.000 Jahren) einen gemeinsamen Vorfahren hatten, von jenen zu nterscheiden, die uns deshalb gleichen, weil wir uns in jüngerer Zeit (vor rund 50.000 Jahren) mit Neandertalern vermischt haben. Frühere Methoden stützten sich auf „Referenzpopulationen“, um die Unterscheidung zwischen geteilter Abstammung und neuerer Kreuzung zu führen. In der Regel gingen Wissenschaftler bislang denn auch davon aus, dass indigene afrikanische Populationen über kaum bis gar keine Neandertaler-DNA verfügen. Die bisherige Methode hatte also ihre Schwachstellen, abhängig davon, welche Population als Referenz verwendet wurde.
Die Autoren der aktuellen Studie bezeichnen ihre Herangehensweise nun jedoch als „referenzfreie Methode“, da keine afrikanische Referenzpopulation verwendet wurde. Stattdessen verwendet „IBDmix“ Merkmale der Neandertalersequenz selbst, wie die Häufigkeit von Mutationen oder die Länge der IBD-Segmente, um gemeinsame Vorfahren von neueren Kreuzungen zu unterscheiden.
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Auf diese Weise konnten die Forscher und Forscherinnen daher erstmals eine Neandertaler-Abstammung bei Afrikanern identifizieren und zugleich neue Schätzungen der Neandertaler-Abstammung bei Nicht-Afrikanern anstellen, die zeigten, dass Europäer und Asiaten sehr viel ähnlicheres Abstammungsniveau aufwiesen als bislang angenommen.
Kelley Harris, eine Populationsgenetikerin an der University of Washington, die nicht an der Studie beteiligt war, stellte fest, dass die neuen Schätzungen der Neandertaler-Abstammung unter Verwendung von IBDmix das technische Problem bei Methoden hervorheben, die auf Referenzpanels beruhen: „Möglicherweise müssen wir zurückgehen und eine Reihe von Ergebnissen aus der veröffentlichten Literatur erneut betrachten und bewerten, ob das gleiche technische Problem auch unser Verständnis des Genflusses in anderen Spezies beeinträchtigt hat.“
Zusätzlich zur Identifizierung der Neandertaler in afrikanischen Populationen beschreiben die Forscher auch zwei Entdeckungen über den Ursprung der Neandertaler-Sequenzen: Zunächst stellten sie fest, dass die Neandertaler-Abstammung bei Afrikanern nicht auf ein unabhängiges Mischungsereignis zwischen Neandertalern und afrikanischen Populationen zurückzuführen war: „Basierend auf den Merkmalen der Daten kommen wir zu dem Schluss, dass Migrationen von alten Europäern zurück nach Afrika die Vorfahren der Neandertaler-Gene in die afrikanische Bevölkerung einbrachten.“
Zweitens verglichen die Forscher Daten aus Simulationen der Menschheitsgeschichte mit Daten von echten Menschen und stellten fest: „dass ein Teil der bei Afrikanern festgestellten Neandertaler-Abstammung auf menschlicher DNA beruht, die in das Neandertaler-Genom eingeführt wurde.“ Die Autoren betonten, dass an diesem Genfluss von Mensch zu Neandertalern eine frühe Gruppe von Menschen aus Afrika beteiligt war, die vor mindestens 100.000 Jahren auftrat – also vor der für die moderne menschliche Besiedlung Europas und Asiens verantwortlichen Migration aus Afrika und vor dem Kreuzungsereignis, das die Neandertaler-DNA in den modernen Menschen einführte. Der Befund bestätige erneut, dass die Hybridisierung zwischen Menschen und eng verwandten Arten ein wiederkehrender Teil unserer Evolutionsgeschichte war.
Obwohl die Princeton-Forscher die begrenzte Anzahl afrikanischer Populationen anerkennen, die sie analysieren konnten, hoffen sie, dass ihre neue Methode und ihre Erkenntnisse die Untersuchung der Vorfahren der Neandertaler in ganz Afrika und in anderen Populationen fördern werden. In Bezug auf die Gesamtbedeutung der Forschung sagte Chen abschließend: „Dies zeigt, dass die Überreste des Neandertaler-Genoms in jeder modernen menschlichen Population, die bis heute untersucht wurde, überleben.“
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Quelle: Princeton University / Cell
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