Auch Schimpansen nutzen Kommunikation zur Jagd
Zürich (Schweiz) – Wie wir Menschen, so nutzen auch Schimpansen vokale Kommunikation, um so ihre kooperatives Verhalten zu koordinieren. Forschende haben diesen Austausch nun bei jagenden Schimpansen beobachtet und untersucht.
Wie das Team um den Doktoranden Joseph Mine und Professor Simon Townsend von der Universität Zürich gemeinsam mit Kollegen der Tuft University in Boston aktuell im Fachjournal „Science Advances“ (DOI: 10.1126/sciadv.abo5553) berichtet, erzeugen Schimpansen bei der Jagd etwa einen spezifischen Ruf. Mit diesem sogenannten „Jagdbellen“ rekrutieren Schimpansen mehr Gruppenmitglieder für die Jagd und ergreifen so ihre Beute erfolgreicher.
Wenig bekannt ist, dass sich Schimpansen nicht nur von Früchten, sondern auch von proteinreichem Fleisch ernähren, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Meist handelt es sich bei der begehrten Bete um kleinere Affen. Um diese flinken Affen als Beutetiere in den Baumkronen zu fangen, sind Schimpansen im Vorteil, wenn sie gemeinsam in der Gruppe jagen.
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Für ihre Studie untersuchten die Forscherinnen und Forscher über 300 Jagdereignisse, die in den letzten 25 Jahren in der Schimpansengemeinschaft von Kanywara in Uganda aufgezeichnet wurden. Dabei kamen sie zur Erkenntnis, dass die wild lebenden Menschenaffen durch das Erzeugen des „Jagdbellens“ die Gruppenjagd katalysieren und diese Form von kooperativem Verhalten dadurch effektiver wird.
„Schimpansen, die Jagdgebell von sich geben, teilen ihrer Umgebung mit, dass sie motiviert sind zu jagen. Diese Information kann zögernde Individuen überzeugen, sich der Jagd anzuschließen, was die Erfolgschance auf Beute für alle Beteiligten erhöht“, erläutert Mine.
Im dichten tropischen Regenwald, wo die Sicht beschränkt ist, stelle die Jagd in der Gruppe eine Herausforderung dar, erläutert die Pressemitteilung der Universität Zürich. Verbale Kommunikation ermögliche hier eine effiziente Gruppenarbeit: „Auffallend ist, dass sich nach dem Jagdbellen mehr Jäger anschließen, die Jagd schneller beginnt und der erste Fang weniger Zeit benötigt“, erläutert die Studienmitautorin Zarin Machanda von der Tufts University, die das Schimpansenprojekt in Kanyawara leitet.
In weiteren Untersuchungen wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun herausfinden, weshalb das Bellen eine solche Wirkung zeigt: „Derzeit ist unklar, ob die Rufe absichtlich abgegeben werden, um die genauen Handlungen in der Gruppe zu koordinieren, oder ob einzelne Tiere damit ihre Entscheidung zu jagen ankündigen. Dies erhöht wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass andere sich anschließen, denn mit mehr Jägern sind die Tiere effektiver“, fügt Townsend an.
Die Evolutionsbiologinnen und -biologen berücksichtigten auch eine ganze Reihe anderer Faktoren, die den Ausgang einer Jagd beeinflussen können, unter anderem die Anwesenheit geschickter, erfahrener Jäger oder potenzielle Ablenkungen. Das Ertönen von Jagdbellen nahm jedoch stets eine Schlüsselrolle ein.
„Wenn Menschen komplexe kooperative Handlungen koordinieren, ist Kommunikation essenziell. Unsere Erkenntnisse sind nun der erste Hinweis darauf, dass vokale Kommunikation auch die Gruppenkooperation bei unseren nächsten lebenden Verwandten erleichtert“, so Townsend weiter.
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Es ist allgemein anerkannt, dass Kommunikation und Kooperation bei Menschen eng miteinander verbunden sind und sich gemeinsam entwickelt haben: „Wurde das eine im Laufe der Zeit komplexer, entwickelte sich auch das andere weiter, so dass ein Rückkopplungskreislauf entstand. Dieser führte schließlich zur menschlichen Sprache sowie zu den einzigartig komplexen Formen der Zusammenarbeit beim modernen Menschen.
Nicht bekannt sei hingegen, wie weit sich die Beziehung zwischen Kooperation in der Gruppe und verbaler Kommunikation in der evolutionären Vergangenheit des Menschen zurückverfolgen lässt. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Beziehung sehr alt ist. Die Verbindung scheint seit mindestens sieben Millionen Jahren zu bestehen, also seit unserem letzten gemeinsamen Vorfahren mit den Schimpansen“, fasst Joseph Mine abschließend die Überlegungen zusammen.
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Recherchequelle: Universität Zürich
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