Avi Loeb: Wissen ist Stärke – Außergewöhnliche Beweise erfordern außergewöhnliche Finanzierung

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– Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag von Prof. Dr. Avi Loeb, der am 29. März 2023 im englischsprachigen Original als Essay unter dem Titel „Knowledge is Strength: Extraordinary Evidence Requires Extraordinary Funding (EEREF)” erstveröffentlicht wurde. Der Text wurde – mit freundlicher Genehmigung des Autors (A. Loeb) – durch www.GrenzWissenschaft-Aktuell.de (GreWi) ins Deutsche übersetzt. Die vom Autor geäußerten Ansichten sind seine eigenen.
Stellen Sie sich eine wissenschaftliche Frage vor, die für die Öffentlichkeit und die Behörden von großem Interesse ist. Wissenschaftler argumentieren jedoch, dass sie verboten werden sollte und verspotten Kollegen, die sich genau mit dieser Frage damit beschäftigen.
Klingt das für Sie nach genau jenen geozentrischen Theologen, die Galileo Galilei vor vier Jahrhunderten verfolgten? Wenn ja, dann sollten wir eigentlich erleichtert feststellen, dass wir vom Mittelalter über das Zeitalter der Aufklärung bis hin zur modernen Wissenschaft einen langen Weg zurückgelegt haben.
Doch leider trifft das nicht auf alle Gebiete der Wissenschaft zu. Noch im März 2023 reagieren Mainstream-Wissenschaftler auf faszinierende Beweise für anomale Objekte in der Nähe der Erde, indem sie sich und in der öffentlichen Diskussion geradezu die Möglichkeit verbieten, dass eines oder mehrere von dieser Objekte außerirdischen technologischen Ursprungs sein könnten.
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Diesen Standpunkt zu vertreten, ist eine Sache. Aber Carl Sagans Mantra „Außerordentliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Beweise“ (“Extraordinary Claims Require Extraordinary Evidence” (ECREE) zu repitieren, ohne nach solchen Beweisen zu suchen, ist ein Zirkelschluss oder eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Es ähnelt George Orwells Neusprech in seinem Roman „1984“, wenn der Parteislogan lautet: „Ignoranz ist Stärke“.
Die aufgeklärte Herangehensweise an faszinierende Inidizien und Beweise besteht darin, nach mehr Beweisen dafür zu suchen. Dass dies konkrete Maßnahmen erfordert statt schlichter Ablehnung, macht dieses Vorgehen unbeliebt.
Was ich sagen will ist, dass „außerordentliche Beweise eine außergewöhnliche Finanzierung erfordern“ (“Extraordinary Evidence Requires Extraordinary Funding” (EEREF). Die sog. Supersymmetrie war jahrzehntelang eine außergewöhnliche Behauptung, aber um sie zu testen, war eine Investition von zehn Milliarden Dollar in den Teilchenbeschleuniger „Large Hadron Collider“ (LHC) am CERN erforderlich.
Zum Thema
Die wissenschaftliche Untersuchung erdnaher Objekte als potenzielle außerirdisch- technologische Signaturen erhält derzeit keine US-Bundesmittel. Die Ausschüsse, die für die Vergabe von Bundesmitteln an die Weltraumforschung zuständig sind, sind voll von Mainstream-Wissenschaftlern, die argumentieren, dass sie Risiken minimieren sollten, um Steuergelder zu sparen. Aber die Realität ist aber jene, dass die Steuerzahler von dieser Frage mehr fasziniert sind als von jeder anderen Frage, die von diesen Ausschüssen finanziert wird.
Darüber hinaus hat der US-Kongress im vergangenen Jahr die „All-Domain Anomaly Resolution Office“ (AARO) unter der Leitung von Dr. Sean Kirkpatrick eingerichtet, das dem Verteidigungsministerium und dem Büro des Direktors der US-Geheimdienste (Director of National Intelligence, DNI) unterstellt ist. Die Aufgabe dieser Behörde ist es, die Erdatmosphäre auf verdächtige Objekte zu überwachen, und sie wären vielleicht die Ersten, die eine Anomalien bemerken. Als ich im November 2021 an einer öffentlichen Veranstaltung in der Washington National Cathedral teilnahm, zusammen mit DNI Avril Haines – die als Studentin Physik an der University of Chicago studierte – sagte Avril, während sie sich auf „Unidentified Aerial Phenomena“ (UAP) bezog: „Es gibt immer wieder die Frage, ob es da nicht doch etwas gibt, das wir einfach nicht verstehen, das von Außerirdischen kommen könnte?“
Eine neue Umfrage, die diese Woche von Professor Brian Keating von der UCSD durchgeführt wurde, zeigte, dass mehr als die Hälfte von tausend Befragten glauben, dass das erste interstellare Objekt, `Oumuamua, außerirdischen technologischen Ursprungs war. Offensichtlich wird die wissenschaftliche Wahrheit nicht von der öffentlichen Meinung bestimmt und die wissenschaftlichen Beweise hier sind tatsächlich auch nicht schlüssig. Aber die Tatsache, dass drei der bekannten vier interstellaren Objekte (ISOs) anomal erscheinen, nämlich die Meteore IM1 und IM2 durch ihre ungewöhnlich hohe Materialstärke und `Oumuamua durch seine nicht durch Gravitation erklärbare Beschleunigung und ohne sichtbaren Kometenschweif ist für alle diejenigen faszinierend, die ihre kindliche Neugier oder den Anfängergeist (Shoshin) des Zen-Buddhismus bewahren. Dieser Beweis ist nicht für jeden faszinierend. Einige Wissenschaftsjournalisten feierten letzte Woche ein Nature-Papier und entschieden sich, ein Folgepapier zu ignorieren, das zeigte, dass das Nature-Papier gegen die Energieerhaltungsprinzip verstößt, um „ihre Leser nicht zu verwirren“.
Anmerkung GreWi: Auch der Herausgeber von Grenzwissenschaft-Aktuell.de hat die Wissenschaftsredaktionen und Mitarbeiter verschiedener deutschsprachiger Leitmedien freundlich auf die fortwährende Kontroverse und Prof. Loebs Repliken in Form seines Essays und des mittlerweile veröffentlichten Fachartikels mit Thiem Hoang (…GreWi berichtete) hingewiesen. Die Reaktionen waren größtenteils ähnlich bis nicht vorhanden. Für die interessierten Leserinnen und Leser dürfte es spannend werden, ob die bald folgende tatsächliche Publikation dieser Studie als Replik auch den jüngsten Nature-Artikel in den Wissenschaftsrubriken unserer Leitmedien ein ähnliches Echo erzeugt, wie jene Studie, die Oumuamua zu einem angeblich gewöhnlichen Wassterstoff-Wassereis-Kometen erklärt. GreWi wird berichten…
Der gesunde Menschenverstand legt nahe, dass, wenn die Öffentlichkeit und die Regierung das Studium von UAP und ISOs als wichtig definieren, es auch die Zivilpflicht von Wissenschaftlern ist, ihnen dabei zu helfen, die Natur dieser anomalen Objekte herauszufinden. Wie kann es sein, dass sich die Wissenschaft, einschließlich der SETI-Community, gegen die von Neugier getriebene Erforschung der Natur von UAP und ISOs wehren?
Ein solcher Rückschlag ist kein Relikt der vergangenen Geschichte, sondern der Inhalt von Tweets einiger Wissenschaftler in den letzten Tagen. Dieser Rückschlag ist angesichts einer kürzlich von Professor Elizabeth Stanway von der University of Warwick in Großbritannien durchgeführten Umfrage besonders verwirrend, die ergab, dass 93 % der britischen Astronomen (223 von 239 Befragten!) Interesse an Science-Fiction bekundeten, während 69 Prozent (164) gaben an, dass es ihre Lebens- oder Berufswahl beeinflusst habe. Gesunder Menschenverstand ist nicht alltäglich, wenn ein Thema einen sensiblen Nerv in der menschlichen Psyche berührt. In diesem Fall ist es die arrogante Vorstellung, wir seien die Klügsten im Kosmos. Am einfachsten wäre es für uns sicherlich, einen kosmischen Wettstreit zu gewinnen, wenn wir allein wären.
Das durch private Spenden finanzierte Galileo-Projekt befasst sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung von UAP und ISOs als potenziellen technologischen Relikten. Das Galileo-Forschungsteam hat bereits ein funktionierendes Observatorium auf dem Gelände der Harvard University aufgebaut und plant eine Pazifik-Expedition, um Relikte des ersten interstellaren Meteors „IM1“ zu bergen. Die erste Sammlung wissenschaftlicher Arbeiten, die vor einem halben Jahr geschrieben wurde, wird nächsten Monat nach der Peer-Review öffentlich zugänglich gemacht.
Ähnlich wie jener US-Kongressabgeordnete, der jahrelang homophobe Äußerungen machte und nach seiner Pensionierung seine Homosexualität zugab, ist es wahrscheinlich, dass die Skeptiker von heute zu Gläubigen werden, sobald das Galileo-Projekt unbestreitbare Beweise für außerirdische technologische Objekte findet. Bis dahin steht die Leitung des Galileo-Projekts vor der Herausforderung, jene außergewöhnlichen Mittel aufzubringen, die diese außergewöhnlichen Beweise auf der Grundlage des EEREF-Prinzips ermöglichen würden.
Wie ich den Schülern in meiner Klasse letzte Woche gesagt habe: „Wissen ist Stärke. Es erlaubt uns, uns an die Realität anzupassen, die wir alle teilen.“ Dazu gehört auch die Frage, ob es klügere Kinder in unserer kosmischen Nachbarschaft gibt. Nach einem zweistündigen Kamingespräch, das ich gestern Abend in Lexingtons Cary Library besuchte, fragte mich ein Kind aus dem Publikum: „Denkst du, dass Außerirdische klüger sind als wir?“, und ich antwortete: „Ich hoffe es sehr, denn es würde bedeuten, dass wir von ihnen lernen und eine bessere Zukunft als unsere Vergangenheit anstreben können.“
Prof. Dr. Avi Loeb ist Leiter des „Galileo-Projekts“ in Harvard, einer systematischen wissenschaftlichen Suche nach Beweisen für außerirdische technologische Artefakte. Loeb ist Gründungsdirektor von Harvards Black Hole Initiative, Direktor des Institute for Theory and Computation am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics und Vorsitzender des Beirats des Breakthrough Starshot-Projekts. Er ist Autor des Buches „Außerirdisch: Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten“.
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