Baumringe offenbaren Klimaanomalie in der Spätantike
Neue Jahrringmessungen aus dem russischen Altai-Gebirge deuten auf eine drastische Kälteperiode vor 1500 Jahren hin.
Copyright: Vladimir S. Myglan
Bern (Schweiz) – Anhand der Jahresringe von alten Bäumen hat ein internationales Wissenschaftlerteam eine drastische Kälteperiode in Eurasien in der Spätantike nachgewiesen. Die Klimaanomalie deckt sich mit politischen Umwälzungen. Die Forscher sehen zwischen der „Kleinen Eiszeit“ und diesen soziopolitischen Veränderungen einen Zusammenhang.
Wie das Team aus Wissenschaftlern der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), der Universität Bern unter Leitung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL aktuell im Fachjournal „Nature Geoscience“ (DOI: 10.1038/NGEO2652) berichtet, belegen die Daten der Jahresringe eine drastische Kälteperiode in Eurasien zwischen 536 und etwa 660 nach Christus. Damit überlagere sich dieses Phänomen zeitlich mit der Justinianischen Pest sowie mit politischen Umwälzungen und Völkerwanderungen sowohl in Europa als auch in Asien.
In ihrer Studie anhand neuer Jahresringmessungen aus dem russischen Altai-Gebirge konnten die Wissenschaftler um den Jahrringforscher Dr. Ulf Büntgen (WSL) und den Gießener Geographen und Klimaforscher Prof. Jürg Luterbacher (Institut für Geographie der JLU) damit erstmals präzise die Sommertemperaturen der letzten 2000 Jahre in Zentralasien rekonstruieren. Die Ergebnisse ergänzen ihre bereits 2011 im Fachjournal „Science“ publizierte Klimageschichte der Alpen, die 2500 Jahre zurückreicht.
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„Der Temperaturverlauf im Altai passt erstaunlich gut mit dem der Alpen überein“, erläutert Büntgen. Die Studie ermögliche erstmals Aussagen über die Sommertemperaturen in großen Teilen Eurasiens für die letzten 2000 Jahre. Aus der Breite der Jahresringe können die Experten die sommerlichen Klimabedingungen der Vergangenheit jahrgenau ableiten. Dabei stach den Forschern eine Kälteperiode im 6. Jahrhundert ins Auge, die noch kälter, länger und großräumiger war als die bisher bekannten Temperatureinbrüche innerhalb der „Kleinen Eiszeit“ zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert. „Es war die stärkste Abkühlung auf der Nordhalbkugel während der letzten 2000 Jahre“, sagt Büntgen. Aus diesem Grund bezeichnen die Forscher deshalb nun den Zeitraum von 536 bis etwa 660 nach Christus als „Spätantike Kleine Eiszeit“ (Late Antique Little Ice Age, LALIA).
„Auslöser waren drei große Vulkanausbrüche in den Jahren 536, 540 und 547 nach Christus, deren Effekt auf das Klima durch die verzögernde Wirkung der Ozeane und ein Minimum der Sonnenaktivität noch verlängert wurde“, erläutert die Pressemitteilung der Universität Gießen.
Darüber hinaus stellten die Forscher fest, dass eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Umwälzungen in diese Periode fällt: „Nach Hungersnöten etablierte sich zwischen 541 und 543 die Justinianische Pest, die in den folgenden Jahrhunderten Millionen von Menschen dahinraffte und vermutlich zum Ende des Oströmischen Reichs beitrug. In die von den Römern verlassenen Gebiete im Osten des heutigen Europas wanderten Frühslawisch sprechende Menschen ein – vermutlich aus den Karpaten – und definierten den slawischen Sprachraum.“
Pestausbrüche, Aufstieg und Fall von Imperien, Völkerwanderungen und politische Umwälzungen (Sterne, dunkle Balken) überlagern sich zeitlich mit den kältesten Dekaden der letzten 2000 Jahre, der „Spätantiken Kleinen Eiszeit“ (blaue Linien).
Copyright/Quelle: Nature Geoscience
Auch die Expansion des Arabischen Reichs in den Mittleren Osten und die Entstehung des Islams könnten von der kühlen Periode begünstigt worden sein, vermuten die Wissenschaftler: Schließlich gab es auf der arabischen Halbinsel mehr Regen, mehr Vegetation und somit mehr Futter für Kamelherden, die die arabischen Armeen für ihre Kriegszüge nutzten.
„In kühleren Gebieten wanderten einzelne Völker auch nach Osten in Richtung China, vermutlich wegen eines Mangels an Weideland in Zentralasien. In den Steppen Nordchinas kam es folglich zu Konflikten zwischen Nomaden und den dort herrschenden Mächten. Eine Allianz dieser Steppenvölker mit den Oströmern besiegte danach das persische Großreich der Sassaniden und führte zu dessen Untergang.“
Allerdings geben die Autoren der Studie zu Bedenken, dass mögliche Zusammenhänge zwischen der Kälteperiode und soziopolitischen Veränderungen stets mit großer Vorsicht zu beurteilen seien: „Die ‚Spätantike Kleine Eiszeit‘ passt aber erstaunlich gut mit den großen Umwälzungen jener Zeit zusammen“, so Luterbacher. Für Büntgen zeigt die Untersuchung auf, wie abrupte Klimaveränderungen bestehende politische Ordnungen verändern können: „Aus der Geschwindigkeit und Größenordnung der damaligen Umwälzungen können wir etwas lernen.“ So ließen sich Erkenntnisse über den Einfluss von großen Klimaumschwüngen in der Vergangenheit dazu nutzen, um Strategien im Umgang mit dem heutigen Klimawandel zu entwickeln.
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