Bislang keine direkten Anzeichen für Leben in der Venusatmosphäre

Die Venus in ihren natürlichen Farben, aufgenommen von der Sonde „Mariner 10“. Copyright: NASA/JPL-Caltech
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Die Venus in ihren natürlichen Farben, aufgenommen von der Sonde „Mariner 10“. Copyright: NASA/JPL-Caltech

Die Venus in ihren natürlichen Farben, aufgenommen von der Sonde „Mariner 10“.
Copyright: NASA/JPL-Caltech

Cambridge (Großbritannien) – Ungewöhnliche Messdaten zu Schwefel in der Venusatmosphäre hatten zu Spekulationen geführt, dass diese das Ergebnis biologischer Prozesse in den gemäßigten Wolkenschichten unseres Nachbarplaneten sein könnten. Eine aktuelle Studie hat dieses und andere Szenarien dazu modelliert und sieht in den Werten keine Hinweise auf Leben in den Venuswolken. Es fehlen die Stoffwechselprodukte möglichen Lebens.

Wie das Team um Sean Jordan und Dr. Paul Rimmer vom Institute of Astronomy an der University of Cambridge aktuell im Fachjournal “Nature Communications ” (DOI: 10.1038/s41467-022-30804-8) berichtet, nutzten sie eine Kombination aus biochemischen und atmosphärischen Modellen, um die Hypothese vom “Leben in den Venuswolken” zu untersuchen.

„Jede Form von Leben, die in ausreichender Menge vorhanden ist, sollte ihre chemischen Fingerabdrücke in der Atmosphäre eines Planeten hinterlassen, da sie Nahrung nicht nur konsumiert, sondern die Stoffwechselprodukte davon auch abgeben“, so die Cambridge-Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. „Derartige Fingerabdrücke haben wir in der Venus-Atmosphäre jedoch nicht gefunden.“

Zwei Jahre lang haben die Forschenden versucht, die merkwürdigen Schwefel-Werte der Venus-Atmosphäre zu verstehen. “Da das Leben sehr gut darin ist, auch sonderbare Wege zu gehen, sind auch wir teils sonderbare Wege gegangen, um jene Daten zu verstehen, die wir auf der Venus sehen und die Frage zu beantworten, ob Leben eine dieser möglichen Erklärungen sein könnte“, so Rimmer.

Hierzu nutzten die Forscher eine Kombination aus atmosphärischen und biochemischen Modellen, um die chemischen Reaktionen zu testen, die auf der Grundlage der chemischen Energie der Venusatmosphäre zu erwarten oder möglich sind.

„Mit unseren Modellen haben wir nach schwefelbasierter ‚Nahrung‘ gesucht, wie sie in der Venusatmosphäre vorhanden sein könnte“, erläutert Jordan. „Das ist nichts, was wir selbst jetzt essen wollten, aber Verbindungen, die als Energiequelle dienen könnten. Sollte derartige Nahrung von Leben konsumiert werden, so müssten wir auch Hinweise dafür sehen, dass bestimmte Chemikalien aus der Venusatmosphäre verschwinden und im Umkehrverfahren auch wieder hinzugefügt werden.“

Zunächst betrachteten die Modelle ein besonderes Merkmal der Venusatmosphäre – das Vorhandensein von Schwefeldioxid (SO2). Auf der Erde stammt das meiste atmosphärische SO2 von vulkanischen Abgasen. Auf der Venus gibt es hohe SO2-Werte in den tieferen Wolkenschichten, während es auf irgendeine Art und Weise aus den höheren Schichten verschwindet – ein möglicher Hinweis darauf, dass es dort von irgendetwas konsumiert wird. „Sollte es dort Leben geben, so müsste dieses Leben auch einen Einfluss auf die atmosphärische Chemie der Venus haben“, erläutert der Mitautor der Studie, Dr. Oliver Shorttle vom Cambridge Department of Earth Sciences and Institute of Astronomy. „Könnte Leben also der Grund dafür sein, dass die SO2-Werte auf der Venus derart stark reduziert (verstoffwechselt) werden?“

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Die von Jordan und Kollegen erstellten Modelle beinhalten eine ganze Reihe möglicher Stoffwechsel-Reaktionen, wie sie von Leben zur Nahrungsaufnahmen und als Abfallprodukte erzeugt werden könnten.

Das Ergebnis der Analysen zeigte zwar, dass es durchaus vorstellbare Stoffwechselreaktionen gibt, die in einem Abfall von SO2-Werten resultieren können, dies aber nur derart, dass innerhalb dieser Prozesse andere Moleküle in derart großen Mengen erzeugt werden würden, von denen in der Venusatmosphäre aber keine Spuren zu finden sind.

„Unsere Ergebnisse schränken die Möglichkeiten dafür, dass es Leben in den Venuswolken geben könnte stark ein – zumindest, wenn wir unser bisherigen grundlegendes Verständnis von chemischen Reaktionen innerhalb planetarer Atmosphären zugrunde legen“, so die Astrobiologen aus Cambridge. „Sollte Leben dennoch für die SO2-Werte auf der Venus verantwortlich sein, so würde es alles infrage stellen, was wir bislang von der Chemie der Venus wissen.“

„Tatsächlich hofften auch wir, dass Leben eine mögliche Erklärung für die Werte sein könnte“, berichtet Jordan. „Deshalb haben wir auch unsere Modelle für die Venus erstellt. Als wir dann aber diese Modelle anwandten, bemerkten wir, dass genau dieses Leben die Werte aber nicht erklären kann.“

Doch auch wenn Leben die SO2-Werte der Venus nicht erklären kann, so stellen diese Werte die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dennoch weiterhin vor ein Rätsel: „Es bedeutet, dass es weiterhin eine merkwürdige Form der Chemie auf der Venus gibt, die wir weiter untersuchen sollen.“

Obwohl es bislang also keine Hinweise für Schwefel verzehrendes Leben in den Venuswolken gibt, sehen die Forschenden in ihrer Studie eine Bestätigung dafür, dass die Modelle auch zur Analyse zukünftiger Werte des James-Webb-Weltraumteleskop genutzt werden können, um ähnliche Prozesse auch auf anderen Planeten zu untersuchen.

„Wenn wir verstehen wollen, warum einige Planeten belebt sind, müssen wir zugleich verstehen, warum andere es nicht sind“, so die Forschenden abschließend. „Wenn das Leben es irgendwie geschafft hat, sich in den Wolken der Venus einzunisten, würde das die Art und Weise, wie wir nach chemischen Anzeichen für Leben auf anderen Planeten suchen, komplett verändern. Selbst wenn unsere Venus unbelebt ist, so könnte es doch venusartige Planeten in anderen Systemen geben, die Leben beherbergen.“




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 Recherchequelle: University of Cambridge

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