Dauerthema: UFOs und das Dritte Reich – eine kritische Analyse
Spätestens in den 1950-er Jahren tauchten in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften bis hin zum Der Spiegel immer wieder Berichte über die angeblich einst geheime Entwicklung sogenannter Flugscheiben oder Flugkreisel durch Erfinder und Ingenieure im Auftrag des NS-Regimes auf. Diese sollen dann auch tatsächlich (meist noch kurz vor Kriegsende) getestet worden sein. Bis heute gibt es die verschiedensten Versionen über derartige Entwicklungen, Testflüge und angebliche Weiterentwicklungen. Zudem ranken sich auch zahlreiche Theorien darum, von wem und zu welchen Zwecken diese Wunderwaffen genutzt wurden und wer sie angeblich bis heute mit UFOs unbekannter oder gar exotischer Herkunft verwechselt.
– Erst kürzlich veröffentlichte Ralf Bülow einen Gastbeitrag auf GreWi zum UFO-Interesse von Herman Oberth, einem der „Väter der Raumfahrt“. In Folge des Interesses an diesem Beitrag schließt GreWi mit dem folgenden Artikel thematisch an Bülows Beitrag an. Es handelt sich dabei um Kapitel 5 (S. 71-80) aus Andreas Müllers Buch „Deutschlands UFO-Akten“ (2021, s. Buchtipp r.), das sich mit der Frage um die berühmt-berüchtigten modernen Legenden rund um angeblich reichsdeutsche Flugscheiben auseinandersetzt.
Natürlich kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass entsprechende Akten – so es diese je gab – mit Kriegsende zerstört oder in die USA oder nach Moskau verbracht wurden. Belastbare, offizielle und als authentisch beglaubigte oder historisch verifizierbare Akten und Dokumente aus der Zeit der Nazi-Diktatur zu Flugscheiben sind allerdings bislang nicht bekannt.
Neben nicht weiter bestätigten Berichten, wie etwa jenen des Technikers J. Andreas Epp, ist einer der wenigen nachvollziehbaren Ansätze die Ausführungen des deutschen Militärhistorikers Rudolf Lusar (selbst Major d. R. a. D.), in seinem Buch „Die deutschen Waffen und Geheimwaffen des 2. Weltkrieges“ von 1959. Darin schrieb dieser unter der Überschrift „Fliegende Untertassen“.
„Nach bestätigten Angaben von Fachleuten und Mitarbeitern wurden die ersten Projekte Fliegende Scheiben‘ genannt, im Jahre 1941 begonnen. Die Plane für diese Geräte stammen von den deutschen Experten Schriever, Habermohl, Miethe und dem Iraliener Giuseppe Belluzzo. Habermohl und Schriever wählten einen breitflächigen Ring, der sich um eine feststehende, kuppelförmige Führerkanzel drehte und der aus verstellbaren Flügelscheiben bestand, die in eine entsprechende Stellung gestellt werden konnten, je nachdem ob sie zum Start oder zum Horizontalflug benötigt wurden.
Miethe entwickelte eine diskusähnliche Scheibe von 42 m Durchmesser, in die verstellbare Düsen eingesetxt waren. Schrieuer und Habermohl, die in Prag gearbeitet haben, starteten am 14. Februar 1945 mit der ersten Fliegenden Scheibe und erreichten in drei Minuten eine Höhe von 12.400 m und im Horizontalflug eine Geschwindigkeit von 2000 km in der Stunde (!). Man wollte auf Geschwindigkeiten von 4000 Stundenkilometer kommen.
Umfangreiche Vorversuche und Forschungsarbeiten waren notwendig, bevor an die Fertigung herangegangen werden konnte. Wegen der hohen Geschwindigkeiten und dem außerordentlichen Wärmebeanspruchungen mußten besonders geeignete Materialien gefunden werden, die der Hitzeeinwirkung standhielten. Die Entwicklung, die Millionen gekostet hat, stand bei Kriegsende dicht vor ihrem Abschluß. Bei Kriegsende wurden zwar die vorhandenen Modelle zerstört. Jedoch ist das Werk in Breslau, wo Miethe gearbeitet hat, in die Hände der Sowjets gefallen, die alles Material und die Fachkräfte nach Sibirien gebracht haben, wo an diesen Fliegenden Untertassen‘ erfolgreich weitergearbeitet wird.
Schriever ist aus Prag noch rechtzeitig herausgekommen; Habermohl dagegen dürfte in der Sowjet-Union sein, da von ihm jede Nachricht fehlt. Der ehemals deutsche Konstrukteur Miethe befindet sich in den USA und entwickelt, soweit bekannt geworden, bei der A. V Roe Comp. solche „Fliegenden Untertassen‘ für die USA und Kanada. Die amerikanische Luftwaffe hat seit Jahren den Befehl erhalten, nicht auf die „Fliegenden Untertassen zu schießen, was ein Zeichen dafür ist, daß es auch amerikanische „Fliegende Untertassen‘ gibt, die nicht gefährdet werden dürfen. Die bisher beobachteten Geräte werden in den Größen 16, 42, 45 und 75 m im Durchmesser angegeben und sie sollen eine Geschwindigkeit von bis zu 7000 km in der Stunde (?) entwickeln. Über Korea wurden bereits im Jahre 1952 ‚Fliegende Untertassen einwandfrei erkannt und auch während der Nato-Manöver im Elsaß im Herbst 1954 wurden diese Geräte nach Pressenachrichten beobachtet und gemeldet. Die Tatsache, daß die ‚Fliegenden Untertassen existieren, ist nicht mehr zu bestreiten. Daß sie auch heute noch verneint wird, besonders in Amerika, da die USA selbst noch nicht soweit in der Entwicklung fortgeschritten sind, um der Sowjet-Union ein Gleiches entgegenzustellen zu können, gibt zu denken. Ferner scheint man sich zu sträuben, anzuerkennen, daß diese neuartigen , Fliegenden Untertassen‘ den normalen Flugzeugen – auch den turbogetriebenen neuzeitlichen Flugzeugen – bedeutend überlegen sind, sie an Flugleistung, Tragfähigkeit und Wendigkeit übertreffen und sie damit illusorisch machen.“
Da Lusar aber zu keiner seiner Ausführungen über die Fliegende Untertassen angeblich reichsdeutscher Herkunft konkrete Ouellen benannte und sogar selbst buchstäblich (etwa über den Verbleib Habermohls oder die Weiterentwicklung der Scheiben in Sibirien) nur spekuliert, kann schlichtweg weder zugeordnet noch überprüft werden, woher er selbst seine Informationen bezog. Nicht wenige seiner Ausführungen legen die Vermutung nahe, dass er sich selbst lediglich auf Hörensagen und zeitgenössische Zeitungsberichte der 1950-er Jahre, sowie seine eigene freie Interpretation von UFO-Sichtungen (etwa im Elsass und Korea) berief, deren Zeuge er selbst schlussendlich aber gar nicht war. Deutlich wird dies auch bei den von ihm hergestellten Querverbindungen zum kanadisch-amerikanischen AVROCAR-Projekt, zu dem Kapitel 10 weitere Ausführungen macht und aufzeigt, wie weit solche Versuche von den Eigenschaften, die bereits zuvor und danach von UFO-Zeugen beobachtet wurden, entfernt waren.
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Wie auch immer man die Ausführungen Lusars bewerten mag – kurioser Weise scheint zumindest das „Militärische Taschenlexikon“ für „Fachausdrücke der Bundeswehr“, das 1958 „von dem Fregattenkapitän Assessor Karl-Heinz Fuchs und Friedich-Wilhelm Kölper“ sowie „Mitarbeitern des Bundesministerium für Verteidigung“ im Bonner Athenäum Verlag herausgegeben wurde, in Lusar damals eine vertrauenswürdige Quelle gesehen zu haben.
Tatsächlich finden sich darin unter den Einträgen „Fliegende Scheibe“ und „Ufo“ Texte, sowie eine Abbildung, die sich stark an Lusars Ausführungen und Deutungen orientieren.
Im heutigen Lexikon der Bundeswehr sucht man die Begriffe „Ufo“ und „Fliegende Scheiben“ übrigens vergeblich.
Im Gegensatz zu Lusar findet sich in den wesentlich ausführlicheren, fachlicheren und mit überprüfbaren Quellen versehenen Ausführungen des Militärhistorikers Fritz Hahn (geb. 1922) keinerlei Erwähnung von und zu Flugscheiben. Dabei sollte gerade Hahn direkte Einblicke in entsprechende Projekte gehabt haben. Auch angesichts seiner sonst ausführlichen Arbeiten ergibt ein Verschweigen der Flugscheiben durch Hahn trotz angeblicher Existenz nur wenig Sinn.
Hahn, der selbst an der Front kämpfte, war (so die biografischen Angaben in seinem Buch) beim Waffenerprobungskommando im Einsatz, wurde später ins Heereswaffenamt übernommen, war in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde bei der Waffenprüf- Ab. 1 tätig und wurde immer wieder zu verschiedenen Waffenprojekten aller drei Wehrmachtsteile abkommandiert. Auf diese Weise erhielt er Einblicke in die verschiedensten Waffenprojekte der ganzen Wehrmacht. (Anm.: Gerade für den Flugscheiben-Mythos spielt Peenemünde heute noch eine grundlegende Rolle, da hier angeblich wichtige Entwicklungen und Tests stattgefunden haben sollen.)
Zu Hahns Aufgaben gehörte dabei auch die Verwaltung der Geheimunterlagen seiner Dienststelle bis zur höchsten Geheimhaltungsstufe. Bei Kriegsende im Mai 1945 gelang es Hahn, wichtige Unterlagen – darunter auch sogenannte „Geheime Kommandosachen“- vor der Vernichtung zu sichern. Danach verbrachte Hahn fast zehn Jahre in den USA, wo er die Gelegenheit bekam, in den dorthin verbrachten Unterlagen (er selbst sprach von „geistiger Kriegsbeute“) Tausende von Forschungsberichten einzusehen und mit seinen eigenen Unterlagen abzustimmen. Sein darauf aufbauendes Archiv konzentrierte sich auf die Schwerpunkte Waffen- und Raketentechnik sowie Weltraumforschung. Fritz Hahn war Mitglied der „American Astronautical Society“ und der „British Interplanetary Society“. Seine Bücher „Waffen und Geheimwaffen des deutschen Heeres 1933-1945“ (zweibändig) und „Deutsche Geheimwaffen 1939 bis 1945 – Flugzeugbewaffnungen“ (Anm.: Gerade in letzterem hätten die Flugscheiben nicht fehlen dürfen) gehören zu den Standardwerken über die Waffen und Geheimwaffen des Dritten Reichs. Dass darin die Flugscheiben aber keine Rolle spielen, ist ein weiterer triftiger Grund, diese militärisch-historischen Behauptungen mehr als kritisch zu hinterfragen.
Auch die bekanntesten Flugzeug- und Raketenwissenschaftler des Deutschen Reichs wurden, nach dem Krieg, zum Flugscheiben-Mythos befragt: So war etwa der Raketeningenieur Wernher von Braun, der Entwickler des V2-Programms und „Vater des US-Raketen-Raumfahrtprogramms* davon überzeugt, dass UFOs hauptsächlich das Ergebnis von Fehldeutungen „unverstandener Naturphänomene“ waren (Braun glaubt nicht an Untertassen, Hamburger Abendblatt 02./03.10.1954).
Von Brauns Lehrer Hermann Oberth, der als einer der Begründer der wissenschaftlichen Raketentechnik und Astronautik gilt, widersprach sogar den Behauptungen, dass es sich bei UFOs um reichsdeutsche Entwicklungen gehandelt habe und hielt diese stattdessen für außerirdische Besucher. Diese Position vertrat er seit den 1960-er Jahren auch in diversen Interviews und Zeitungsartikeln (HIER und HIER; den aktuelle GreWi-Gastbeitrag von Ralf Bülow zum UFO-Interesse Oberths finden Sie HIER).
Auch Walter Riedel, der Leiter des Konstruktionsbüros der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde und Chef-designer der ballistischen Rakete Aggregat 4 (V2) hielt UFOs nicht für reichdeutsche Entwicklungen, sondern für außerirdische Raumschiffe (u.a. Essener Allgemeine Zeitung 06.03.1953) und gründete in den USA (wohin zahlreiche deutsche Wissenschaftler und Techniker im Rahmen der Operationen und Projekte Overcast und Paperclip nach dem Krieg als Kriegsgefangene verlegt, rekrutiert und eingebürgert wurden) eine eigene UFO-Forschungsgruppe.
Nicht zuletzt sollte auch angesichts dieser hochrangigen Wissenschaftler und Ingenieure zu erwarten sein, dass, sollte es tatsächlich auch nur spruchreife Entwicklungen einsatzfähiger Flugscheiben im Dritten Reich gegeben haben, wie sie das UFO-Phänomen auch nur ansatzweise erklären könnten, diese Personen davon gewusst hätten und sich später nicht weiter mit Spekulationen über deren außerirdische Herkunft beschäftigt hätten.
Hinweis: Zu den technischen Aspekten, Fragestellungen und Problemen der beschriebenen Flugscheibenkonstruktionen und -antriebe seien den interessierten Leserinnen und Lesern auch die Ausführungen des Technik-Historikers Christian Brandau auf der Webseite der Ruhr-Universität Bochum empfohlen.
Der Sozialpädagoge und UFO-Forscher André Kramer schreibt zur Frage rund um die angeblich reichsdeutschen Flugscheiben in seinem Buch „Vorsicht Verschwörung“ (Lüdenscheid 2014, s. Buchtipp r.): „Eine stringente Geschichte lässt sich hier(zu) im Grunde nicht erzählen, da so ziemlich jeder Autor zum Thema seine eigenen Abwandlungen der Geschehnisse und Entwicklungen zu beschreiben weiß.“ Nach einem eingehenden Studium der einschlägigen Literatur kann sich der Autor (A.Müller) dieser Bewertung anschließen.
In Ermangelung authentisch überprüfbarer Dokumente und Akten, um die es in diesem Buch ja gehen soll, verweise ich an dieser Stelle die am Thema interessieren Leserinnen und Leser auf Kramers Buch und gezielt auf dessen 5. Kapitel über Reichsflugscheiben (S.73-94).
Kramer selbst resümiert über das Themenspektrum abschließend nüchtern: „Deutsche Flugscheiben (…) bleiben eine Fiktion. Die Urheber der Legenden um hocheffiziente Nazi-UFOs scheinen versucht zu haben, sich die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg erträglicher zu machen, indem sie in Aussicht stellten, das Deutsche Reich hätte lediglich noch wenige Monate länger durchhalten müssen, um mit den unschlagbaren Wunderwaffen zurückschlagen zu können. (Anm. A. M.: entsprechende Tendenzen sind schon in obigen Zitaten aus Lusars Buch durchaus zu erkennen.) Erstaunlich ist, welche Blüten die anfänglich noch wenig komplexen Spekulationen um Reichsflugscheiben inzwischen getrieben haben. In verschiedenen Varianten, ausgeschmückt mit immer fantastischeren Details und eingebettet in andere Themen alternativer Weltanschauung, ist ein fast undurchdringlicher Moloch entstanden, der einen möglichen historischen wahren Kern gänzlich entstellt und verklärt hat.“
Angesichts der Ende der 1940er Jahre tatsächlich gestiegenen Anzahl von UFO-Sichtungen interessierte sich allerdings auch die US-Armee für die Gerüchte um deutsche Wunderwaffen-Entwicklungen in Form von Flying Saucers, also fliegenden Untertassen, wie dies die Unterlagen der US Army über die deutschen Flugzeugkonstrukteure Reimar und Walter Horten belegen. Diese und weitere ausführliche Informationen, Daten, Fakten un Originalquellen finden Sie in den beiden Sachbüchern „Deutschlands UFO-Akten“ (2021) und gerade neu erschienen „Deutschlands historische UFO-Akten“ von GreWi-Hrsg. Andreas Müller.
© Andreas Müller f. grenzwissenschaft-aktuell.de