Die meisten Geschichten über menschliche Ursprünge sind nicht mit bekannten Fossilien kompatibel

Der letzte gemeinsame Vorfahr von Schimpansen und Menschen ist der Ausgangspunkt der Evolution von Menschen und Schimpansen. Fossile Affen spielen eine wesentliche Rolle bei der Rekonstruktion der Natur unserer Affenherkunft. Copyright: Christopher M. Smith
Lesezeit: ca. 3 Minuten
Der letzte gemeinsame Vorfahr von Schimpansen und Menschen ist der Ausgangspunkt der Evolution von Menschen und Schimpansen. Fossile Affen spielen eine wesentliche Rolle bei der Rekonstruktion der Natur unserer Affenherkunft. Copyright: Christopher M. Smith

Der letzte gemeinsame Vorfahr von Schimpansen und Menschen ist der Ausgangspunkt der Evolution von Menschen und Schimpansen. Fossile Affen spielen eine wesentliche Rolle bei der Rekonstruktion der Natur unserer Affenherkunft.
Copyright: Christopher M. Smith

New York (USA) – Eine neue wissenschaftliche Review, befasst sich mit den wichtigsten Entdeckungen bei der Entstehung von Homininen seit Darwins Werken zur Evolutionstheorie und argumentiert, dass fossile Affen uns über wesentliche Aspekte der Affen- und menschlichen Evolution informieren können, einschließlich der Natur unseres letzten gemeinsamen Vorfahren.

Seit Charles Darwin vor rund 150 Jahren erstmals annahm, dass der moderne Mensch aus Afrika stammt, ist die Anzahl der Arten im Stammbaum des Menschen regelrecht explodiert, zugleich aber auch der Streit um die frühe menschliche Evolution.  Fossile Affen stehen oft im Mittelpunkt der Debatte, wobei einige Wissenschaftler ihre Bedeutung für die Ursprünge der menschlichen Linie (die sog. „Hominine“) ablehnen und andere ihnen evolutionäre Rollen verleihen.

Wie das Team um Sergio Almécija, leitender Wissenschaftler in der Abteilung für Anthropologie des American Museum of Natural History aktuell im Fachjournal „Science“ (DOI: 10.1126/science.abb4363) einführend erläutert, haben sich die Menschen vor etwa 9,3 Millionen bis 6,5 Millionen Jahren gegen Ende des sog. Miozäns von den Affen – insbesondere der Schimpansenlinie – unterschieden.

Um die Herkunft der Hominine zu verstehen, versuchen Paläoanthropologen, die physischen Eigenschaften, das Verhalten und die Umgebung des letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen zu rekonstruieren. „Wenn man sich die Erzählung über die Herkunft der Homininen ansieht, ist das nur ein großes Durcheinander – es gibt überhaupt keinen Konsens“, erklärt Almécija und führt dazu weiter aus: „Verschiedene Wissenschaftler arbeiten unter völlig unterschiedlichen Paradigmen, und das sehe ich in anderen Bereichen der Wissenschaft nicht.“

Hintergrund
Tatsächlich gibt es zwei Hauptansätze zur Lösung des Problems der menschlichen Herkunft: Die sogenannte „Top-down“-Methode, die auf der Analyse lebender Affen, insbesondere Schimpansen, beruht; und jene des „Bottom-up“, was dem größeren Zweig der meist ausgestorbenen Affen Bedeutung beimisst. So nehmen einige Wissenschaftler beispielsweise an, dass Hominine von einem Schimpansen-ähnlichen Vorfahren stammen. Andere argumentieren, dass die menschliche Abstammung von einem Vorfahren stammt, der in einigen seiner Merkmale einigen der seltsamen Affen des Miozäns ähnlicher ist.

Bei ihrer Review, also der Überprüfung bisheriger Studien zu diesen unterschiedlichen Ansätzen diskutieren Almécija und Kollegen deren Expertisen von der Paläontologie über funktionelle Morphologie bis hin zur Phylogenetik reichen, ausschließlich jene Grenzen eines der gegensätzlichen Ansätze für das Problem der Homininherkunft. Der Grund: „‘Top-down‘-Studien ignorieren manchmal die Realität, dass lebende Affen (Menschen, Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans und Hylobatiden) nur die Überlebenden einer viel größeren und heute größtenteils ausgestorbenen Gruppe sind. Andererseits neigen Studien, die auf dem „Bottom-up“ -Ansatz basieren, dazu, einzelnen fossilen Affen eine wichtige evolutionäre Rolle zu geben, die zu einer bereits existierenden Erzählung passt.“

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„In seinem Werk „Die Abstammung des Menschen“ spekulierte Darwin 1871 darüber, dass Menschen in Afrika von einem Vorfahren abstammen, der sich von allen lebenden Arten unterscheidet. Angesichts der damaligen Knappheit an Fossilien blieb er jedoch vorsichtig“, erläutert Almécija. „150 Jahre später wurden in Ost- und Zentralafrika mögliche Hominine gefunden, die sich der Zeit der Divergenz zwischen Mensch und Schimpanse nähern, und einige behaupten sogar in Europa. Darüber hinaus sind inzwischen mehr als 50 fossile Affengattungen in ganz Afrika dokumentiert und Eurasien. Viele dieser Fossilien weisen jedoch Mosaikkombinationen von Merkmalen auf, die nicht den Erwartungen der alten Vertreter der modernen Affen und der menschlichen Abstammung entsprechen. Infolgedessen besteht kein wissenschaftlicher Konsens über die evolutionäre Rolle dieser fossilen Affen.“

Insgesamt stellten die Forscher fest, dass die meisten Geschichten über den menschlichen Ursprung nicht mit den Fossilien kompatibel sind, wie sie mittlerweile vorliegen haben.

„Lebende Affenarten sind spezialisierte Arten, Relikte einer viel größeren Gruppe inzwischen ausgestorbener Affen. Wenn wir alle Beweise betrachten, d.h. sowohl lebende als auch fossile Affen und Hominine, wird klar, dass eine menschliche Evolutionsgeschichte, die auf den wenigen heut lebenden Affenarten basiert, ein Großteil des Gesamtbildes außer ahct lässt“, sagt die Co-Autorin der Studie, Ashley Hammond, stellvertretende Kuratorin in der Abteilung für Anthropologie des Museums. Kelsey Pugh, Postdoktorand im Museum und ebenfalls Co-Autor der Studie, fügt hinzu: „Die einzigartigen und manchmal unerwarteten Merkmale und Kombinationen von Merkmalen, die wir bei fossilen Affen beobachten können und die sich oft von denen lebender Affen unterscheiden, sind notwendig, um zu verstehen, welche Homininen-Merkmale wir von unserem Affenvorfahren geerbt haben und  einzigartig in unserer Linie sind.“

Nur lebende Affen heranzuziehen, bietet laut den Autoren unzureichende Beweise. „Aktuelle unterschiedliche Theorien bezüglich der Evolution von Affen und Menschen wären viel besser aufgestellt, wenn neben frühen Homininen und lebenden Affen auch miozäne Affen in die Gleichung einbezogen würden“, sagt Almécija abschließend. „Mit anderen Worten, fossile Affen sind unerlässlich, um jenen ‚Ausgangspunkt‘ zu rekonstruieren, von dem aus sich Menschen und Schimpansen entwickelt haben.“




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Quelle: American Museum of Natural History

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