DNA-Studie offenbart falsche Vorstellungen über Wikinger

Symbolbild: Obwohl Mythen - wie die hier gezeigten gehörnten und geflügelten Helme - längst widerlegt sind, prägen noch immer romantisierte Vorstellungen auch das moderne Bild von Wikingern. Copyright: Gemeinfrei
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Symbolbild: Obwohl Mythen - wie die hier gezeigten gehörnten und geflügelten Helme - längst widerlegt sind, prägen noch immer romantisierte Vorstellungen auch das moderne Bild von Wikingern. Copyright: Gemeinfrei

Symbolbild: Obwohl Mythen – wie die hier gezeigten gehörnten und geflügelten Helme – längst widerlegt sind, prägen noch immer romantisierte Vorstellungen auch das moderne Bild von Wikingern.
Copyright: Gemeinfrei

Cambridge (Großbritannien) – Die bislang umfangsreichste Genomanalyse von Wikingerskeletten zeigt, dass einige grundlegende bisherige Vorstellungen über die Nordmannen nicht vollständig und teilweise schlicht falsch sind.

Das heutige Bild der Wikinger ist meist geprägt von Vorstellungen brutaler Piraten und brandschatzender Krieger, die aus dem heutigen Skandinavien kommend, das restliche, beschiffbare Europa überfielen und Furcht und Schrecken verbreiteten.

Doch das Bild dieser Barabaren bröckelt zusehends, wie Grenzwissenschaft-Aktuell.de schon mehrfach berichtete (siehe weiterführende Links am Ende dieser Meldung…). Jetzt haben dänische und britsiche Genetiker die bislang umfangreichste Genomanalyse anhand bekannter Wikinger-Skelette aus ganz Europa und Grönland durchgeführt und ofenbaren damit weitere bisherige Irrtümer über die Krieger aus dem Norden.

Zu den Schlüsselfunden der im Fachjournal „Nature“ (DOI: 10.1038/s41586-020-2688-8) veröffentlichten Studie zählen u.a. folgende Erkenntnisse:

– Bei Skeletten, die in berühmten Wikinger-Begräbnisstätten in Schottland (also außerhalb des eigentlich Wikinger-Stammlandes) gefunden wurden, handelt es sich in Wirklichkeit nicht um gebürtige Wikinger, sondern um Einheimische, die Wikinger-Identitäten, Lebensweise und Bräuche angenommen hatten und in der Folge auch als Wikinger bestattet wurden.

– Zahlreiche Wikinger hatten keine blonden, sondern braune Haare.

– Die Wikinger-Identität beschränkt sich nicht nur auf Menschen mit genetischen Wurzeln in Skandinavien – zeigt die Studie doch, dass Skandinavien schon vor der Zeit der Wikinger, genetisch stark auch von Menschen aus dem „Ausland“, wie Asien und Südeuropa beeinflusst und geprägt worden war.

– Die frühen Wikinger-Plünderungen waren Aktivitäten, die lokal sehr begrenzt ausgeführt wurden und sich auch enge Familienmitglieder beschränkten.

Wie das Team um Dr. Daniel Lawson von der University of Bristol. Professor Eske Willerslev vom St John’s College an der University of Cambridge und zugleich Direktor des The Lundbeck Foundation GeoGenetics Centre an der Universität Kopenhagen berichtet, verändere das Ergebnis der sechsjährigen Untersuchung unser bisheriges Bild von den Wikingern grundlegend: „Es gibt da das stark von Literatur und anderen Medien beeinflusste Bild von den Wikingern als untereinander stark über Blutsbande verbundenes und isoliertes Kriegervolk, das plündernd gegen europäische Könige kämpfte. Genetisch haben wir nun aber erstmals gezeigt, dass diese Vorstellung nicht die wirkliche Welt der Wikinger abbildet. Unsere Studie verändert unser Bild davon, was ein Wikinger wirklich war. Tatsächlich hatten auch wir uns einen derart bedeutenden Genfluss zwischen Skandinavien, Südeuropa und Asien in Zeiten vor und während der Zeit der Wikinger zunächst nicht wirklich erwartet.“

Hintergrund
Die Bezeichnung Wikinger leitet sich von dem skandinavischen Begriff „Vikingr“ ab, der soviel bedeutet wie „Seekrieger“, „Pirat“ (..oder auch „Männer aus den Buchten“). Als Wikingerzeit wird die Periode von etwa 793 bis 1066 n. Chr. bezeichnet. Tatsächlich haben die Wikinger nicht nur die politische, sondern auch die genetische Landschaft Europas und darüber hinaus verändert: So wurde Knut der Große König von England. Leif Eriksson gilt mittlerweile als Entdecker Nordamerikas – erreichten er und seine Mannschaft den nordamerikanischen Kontinent doch 500 Jahre vor Christopher Columbus und Olaf Tryggvason gilt als Verbreiter des Christentums in Norwegen. Ziel zahlreicher Plünderungen entlang der europäischen Küsten durch die Wikinger war nicht hauptsächlich die Zerstörung von Klöstern und Städten, sondern die Einrichtung von Handelsposten.

„Dass die Wikinger genetisch so vielfältig waren, war bislang nicht bekannt”, so Willerslev weiter. „Jetzt aber sehen wir teils deutliche genetische Unterschied zwischen unterschiedlichen Wikingerpopulationen selbst innerhalb Skandinaviens. Das zeigt uns, das einige Wikinger-Gruppen sehr viel isolierter voneinander waren, als bislang gedacht.“

Das Studienergebnis widerlege zudem das moderne Bild von vornehmlich blonden Wikingern: “Tatsächlich finden sich ebenso viele braunhaarige Wikinger unter den Wikinger-Skeletten wie blonde, was den genetischen Einfluss von außerhalb Skandinaviens belegt.“

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Insgesamt haben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die vollständigen Genome von 442 Wikinger-Männern, -Frauen, -Kindern und -Kleinkindern aus bekannten Wikingergräbern und -Friedhöfen untersucht – darunter auch die sterblichen Überreste von vier Wikinger-Brüdern, die am gleichen Tag gestorben und auf in einem Begräbnis-Boot beigesetzt wurden.

Analysen von Wikinger-Skeletten von den schottischen Orkney-Inseln zeigen zudem, dass es sich bei den Männern trotz ihrer Wikingerausrüstung und sonstigen Grabbeigaben genetisch betrachtet gar nicht um Wikinger gehandelt hatte.

Auch die sterblichen Überreste von 50 geköpften Wikingern aus einem Massengrab im südenglischen Dorset wurden für die aktuelle Studie analysiert. Copyright: Dorset County Council/Oxford Archaeology

Auch die sterblichen Überreste von 50 geköpften Wikingern aus einem Massengrab im südenglischen Dorset wurden für die aktuelle Studie analysiert.
Copyright: Dorset County Council/Oxford Archaeology

Während es zur Zeit der Wikinger noch gar kein eigenes Wort für „Skandinavien“ gab, zeigen die aktuellen Untersuchungen dennoch, dass Wikinger aus dem heutigen Norwegen sich vornehmlich nach Irland, Schottland und Grönland wandten, während Wikinger aus Dänemark nach England reisten und die schwedischen Wikinger die heutigen baltischen Staaten buchstäblich in Angriff nahmen.

Unsere Ergebnisse können einige alte historische Fragen genetisch beantworten und sie bestätigen einige frühere Vermutungen, für die es bislang aber noch keine Beweise gab”, fügt Dr. Ashot Margaryan, Assistenzprofesor für Genomik an der Universität Kopenhagen erläuternd hinzu. „Wir sehen nun, dass eine Wikinger-Überfallgruppen zwar enge Familienmitglieder beinhaltet hatten (etwa die bereits erwähnten Brüder, deren Skelette in einem Boot in Estland gefunden wurden), dass aber auch der Rest der Besatzung genetisch verwandt waren. Dieser Umstand legt nahe, dass diese Krieger alle aus dem selben kleinen schwedischen Dorf stammten.“

Wikinger waren demnach genetisch betrachtet also nicht einfach nur Skandinavier, sondern durchmischt mit Menschen mit südeuropäischen und asiatischen Erbgut-Wurzeln – ein Umstand, der bislang noch nicht in Betracht gezogen worden war. „Tatschlich weisen viele Wikinger-Skelette sogar einen recht hohen Anteil nicht-skandinavischer Vorfahren auf und belegen damit einen fortwährenden Genfluss quer durch Europa“, so die Forscher.

Zudem zeigen die Ergebnisse der Studie, dass sogar schottische Pikten zu Wikingern wurden, ohne sich mit Skandinaviern genetisch zu vermischen. Die Pikten waren eigentlich keltisch-sprachige Menschen, die während der späten britischen Eisenzeit und im frühen Mittelalter im heutigen östlichen und nördlichen Schottland lebten.

“Die skandinavische Diaspora etablierte Handelsrouten und Siedlungen von Nordamerika, über den europäischen Kontinent bis hinein in die asiatische Steppe. Die Wikinger exportierten Ideen, Technologie, Sprache, ihren Glauben und Praktiken und sie entwickelten neue sozio-politische Strukturen“, erläutert Mitautor Professor Søren Sindbæk, vom Moesgaard Museum in Dänemark. „Unsere Ergebnisse zeigen nun aber, dass die Wikinger-Identität sich nicht auf eine skandinavische Herkunft beschränkte.“




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Quelle: University of Cambridge, Nature

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