Doch Biomarker auf der Venus? – Venus Phosphin-Update
Cambridge (USA) – Ein Jahr nach der Bekanntgabe des Nachweises des potenziellen Biomarkers Phosphin in ebenso potenziell lebensfreundlichen Schichten der Venusatmosphäre ist die Entdeckung und ihre entsprechende Interpretation als starker Hinweis auf mikrobisches Leben auf der Venus weiterhin wissenschaftlich umstritten. Einige Mitglieder des ursprünglichen Entdeckerteams haben nun neue Daten, Diskussionen und Folgerungen vorgelegt, die die ursprüngliche Entdeckung und Interpretation des Phosphin-Signals als potenzieller Biomarker einmal mehr stützen.
– Bei dem folgenden Text handelt es sich um eine Übersetzung des Originalartikels von Dr. Janusz Petowkski und Prof. Sara Seager vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) durch Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWi) mit ausdrücklicher Genehmigung der Autoren. Dieser Originalartikel mit dem Titel „Venus Phosphone Update“ wurde erstmals am 29. November 2021 auf der von Prof. Sara Seager, Dr. Janusz Petkowski und Dr. William Bains betriebenen MIT-Webseite „The Search for Life in Venus’ Clouds“ veröffentlicht.
Ein Jahr nach der Bekanntgabe der Detektion von Phosphin-(PH3)-Gas in der Venusatmosphäre (1, …auch GreWi berichtete) bleibt die Entdeckung höchst umstritten. Die ursprüngliche PH3-Detektion basiert auf einer Absorptionslinie mit einer Wellenlänge von einem Millimeter, dem Rotationsübergang PH3 1-0 bei einer Wellenlänge von 1,123 mm. Das spektrale Merkmal wurde von zwei unabhängigen Einrichtungen beobachtet, den beiden Teleskopen James Clerk Maxwell (JCMT) und der Atacama Large Millimeter Array (ALMA) (1). Die jüngsten Konfidenzniveaus liegen bei 6 bzw. 7,7 s (2).
Seit der ersten Bekanntgabe der ursprünglichen Ergebnisse haben mehrere Studien die Entdeckung von PH3 auf der Venus in Frage gestellt. Zum einen wurde infrage gestellt, ob das Signal auch basierend auf unabhängigen Datenanalysen (3–6) echt sei. Eine andere Frage lautete, ob die spektrale Eigenschaft nicht auch von Schwefeldioxid (SO2) über den Venus-Wolken statt von PH3 auf Wolkenniveau verursacht werden konnte (4, 7).
Nachfolgend geben wir einen Überblick über die wissenschaftliche Debatte seit der Erstbekanntmachung vom September 2020.
Ist das Signal echt?
Das ALMA PH3-Signal wurde von mehreren Gruppen infrage gestellt, darunter Ignas Snellen (2020) (5), Geronimo Villanueva (2021) (4) und Alex Akins (2021) (3). Professor Jane Greaves und Team antworteten auf die Argumente dieser Kritiken in drei aufeinanderfolgenden Arbeiten (2, 8, 9) und zeigten ein Wiederauffinden des ALMA-Signals mit mehreren Methoden. Eine Methode befasst sich mit der Kritik an der Datenbereinigung unter Verwendung eines Polynoms 12. Ordnung, indem eine nicht-subjektive Methode ohne ein Polynom-Anpassungsverfahren verwendet wurde (8, 9).
Hintergrund
Phosphin ist ein Molekül aus einem Phosphor- und drei Wasserstoffatomen, die normalerweise nicht zusammenkommen. Es erfordert enorme Energiemengen, beispielsweise in den extremen Umgebungen von Jupiter und Saturn, die Atome mit genügend Kraft zu zerschlagen, um ihre natürliche Abneigung zu überwinden. Tatsächlich wurde Phosphin bereits in den 1970er Jahren in den Atmosphären von Jupiter und Saturn, also von großen Gasplaneten – entdeckt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Molekül im Innern dieser Gasriesen regelrecht zusammengeballt wurde und, wie Sousa-Silva und Kollegen es beschreiben, “von gewaltigen Konvektions-Stürmen in Planetengröße gewaltsam erzeugt wurde.
Die JCMT-Detektion wurde 2021 von Mark Thompson infrage gestellt (6). In der Reaktion ihres Teams verwendet Jane Greaves ähnliche Datenanalysemethoden wie Thompson und stellte das Signal wieder her (8, 9). Auch andere Gruppen konnten das JCMT-Signal wiedergewinnen (4, 7).
Motiviert durch die gemeinschaftliche Prüfung der Daten, überprüften die Mitarbeiter des ALMA-Observatoriums ihr Kalibrierungsverfahren und stellten fest, dass ihre Standardkalibrierungsverfahren für die Venus – ein außergewöhnlich helles Ziel – ungeeignet sind. Das gemeinsame ALMA-Observatorium gab daraufhin eine überarbeitete Kalibrierung der Daten heraus (https://www.almaobservatory.org/en/announcements/newly-processed-venus-alma-data-made-available-to-the-community/). Jane Greaves analysierte die Daten erneut und stellte erneut das Signal wieder her (8, 9), wenn auch mit einer geringeren Signifikanz als die ursprüngliche Analyse.
Woher kommt das PH3 in der Atmosphäre?
Die genaue Höhe, aus der die JCMT- und ALMA-Signale stammen, ist nicht einfach zu bestimmen. Ein Grund dafür ist der, dass, um sicherzustellen, dass alle möglichen instrumentellen Artefakte entfernt werden, auch die Ausläufer (wings) der spektralen Merkmalslinien unterdrückt werden. Mit anderen Worten, die Stärke dieser Ausläufer der spektralen Merkmalslinie ist sehr empfindlich gegenüber dem Datenanalyseverfahren. Der Linienausläufer enthält Informationen zu den atmosphärischen Höhen, aus denen das Signal stammt. Die genaue Höhe ist aber wichtig, denn wenn wir Phosphin mit Leben in Verbindung bringen wollen, denn hierzu muss es aus atmosphärischen Schichten stammen, in denen die Temperatur für Leben geeignet ist.
Zwei Studien (4, 7) stützen die Idee, wonach das Signal SO2 (Schwefeldioxid) ist und aus Höhen über den Wolken stammen muss, also aus der „Mesosphäre“, wo es jedoch zu kalt für Leben wäre. Das Gegenargument ist, dass das Signal kein SO2 (2) sein kann, da es zufällig fast gleichzeitige eindeutige Messungen von SO2 gab (siehe folgender Punkt unten).
Wir betonen auch, dass PH3 selbst wahrscheinlich nicht in der Mesosphäre vorhanden ist, da die photochemische Zerstörung von PH3 (Phosphin) über den Wolkenschichten sehr schnell vor sich geht und PH3 hier eine Halbwertszeit von nur wenigen Sekunden besitzt (10). Darüber hinaus liefern Beobachtungen im Infrarotbereich deutliche Obergrenzen für die Häufigkeit von PH3 oberhalb der Venuswolken (im unteren ppb- bis sub-ppb-Bereich) (11, 12). Eine Möglichkeit ist, dass vertikale Winde und turbulente Bewegungen der Atmosphäre über den Wolken viel stärker und effizienter sind als erwartet und das PH3 sehr schnell in die Mesosphäre tragen.
Der Nachweis von PH3 durch die Sonde „Pioneer Venus“ in den Wolkenschichten (13) weist allerdings ebenfalls auf den Ursprung des PH3 in den Wolkenschichten hin.
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Stammt das Signal von PH3 oder SO2?
Mehrere Autoren schlagen vor, dass das Signal von JCMT-Teleskopmessungen auf mesosphärisches SO2 und nicht auf PH3 zurückgeführt werden kann (4, 7). Glücklicherweise hilft hier eine JCMT-Beobachtung nur wenige Tage vor der JCMT-PH3-Detektion dabei, eine SO2-Kontamination auszuschließen. Zum Hintergrund: das SO2-Spektralmerkmal, das sich teilweise mit dem PH3-Spektralmerkmal überlappt, besteht aus einer schwachen Spektrallinie mit einem höheren Übergang als jene Spektralmerkmale, die normalerweise zum Erfassen und Messen von SO2 verwendet werden. Es muss also viel SO2 vorhanden sein, um die schwache Linie sichtbar zu machen. Jane Greaves und ihr Team argumentieren, dass diese nahezu gleichzeitige Beobachtung anderer spektraler SO2-Absorptionsmerkmale mit JCMT nun bedeutet, dass die potenzielle Kontamination der SO2-Linien weniger als 10 % des beobachteten Signals beträgt (2), was SO2 als plausiblen Kandidaten für das ursprüngliche JCMT-Signal praktisch ausschließt. PH3 bleibt daher mit dem beobachteten JCMT-Signal konsistent. (Es bleibt aber natürlich immer eine geringe Möglichkeit bestehen, dass die spektrale Eigenschaft durch ein anderes, bislang unbekanntes Gas verursacht wird.)
Ein unabhängiger Beweis für PH3 in den Wolken
Eine erneute Analyse älterer Daten, die vom „Pioneer Venus Neutral Gas Mass Spectrometer“ (LNMS) der NASA (13) in 51,3 km Höhe gesammelt wurden, zeigt Hinweise auf PH3 in den Wolken der Venus. Das Massenspektrometer ionisierte Gase und beschleunigte sie durch ein Magnetfeld, wodurch die Mutterionen nach Masse und Ladung getrennt wurden. Die registrierten P-haltigen Ionen (+P, aber auch +PH3, +PH2 und +PH2D) liegen in einem Muster vor, das mit PH3 über anderen P-haltigen Gasen durch die Detektion von Ionen in Folge einer PH3-Fragmentation, hauptsächlich durch die Detektion von Phosphorions +P Ionen, aber auch +PH3-, +PH2- und +PH2D-Ionen in Verbindung gebracht wird:
Erstens ist PH3 das einzige P-haltige Molekül, das zu den Daten passt und in Gasform in 51,3 km Höhe der Venus vorliegt.
Zweitens überlappt +P nicht mit anderen neutralen Gasmassenfragmenten, die in der Venusatmosphäre erwartet werden, was +P zu einem einzigartigen und robusten Nachweis macht. Die PH3-Häufigkeit liegt im mittleren bis hohen ppb-Bereich.
Man könnte nun argumentieren, dass es eine sehr kleine Menge von z. B. Phosphorsäuredampf geben könnte, die zu +P fragmentiert sein könnte, aber die einen solchen Vorgang bestätigenden Säurefragmentierungsionen wurden nicht nachgewiesen, hätten hierfür aber nachgewiesen werden müssen.
Wir stehen also weiterhin zur Existenz des atmosphärischen Phosphins der Venus, während wir anerkennen, dass die Debatte möglicherweise nie beigelegt wird, bis neue In-situ-Messungen (vor Ort) in der Venusatmosphäre vorliegen.
(1) J. S. Greaves, et al., Phosphine gas in the cloud decks of Venus. Nat. Astron. 5, 655–664 (2021).
(2) J. S. Greaves, et al., Low Levels of Sulphur Dioxide Contamination of Phosphine Spectra from Venus’ Atmosphere. arXiv Prepr. arXiv2108.08393 (2021).
(3) A. B. Akins, A. P. Lincowski, V. S. Meadows, P. G. Steffes, Complications in the ALMA Detection of Phosphine at Venus. Astrophys. J. Lett. 907, L27 (2021).
(4) G. L. Villanueva, et al., No evidence of phosphine in the atmosphere of Venus from independent analyses. Nat. Astron. 5, 631–635 (2021).
(5) I. A. G. Snellen, L. Guzman-Ramirez, M. R. Hogerheijde, A. P. S. Hygate, F. F. S. van der Tak, Re-analysis of the 267 GHz ALMA observations of Venus-No statistically significant detection of phosphine. Astron. Astrophys. 644, L2 (2020).
(6) M. A. Thompson, The statistical reliability of 267-GHz JCMT observations of Venus: no significant evidence for phosphine absorption. Mon. Not. R. Astron. Soc. Lett. 501, L18–L22 (2021).
(7) A. P. Lincowski, et al., Claimed detection of PH3 in the clouds of Venus is consistent with mesospheric SO2. Astrophys. J. Lett. 908, L44-52 (2021).
(8) J. S. Greaves, et al., Reply to: No evidence of phosphine in the atmosphere of Venus from independent analyses. Nat. Astron. 5, 636–639 (2021).
(9) J. S. Greaves, et al., Addendum: Phosphine gas in the cloud deck of Venus. Nat. Astron. 5, 726–728 (2021).
(10) W. Bains, et al., Phosphine on Venus Cannot be Explained by Conventional Processes. Astrobiology 21 (2021).
(11) T. Encrenaz, et al., A stringent upper limit of the PH3 abundance at the cloud top of Venus. Astron. Astrophys. 643, L5 (2020).
(12) L. Trompet, et al., Phosphine in Venus’ atmosphere: Detection attempts and upper limits above the cloud top assessed from the SOIR/VEx spectra. Astron. Astrophys. 645, L4 (2020).
(13) R. Mogul, S. S. Limaye, M. J. Way, J. A. Cordova, Venus’ Mass Spectra Show Signs of Disequilibria in the Middle Clouds. Geophys. Res. Lett., e2020GL091327 (2021).
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