Künstlerische Darstellung eines erdähnlichen, lebensfreundlichen Exoplaneten (Illu.).
Copyright: grenzwissenschaft-aktuell.de
Bern (Schweiz) – Bislang nutzten Astrophysiker aufwendige Computermodelle zur Analyse der Atmosphärenchemie ferner Welten. Ein Schweizer Wissenschaftler hat nun eine Formel zur Berechnung der Häufigkeit bestimmter Moleküle in den Atmosphären von Exoplaneten entwickelt, mit der er das Ergebnis tausende Male schneller als mit herkömmlichen Computercodes ermittelt. Mit ihrer Hilfe wollen Wissenschaftler klären, ob physikalische, geologische oder biologische Prozesse hinter beobachteten Messwerten stehen.
Wie Kevin Heng, Direktor des Center for Space and Habitability (CSH) an der Universität Bern in einem zukünftigen Artikel im „Astrophysical Journal“ und vorab auf ArXiv.org berichten, ist es schon heute möglich, die Atmosphären einiger Exoplaneten – also Planeten außerhalb unseres Sonnensystems – zu charakterisieren. Entspricht eine Beobachtung den auf der Grundlage von Modellen basierenden Erwartungen oder sorgt sie für eine Überraschung? Um diese Frage zu beantworten, berechnen Theoretiker die erwartete Häufigkeit von Molekülen in der Planetenatmosphäre.
www.grenzwissenschaft-aktuell.de
+ HIER können Sie den täglichen GreWi-Newsletter bestellen +
„In der Sonne und den anderen Sternen ist jeweils ein bestimmter Anteil chemischer Elemente wie Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff enthalten“, erklärt Heng und führt weiter aus: „Und es gibt viele klare Hinweise, dass die Planeten aus dieser Sternsubstanz geformt werden.“ Während aber die chemischen Elemente in den Sternen als Atome vorkommen, bilden sie bei den tieferen Temperaturen in der Atmosphäre der Exoplaneten verschiedene Moleküle – je nach Temperatur und Druck. „So kommt beispielsweise bei niedriger Temperatur der meiste Kohlenstoff in Form von Methan (CH4) vor, bei hoher Temperatur hingegen als Kohlenmonoxid (CO)“, erläutert die Pressemitteilung der Berner Universität. „Kohlenstoff kann auf sehr viele Arten chemisch reagieren. Deshalb sind herkömmliche Berechnungen komplex und sehr zeitaufwändig.“
Heng hat nun einen Weg gefunden, mit dem 99 Prozent des Problems auf dem Papier und zudem sehr viel schneller gelöst werden kann: „Normalerweise löst man ein System von sogenannten gekoppelten, nichtlinearen Gleichungen. Mir ist es gelungen, das Problem auf eine einzige Polynomgleichung zu reduzieren, indem ich das Gleichungssystem auf dem Papier entkoppelt habe, anstatt einen Computer zu benutzen“, erläutert der Wissenschaftler. „Die Lösung dieser Polynomgleichung benötigt dann einen Bruchteil der ursprünglichen Computerzeit.“
Hengs Formel reduziert so den Hauptteil des Programms auf nur noch eine Computercode-Zeile. Auf diese Weise können nun die Chemie in einer Exoplaneten-Atmosphäre in gerade einmal 0,01 Sekunden (also 10 Millisekunden) statt in einigen Minuten berechnet werden.
Eine Grafik mit Kurven, wie sie die relative Häufigkeit von verschiedenen Molekülen in Abhängigkeit der Temperatur darstellen, zeigt, wie genau die neue Formel ist: Ein Unterschied zwischen Hengs Berechnungen (Strich-Kurven) und denjenigen, die mit dem komplizierten Computercode erstellt wurden (Kreis-Kurven) ist kaum feststellen.
Copyright/Quelle: Heng et al. / arxiv.org
Dank der enormen Beschleunigung können die verschiedenen Möglichkeiten bei der Interpretation der durch Beobachtungen erlangten Spektren der Planetenatmosphären jetzt gründlicher untersucht werden. Zudem erleichtern Hengs Berechnungen nun auch anderen den Zugang: „Jetzt kann jede Astronomin, jeder Astronom irgendwo auf der Welt die Atmosphärenchemie von Exoplaneten berechnen. Man muss dafür keinen ausgeklügelten Computercode mehr einsetzen. Es macht mir großen Spaß, dass dieses Wissen nun allen Forschenden weltweit zur Verfügung steht.“
Astronomen hoffen, mithilfe der Beobachtung exoplanetarer Atmosphären herauszufinden, wie diese Planeten entstanden sind und welche Prozesse noch heute dort ablaufen. Unterschiede zwischen der beobachteten und der berechneten Häufigkeit von Molekülen könnten auch zwischen geologischen oder biologischen Prozessen unterscheiden: „Wenn wir in 20 oder 30 Jahren eine Exoplaneten-Atmosphäre mit Wasser, Sauerstoff, Ozon und anderen Moleküle entdecken, können wir uns vielleicht fragen, ob wir Leben beobachten», so Kevin Heng abschließend: „Zuerst müssen wir aber prüfen, ob sich die Daten mit Physik oder Geologie erklären lassen.“
© grenzwissenschaft-aktuell.de