„Frankfurter Silberinschrift“: Frühestes Zeugnis für Christentum nördlich der Alpen
Mainz (Deutschland) – Der Fund eines römischen Silberamuletts in der Frankfurter Römerstadt Nida offenbarte eine archäologische Sensation: Im Innern des kleinen Röhrchens fand sich eine zusammengerollte und beschriftete Silberfolie, das nun mithilfe hochauflösender CT-Technik virtuell entrollt und entziffert werden konnte. Die Inschrift offenbart den einstigen Träger als einen der frühesten Christen nördlich der Alpen.
Inhalt
„Der Fund des römischen Silberamuletts verändert unser Wissen über die frühe Verbreitung des Christentums“, kommentiert Dr. Jörg Stelzner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA). Das 3,5 Zentimeter kleine Amulett wurde schon 2017 in Grab „Nummer 134“ am Hals eines männlichen Skeletts aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. im römischen Gräberfeld „Heilmannstraße“ in Frankfurt-Praunheim entdeckt und in die Zeit von 230 bis 270 n. Chr. datiert. Nach der Restaurierung im Archäologischen Museum Frankfurt zeigten erste Röntgenaufnahmen schon 2020, dass das Silberamulett eine Inschrift trägt. Da die gerade einmal 63 Mikrometer starken Silberfolie jedoch durch die lange Lagerung spröde und zerknickt war, war ein physisches Entrollen nicht möglich.
Kleines Amulett großer Inhalt
Bei dem Amulett handelt es sich um ein sogenanntes Phylakterium, ein am Körper getragener Behälter, der meist magischen Inhalt oder (in späterer Zeit) Reliquien barg und den Träger beschützen sollte. „Im 3. Jahrhundert nach Christus, in einer Zeit, in der das Christentum noch Repressalien ausgesetzter, aber sich stetig ausbreitender Kult war, war es durchaus ein Risiko, sich als Christ zu erkennen zu geben“, so die Pressemitteilung der Stadt Frankfurt. „Einem Mann aus Frankfurt war sein Glaube jedoch offenbar so wichtig, dass er ihn mit ins Grab nahm. Inwieweit er seinen Glauben auch hatte praktizieren und bekennen können oder ob der Inhalt des Amuletts sein Geheimnis blieb, muss offenbleiben.“ Auf jeden Fall verdeutliche der Text, dass Nida in dieser Zeit keinesfalls eine periphere Grenzregion war, sondern im Vorfeld der Provinzhauptstadt Mogontiacum/Mainz an kulturellen Einflüssen aus dem ganzen Imperium Anteil hatte, zumal die Bevölkerung ohnehin aus verschiedenen Teilen des Weltreiches kam.
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Um die Silberfolie virtuell zu entrollen, nutzen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen modernste Computertomografie und enthüllten damit einen einzigartigen Text, der den Glauben des Trägers bezeugt. Laut Prof. Markus Scholz von der Goethe-Universität Frankfurt zeigte der Text außergewöhnlich elaborierte Formulierungen, die bisher erst Jahrzehnte später bezeugt waren:
(Im Namen?) des Heiligen Titus.
Heilig, heilig, heilig!
Im Namen Jesus Christi, Gottes Sohn!
Der Herr der Welt
widersetzt sich nach [Kräften?]
allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?).
Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden
Eintritt.
Dieses Rettungsmittel(?) schütze
den Menschen, der sich
hingibt dem Willen
des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn,
da sich ja vor Jesus Christus
alle Knie beugen: die Himmlischen,
die Irdischen und
die Unterirdischen, und jede Zunge
bekenne sich (zu Jesus Christus).
Die Auswertung der Bedeutung des Fundes durch Fachleute für das frühe Christentum und Theologinnen und Theologen steht nun erst am Anfang. „Einige der im Text enthaltenen Formulierungen waren bislang erst viele Jahrzehnte später bezeugt“, führt die Pressemitteilung weiter aus. „So findet sich am Anfang der ‚Frankfurter Silberinschrift‘ eine Nennung des Heiligen Titus, eines Schülers und Vertrauten des Apostels Paulus. So wie die eigentlich erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. in der christlichen Liturgie bekannte Anrufung „Heilig, heilig, heilig!“ (Trishagion). Der Text enthält am Ende mit „Die Knie beugen“ zudem ein fast wörtliches Zitat aus dem sog. Christushymnus des Paulus aus seinem Brief an die Philipper (hier: Phil. 2, 10-11).“
Ungewöhnlich sei zudem, dass es in der Inschrift keinen Hinweis auf einen anderen Glauben neben dem Christentum gibt. „Normalerweise ist bis ins 5. Jahrhundert hinein bei Edelmetallamuletten dieser Art immer eine Mischung verschiedener Glaubensrichtungen zu erwarten. Oftmals finden sich noch Elemente aus dem Judentum oder heidnische Einflüsse. Doch in diesem Amulett werden weder Jahwe, der allmächtige Gott des Judentums, noch die Erzengel Raphael, Gabriel, Michael oder Suriel erwähnt, keine Urväter Israels wie Isaak oder Jakob. Und auch keine heidnischen Elemente wie Dämonen. Das Amulett ist rein christlich.“
Einzigartige Einblicke in frühes Christentum
Damit handelt es sich um den frühesten Nachweis reinen Christentums in der Region, mindestens 50 Jahre älter als bisher bekannte Funde. Die Entdeckung biete somit einzigartige Einblicke in die frühe Verbreitung des Christentums und unterstreicht die kulturelle Bedeutung Nidas als zentrale römische Siedlung im Germanien der Spätantike, so Scholz.
Für die Forschenden stellt die Inschrift damit eines bedeutendsten Zeugnisses des frühen Christentums nicht nur nördlich der Alpen, sondern weltweit dar.
Recherchequellen: LEIZA, Stadt Frankfurt
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