GreWi-EXKLUSIV: Preprint-Fachartikel erläutert Hintergründe zum FAST-SETI-Signal

Das mit FAST detektierte Signal (m.r.) aus Richtung des Systems um den Stern Kepler-438. Copyright: Zhang et al, 2022
Lesezeit: ca. 7 Minuten
Das mit FAST detektierte Signal (m.r.) aus Richtung des Systems um den Stern Kepler-438. Copyright: Zhang et al, 2022

Das mit FAST detektierte Signal (m.r.) aus Richtung des Systems um den Stern Kepler-438.
Copyright: Zhang et al, 2022

Peking (China) – Nur wenige Tage nachdem chinesische Radioastronomen von einem „verdächtigen Radiosignal“ berichtet hatten, das sie mit dem weltgrößten Radioteleskop (FAST) aufgefangen hatten und die Meldung umgehend von anderen SETI-Astronomen in Zweifel gezogen oder ihr sogar widersprochen wurde, sorgt ein wissenschaftlicher Fachartikel über eine Detektion mit dem „Five-hundred-meter Aperture Spherical Radio Telescope“ für Interesse. Der Artikel beschreibt das individuelle Schmalband-Signal zur Meldung, das 20 Minuten lang gezielt aus Richtung des Planetensystems um den Zwergstern Kepler-438 aufgefangen. Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWi) erläutert die Entdeckung und Einstufung der Astronomen und hat exklusiv mit an der Auswertung beteiligten SETI-Astronomen gesprochen.

Im Gegensatz zur ersten Meldung über die bereits 2019 mit dem FAST-Teleskop aufgezeichneten ungewöhnlichen Schmalband-Signale (…GreWi berichtete), liegen nun sämtliche Daten und Informationen in einem auf dem Preprint-Server ResearchSquare.com“ veröffentlichten Fachartikel (DOI: DOI: 10.21203/rs.3.rs-1335086/v1) vor. Autoren der Studie sind neben dem Team um den chinesischen SETI-Astronom und Leiter der „China ET Civilization Research Group“ Prof. TongJie Zhang von der Beijing Normal University auch Kollegen um den Direktor des Berkeley SETI Research Center (BSRC), Projektleiter der SETI-Initiative „Breakthrough Listen“, Dr. Andrew Siemion und den SETI-Astronom Dan Werthimer von der University of California Berkeley.

Laut Titel beschreibt der Fachartikel die Ergebnisse der ersten gezielten und bislang empfindlichsten Mehrfachstrahl-Suche nach Schmalbandsignalen von bekannten Exoplanetensystemen mit FAST. Hierbei nahmen die Astronomen und Astronominnen insgesamt 33 bekannte Planetensysteme in einem Frequenzbereich von 1.05 − 1.45 GHz ins Visier. In 29 dieser Systeme sind bereits Planeten innerhalb der lebensfreundlichen Zonen bekannt. 5 dieser Systeme beheimaten zudem erdartige Planeten innerhalb der sogenannten Transitzone unserer Erde. Das bedeutet, dass potenzielle Astronomen dieser Welten unseren Planeten ebenso direkt beobachten könnten, wie wir sie (…GreWi berichtete).

Bei dieser Suche wurde „ein bestimmtes Signal bei 1140.604 MHz aus Richtung von Kepler-438 detektiert, dass zunächst die ersten (SETI-)Auswahlkriterien erfüllt“, berichten die SETI-Forscher. „Obwohl wir bislang noch nicht den genauen Grund dieses Signals bestimmen konnten, legen seine Polarisationseigenschaften nahe, dass es wahrscheinlich auf eine Radio Frequency Interference (RFI), also eine Radio-Interferenz, eine Überlagerung von elektromagnetischen Wellen zurückgeht.“

www.grenzwissenschaft-aktuell.de
+ HIER können Sie den täglichen kostenlosen GreWi-Newsletter bestellen +

Tatsächlich ist es aber gerade die Mehrfachstrahlen-Technologie, von der sich SETI-Astronomen erhoffen, dass klassische RFI von außen, wie sie etwa von nahen bekannten technischen Emissionsquellen wie nahe Mikrowellenherde, Mobilfunk, Flugzeugen, Satelliten usw. ausgehen, ausgeschlossen werden können. Insgesamt deckt das FAST-Teleskop 19 dieser Strahlen (Beams) ab und ein irdisch-technologisches Signal würde sich zwangsläufig innerhalb mehrerer benachbarter dieser Strahlen auf einer Seite des Spektrums, nicht aber auf der gegenüberliegenden abzeichnen.

Mit Ausnahme der nur vierminütigen Beobachtung des Systems HD 111998 wurde jedes der 33 Systeme insgesamt 20 Minuten lang beobachtet. Den Grund zur konzentrierten Suche nach Schmalbandsignalen erläutern die Forschenden wie folgt: “Schmalbandsignale werden von uns Menschen für vielfältige elektromagnetische Kommunikationsformen genutzt und sind ein deutlicher Hinweis auf eine technologische Quelle, da sie nicht von einem natürlich-astrophysikalischen Prozess erzeugt werden können und entweder Teil einer beabsichtigen Übertragung sind oder unbeabsichtigt ins All gelangen.“

Zudem würde sich ein solches schmalbandiges Signal, das von einer fernen Quelle übertragen wird, aufgrund der relativen Beschleunigung des Herkunftsplaneten zur Erde durch den Dopplereffekt in seiner Frequenz leicht verschieben. „Da diese relative Beschleunigung zwischen der Erde und einem (anvisierten) Exoplaneten unwahrscheinlich exakt Null entspricht, werden Signale, die sich nicht verschieben, direkt als RFI gewertet, die von stationären, erdgestützten Interferenzquellen erzeugt werden und tatsächlich den Großteil bislang detektierter Signale ausmachen.“

Zum Signal von Kepler-348 erläutert das Paper: „Ein Signal wurde bei 1140.604 MHz bei unseren Beobachtungen mit Ausrichtung auf Kepler-438 gemacht, dessen Bandbreitenverschiebungsrate (-0.0678) tatsächlich mit einem Sender übereinstimmt, der sich mit einem Exoplaneten bewegt. Es handelt sich bislang um das einzige Ereignis, das nur in Beam 1 und in keinem anderen (der 19) Beams registriert wurde. Das unterscheidet dieses Ereignis von allen anderen von uns detektierten Signalen.“

Hintergrund

Künstlerische Darstellung des Exoplaneten „Kepler-438b“ vor seinem Stern, dem aktiven Roten Zwerg „Kepler-438“ (Illu.). Copyright: Mark A. Garlick/University of Warwick

Künstlerische Darstellung des Exoplaneten „Kepler-438b“ vor seinem Stern, dem aktiven Roten Zwerg „Kepler-438“ (Illu.).
Copyright: Mark A. Garlick/University of Warwick

Bei Kepler-438 handelt es sich um einen Roten Zwergstern im Sternbild Leier, rund 470 Lichtjahre von der Sonne entfernt. Der Stern wird von mindestens einem Exoplaneten umkreist, der am 6. Januar 2015 mit dem NASA-Weltraumteleskop „Kepler“ bekannt gegeben wurde. Der Planet mit der Bezeichnung „Kepler-439b“ ist nur geringfügig größer als die Erde und umkreist einen Stern innerhalb dessen habitabler, also lebensfreundlicher Zone. Aufgrund milder Oberflächentemperaturen könnte dort also flüssiges Wasser – und damit die Grundlage zumindest des irdischen Lebens – existieren. Der Planet galt lange Zeit als vermutlich erdähnlichster bekannter Exoplanet überhaupt. Dann aber stellten Astronomen fest, dass der Planet extrem starker Strahlung durch stellare Ausbrüche und sogar Super-Flares seines Sterns ausgesetzt ist (…GreWi berichtete), die seine Lebensfreundlichkeit infrage stellen. Schon 2018 hatten SETI-Astronomen das System als eines von 14 mit „Kepler“ entdeckten Planetensystemen mit dem Green Bank Telescope nach Radiosignalen in jenen Spektren (1,15 bis 1,73 Gigahertz (GHz) abgesucht, die keiner bekannten natürlichen Radioquelle zugeordnet werden können – damals aber ohne Erfolg (…GreWi berichtete).

Im aktuellen Fachartikel heißt es weiter: „Basierend auf diesem Umstand und der Tatsache, dass das Ereignis 20 Minuten lang anhielt, während derer seine Verschiebungsrate leicht variierte, können wir die Möglichkeit ausschließen, dass es sich um RFI-Quellen außerhalb des Teleskops gehandelt haben könnte – inklusive Flugzeuge. Wir können auch mit Sicherheit sagen, dass während der Ortung kein Satellit oder Weltraumsonde den Strahl (Beam 1) durchflogen hatte und können so die Möglichkeit (irdischer) künstlicher Objekte (als Erklärung) ebenso ausschließen.

Obwohl einige der Eigenschaften des Signals mit denen eines echten ETI Signals (Extraterrestrial Intelligence, außerirdische Intelligenz) übereinstimmen, gibt es weiterhin Hinweise, die uns zu der Vermutung führen, dass es sich bei dem ‚Kepler-438-Ereignis‘ um ein instrumentelles RFI-Signal handelt.“

Zum Thema

Allerdings geben die Autoren und Autorinnen ebenfalls zu bedenken, dass die Eigenschaften des Signals zunächst den Harmonien eines Kristalloszillators (crystal oscillator harmonics) gleichen, das aber die Signalfrequenz keine Verbindung mit den grundlegenden Frequenzen der Kristalloszillatoren im FAST-Teleskop aufweisen. Zudem erscheint das Signal auch nur in Beam 1, womit es wiederum unwahrscheinlich erscheint, dass es etwas mit den Kristalloszillatoren des Instruments zu tun hat.“

Abschließend resümieren die Autoren zum Signal: „Bislang sind wir über die genaue Herkunft und den Entstehungsmechanismus des Kepler-438-Ereignisses unsicher und es braucht weitere experimentelle Folgebeobachtungen. Selbst wenn dieses Ereignis sich doch als instrumentelle Interferenz herausstellen sollte, würde dies eine wichtige Erfahrung zur Identifizierung von RFI bei der zukünftigen Suche nach außerirdischer Intelligenz (SETI) darstellen.“

Soweit die Aussagen des Preprint-Artikels, der wie gesagt noch keine Expertenbegutachtung und -Diskussion durchlaufen hat und entsprechend auch noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht wurde. Die offizielle Lesart – zumindest der an der Detektion und dem Artikel beteiligten westlichen Wissenschaftler und Autoren – ist hingegen eine andere.

Auf Anfrage von GreWi-Herausgeber Andreas Müller bestätigt der an der Studie beteiligte SETI-Astronom Dan Werthimer von der University of California Berkeley zunächst, dass es sich bei dem „Kepler-438-Ereignis“ um jenes Signal handelt, dass zuvor von den chinesischen Kollegen als potenzielles echtes SETI-Signal diskutiert wurde.

Dan Werthimer. Quelle: astro.berkeley.edu

Dan Werthimer.
Quelle: astro.berkeley.edu

Zu der Signal-Detektion erläutert der Wissenschaftler:
Bei diesen Signalen handelt es sich um Radiointerferenzen, wie sie nicht von Außerirdischen, sondern Radioverunreinigungen durch uns Erdlinge stammen. Wir verwenden hier den Begriff „
RFI“ für „RadioFrequenz Interferenz“ (radio frequency interference). Diese können von Mobiltelefonen, TV-Sendelagen, Radar, Satelliten und von elektronischen Geräten wie Computern in der Nähe des Observatoriums stammen, die allesamt schwache Radioübertragungen erzeugen. Tatsächlich wird es immer schwerer, SETI von der Oberfläche unseres Planeten zu betreiben, da auch die Radioverschmutzung immer schlimmer wird, weil immer mehr und mehr Transmitter gebaut werden. Einige Radio-Frequenzbereiche sind für SETI sogar schon völlig unbrauchbar geworden. Es könnte sein, dass wir schon bald auf die Rückseite des Mondes gehen müssen, um SETI zu betrieben. Hier würde ein Radioteleskop von der irdischen Radioverschmutzung durch den Mond selbst abgeschirmt werden. Doch auch wenn diese Signale von Irdischen und nicht von Außerirdischen stammen, so bin ich doch weiterhin optimistisch, dass es Leben und intelligente Zivilisationen im Universum gibt. Es gibt da draußen Billionen von Planeten, alleine in unserer Galaxie und Billionen von anderen Galaxien. Das Leben begann auf der Erde unmittelbar nachdem diese ausreichend abgekühlt war. Einfaches Leben könnte es bereits in unserer kosmischen Nachbarschaft geben, etwa auf Enceladus oder Europa, auf denen es flüssige Wasserozeane gibt.

Müller: Aber in Ihrem Artikel haben Sie und Ihre Kollegen die bekannten externen Quellen für terrestrische RFI explizit und buchstäblich als Erklärung ausgeschlossen und glauben auch nicht, dass es sich um ein ähnliches internes Signal von Kristalloszillatoren des Teleskops handelt?

Werthimer: Ja, aber hier handelt es sich um eine subtile und seltene Art von RFI. Dennoch haben wir diese Art von FRI schon einige Hundert Mal während der vergangenen 15 Jahre SETI am Arecibo Observatorium auf Puerto Rico gesehen. Auch Arecibo hatte die gleiche Art von Mehrfachstrahl-Empfänger wie FAST. Beide wurden vom gleichen Team der australischen CISRO gebaut. Diese Art von RFI wird von der Metallstruktur des Teleskops selbst reflektiert und erreicht so meist nur einen der Empfänger signifikant starker als die anderen.

Müller: Verstehe. Erlauben Sie mir aber dennoch meine erneute Nachfrage: Es gibt nun zwei Aussagen, die nicht wirklich zueinander passen: Zum einen haben Sie erläutert, dass diese Form von RFI bereits hundertfach zuvor, etwa mit Arecibo detektiert und als irdische RFI erkannt wurde. Im Artikel selbst ist davon aber mit keinem Wort die Rede. Statt dessen wird hier mehrfach die Besonderheit des Signals und betont, dass man bekannte RFI als Erklärung für das „Kepler-438-Ereignis“ ausschließen konnte. Wie kommt es dazu, dass eine bekannte RFI-Situation im Artikel also nicht beschrieben wird, obwohl sie doch so offensichtlich ist. Stattdessen heißt es im Artikel abschließend sogar, das Signal sei noch rätselhaft?

Werthimer: Nun, bitte vergessen Sie nicht, dass es sich bei dem Artikel im einen Preprint-Artikel handelt, der so noch gar nicht fachpubliziert wurde. Es ist also noch nicht die finale Version und wir arbeiten tatsächlich noch an dem Artikel. Der Umstand, dass wir das Signal im Artikel so ausführlich besprechen, sollte als Beispiel für jene Form von Signalen dienen, die wir als “first trigger” (Erstauslöser) bezeichnen und die unsere Computer darauf hinweisen, dass es hier etwas Interessantes geben könnte, das wir Menschen untersuchen sollten. Das haben wir getan.




WEITERE MELDUNGEN ZUM THEMA
Weltgrößtes Radioteleskop könnte ein intelligentes außerirdisches Signal aufgefangen haben 16. Juni 2022
Astronom identifiziert sonnenähnlichen Stern als mögliche Quelle des “WOW-Signals” 7. Mai 2022
Arecibo 2.0: NASA-Wissenschaftler entwerfen neue Botschaft für Außerirdische 28. März 2022
COSMIC SETI: Radioteleskopanlage VLA startklar für umfangreichste Suche nach außerirdischen Techno-Signaturen 5. April 2022
FAST: China beginnt Suche nach Signalen Außerirdischer mit weltgrößtem Radioteleskop 13. Dezember 2021
SETI-Astronomen suchen nach Signalen außerirdischer Kommunikationsnetzwerke zwischen Sonne und nahen Sternen 29. November 2021
Berechnungen zeigen: Chinas Riesen-Teleskop FAST könnte außerirdische Sonden-Schwärme finden 18. Oktober 2021
Irdische Quelle: Studien bestätigen Vermutungen zu SETI-Signal-Kandidat von Proxima Centauri 29. Oktober 2021
Suche nach außerirdischen Intelligenzen mit FAST-Teleskop soll bald beginnen 26. Oktober 2020
SETI: Chinas Riesen-Radioteleskop “FAST” beteiligt sich an “Breakthrough Listen” 21. Oktober 2016

Recherchequelle: ResearchSquare.com, eigene Recherchen grenzwissenschaft-aktuell.de

© grenzwissenschaft-aktuell.de