Paris (USA) – Verborgen hinter den Zeilen eines mittelalterlichen Pergamentbandes haben Historiker eine Seite des verschollen geglaubten Sternenkatalogs des griechischen Mathematikers und Astronomen Hipparchos von Nicäa entdeckt. Hierbei handelt es sich vermutlich um die erste Bemühung zur Erstellung eines Katalogs des gesamten Nachthimmels.
Wie Victor Gysembergh vom Centre Léon Robin der französischen Forschungsorganisation CNRS, Peter J. Williams und Emanuel Zingg vond er Pariser Sorbonne aktuell im „Journal for the History of Astronomy“ (DOI: x 10.1177/0021828622112) berichten, entdeckten er und Kollegen die Seite zwischen christlichen Texten aus dem Mittelalter in einem Manuskript, dass ursprünglich aus der Bibliothek des griechisch-orthodoxen Katharinenkloster s auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel stammt, heute aber im „Museum oft the Bible“ in Washington aufbewahrt wird.
Hintergrund
Hipparchos von Nicäa lebte zwischen 190 v. Chr. bis 120 v. Chr. auf Rhodos, war der bedeutendste griechische Astronom seiner Zeit und gilt als Begründer der wissenschaftlichen Astronomie. Hipparchos ging bei seinen Forschungsarbeiten mit äußerster Genauigkeit vor. Beim Vergleich seiner eigenen Himmelsstudien mit denen früherer (auch babylonischer) Astronomen, wie Aristyllos und Timocharis, entdeckte er die langsame Präzession bzw. Verschiebung der Äquinoktien. Seine Berechnung des tropischen Jahres (der Länge des von den Jahreszeiten bestimmten Jahres) weicht nur 6,5 Minuten von modernen Messungen ab. Hipparchos ersann eine Methode, um Positionen auf der Erde mittels geografischer Breite und Länge zu ermitteln. Er berechnete den bis dahin besten Sternkatalog mit den Örtern und Helligkeiten von etwa 900 Sternen und entwarf die zugehörige Sternkarte. Hipparchos stellte außerdem eine Tabelle mit trigonometrischen Sehnen zusammen (Chordentafel), welche die Grundlage der modernen Trigonometrie bildeten. (Quelle: Wikipedia)Bislang galt der Sternenkatalog des alexandrinischen Astronomen Claudius Ptolemäus aus dem zweiten Jahrhundert als ältester erhaltener Sternenkatalog. Der Sternenkatalog des Hipparchos gilt hingegen deshalb als Geburt der Astronomie, weil Himmelskundler erstmals nicht nur Sterne und Muster, die sie am Himmel sahen, beschrieben, sondern auch darum bemüht waren, diese zu vermessen und vorherzusagen. Während frühere Kataloge, wie etwa jene babylonischer Astronomen, die Position einzelner Sterne anhand ihrer Position im Verhältnis zu den Sternbildern beschrieben, war es Hipparchos, der die Position der Sterne als erste anhand zweier Koordinaten über den gesamten Himmel beschrieb.
Während Teile seines Sternenkatalogs vermutlich von dem alexandrinischen Astronomen Ptolemäus (ca. 100–175) in dessen Werk Almagest übernommen wurden, galt der Katalog selbst bislang vollständig als verschollen. Vor diesem Hintergrund galt auch die Frage danach, welcher Astronom als erster den Versuch unternommen hatte, den Sternenhimmel zu katalogisieren, als unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern umstritten.
Teil des untersuchten 146-seitigen Manuskripts, in dem die Forscher nun auf einen Auszug des Sternenkatalogs stießen, beinhaltet den sogenannten Codex Climaci Rescriptus, eine Sammlung syrischer Texte aus dem 10. und 11. Jahrhundert. Dieser Codex selbst ist aber ein sog. Palimpsest, wurde also auf älteren Seiten geschrieben, deren ursprünglicher Text abgeschabt oder abgewaschen wurde.
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Bislang waren Forschende davon ausgegangen, dass auch dieser ältere, ursprüngliche Text christliche Inhalte abbildete. Bei einer Untersuchung durch Studenten der University of Cambridge im Sommer 2012 stieß Jaime Klari dann auf eine unerwartete Passage in altgriechischer Schrift, die in der Folge dem antiken Astronom Erastothenes zugeschrieben wurde. 2017 wurden diese Passagen dann erneut mithilfe multispektraler Analysen untersucht, wodurch der verborgene Text sichtbar gemacht werden konnte.
Auf den ersten Blick ist nur der jüngste Text des Codex Climaci Rescriptus zu erkennen (Abb. o.). Erst eine Multispektralanalyse (m.) zeigt, dass dieser Text auf bereits älteren, beschrifteten Pergament verfasst wurde, dessen Text zuvor palimpsestiert (also entfernt) wurde. In der ursprünglichen Schrift (u.) konnten dann astronomische Koordinaten identifiziert werden.
Insgesamt konnte demnach auf neun Blättern des Codex astronomisches Material identifiziert werden. Wie „Nature.com“ berichtet, zeigen Radiokarbondatierungen, dass es sich hierbei offenbar um Abschriften aus dem 5. oder 6. Jahrhundert handelt. Zu diesen zählen Mythen über die Entstehungen bestimmter Sterne, die auf Erastothenes zurückgehen ebenso wie Teile des bekannten Gedichtes „Phaenomena“, das Sternkonstellationen beschreibt.
Unter all diesen eher poetischen astronomischen Angaben entdeckte Williams während seines Studiums dann auch „Sternenkoordinaten“ und machte sogleich seinen Kollegen Gysembergh darauf aufmerksam, der diese gemeinsam mit Zigg weiter entziffern konnte. Tatsächlich handele es sich um Angaben der Längen- und Breitengrade der Konstellation Nördliche Krone (Corona Borealis), so die Historiker. Zudem gebe es zahlreiche, recht eindeutige Indizien für Hipparchos als deren Quelle. Anhand der Angaben waren die Historiker und Astronomen sogar in der Lage, den Beobachtungszeitraum grob auf das Jahr 129 v. Chr. Und damit zu Lebzeiten des Astronoms zu datieren. Zudem konnten die Historiker auch die Koordinaten dreier weiterer Sternbilder, Ursa Major und Minor (Großer und Kleiner Bär) und Drache (Draco) in einem weiteren milttelalterlichen Manuskritpt ausfindig machen, dessen Ursprung vermutlich sogar direkt auf den antiken Astronomen zurückführen.
Während die Babylonier, auf deren Wissen und ausführliche und akkurate Beobachtungen Hipparchos zugreifen konnte, nicht an einer dreidimensionalen Modellierung des Himmels interessiert waren, da ihre Beobachtungen für Vorherberechnungen etwa von Sonnen- und Mondfinsternissen ausreichten. „Hipparchos war es, der diese Tradition mit dem griechischen geometrischen Ansatz verband, dadurch die Mathematisierung der Natur einleitete und die moderne Astronomie begründete“, zitiert Nature den Astronomie-Historiker James Evans von der University of Puget Sound in Tacoma.
In weiteren Schritten wollen die Forschenden nun den gesamten Codex Climaci Rescriptus auf weitere Teile des Sternenkatalogs ab- und auch in anderen vergleichbaren Palimpsest-Manuskripten nach Fragmenten suchen, in der Hoffnung, den Sternenkatalog des Hipparchos eines Tages vollständig rekonstruieren zu können.
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