Homo naledi – Neuer Verwandter des modernen Menschen entdeckt
Modellierter Kopf von Homo naledi
Copyright: Mark Thiessen/National Geographic
Witwatersrand (Südafrika) – In einer südafrikanischen Höhle haben Wissenschaftler die Überreste eine bisher unbekannte Menschenart entdeckt. Eine Besonderheit des sogenannten Homo naledi war, dass er die Körper seiner Toten bewusst im abgelegenen Höhlenraum ablegte. Die Bestattung von Toten hatten viele Wissenschaftler bislang nur dem modernen Menschen zugeschrieben.
Wie die Forscher um Professor Lee Berger von der University of the Witwatersrand, der National Geographic Society und die South African Department of Science and Technology/National Research Foundation (DST/NRF) am heutigen 10. September 2015 bekannt gaben, werde die Entdeckung zu neuen Erkenntnissen über den Ursprung und die Diversität unserer Gattung beitragen.
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Die Forscher berichten in ihrer aktuell im Fachjournal „eLIFE“ (DOI: 10.7554/eLife.09560) veröffentlichten Studie, an der auch Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig beteiligt waren, dass der Fund aus mehr als 1.550 inventarisierten Fossilienteilen besteht. Damit handele es sich um den bisher größten zusammengehörigen Fund fossiler menschlicher Überreste auf dem afrikanischen Kontinent überhaupt.
Der schmale Zugang zur Kammer machte die Bergung der Überreste besonders schwierig.
Copyright: Robert Clark/National Geographic
Die ersten Funde machten die Forscher schon 2013 in der nordwestlich von Johannesburg gelegenen Rising-Star-Höhle in einer Kammer, die etwa 90 Meter vom Höhleneingang entfernt war und nur über eine so schmale Rinne zugänglich war. Den Namen Homo naledi leiten die Wissenschaftler denn auch von der Bezeichnung für Stern = naledi in der lokal gesprochenen Sprache Sosotho ab.
„Das Forschungsteam hat bisher die Überreste von mindestens 15 Individuen derselben Art geborgen“, berichtet die Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie. Dabei handele es sich wahrscheinlich nur um einen Bruchteil der Fossilien, die sich in der Kammer befinden. „Fast alle Knochen des Körpers liegen uns mehrfach vor, sodass Homo naledi uns bereits jetzt schon besser bekannt ist, als alle anderen fossilen Vertreter unserer Abstammungslinie“, sagt Teamleiter Lee Berger.
Der Homo naledi ähnelt demnach den frühesten Vertretern unserer Gattung, „zeigt aber auch einige überraschend menschenähnliche Eigenschaften, die ihm seinen Platz innerhalb der Gattung Homo sichern, so John Hawks von der University of Wisconsin in Madison in den USA. „Homo naledi hatte ein winziges Gehirn von der Größe einer Orange und einen sehr grazilen Körperbau.“ Homo naledi war im Durchschnitt etwa 1,50 Meter groß und wog etwa 45 Kilogramm.
Zusammengesetztes Skelett von Homo naledi. Die Illustration zeigt die neue Menschenart im Vergleich zu Homo erectus und Australopithecus afarensis („Lucy“). (aus dem Oktober-Heft von National Geographic).
Copyright: Skelett: Stefan Fichtel/National Geographic; Körpervergleichszeichnung: John Gurche; Quellen: Lee Berger and Peter Schmid, Wits; John Hawks, University of Wisconsin-Madison
Wie die Forscher weiter erläutern ähneln die Zähne unseres „neuen“ Verwandten sowie die meisten anderen Eigenschaften seines Schädels denen der frühesten Vertreter unserer Gattung, wie zum Beispiel Homo habilis: „Einige Eigenschaften seiner Zähne, wie die mehrwurzeligen unteren Prämolaren (die vorderen Backenzähne), sind für unsere Gattung eher primitiv und zeigen, dass es sich bei ihm nicht um einen modernen Vertreter der menschlichen Gattung handelt“, sagt Matthew Skinner, der an der Universität Kent in Großbritannien und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig forscht. Die Schultern hingegen ähneln eher denen von Menschenaffen. „Seine Hände konnten Werkzeuge benutzen“, sagt Tracy Kivell, die ebenfalls an der Universität Kent und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie tätig ist. „Überraschenderweise sind die Finger von Homo naledi stärker gebogen als die der meisten anderen frühen Homininen. Das deutet darauf hin, dass er klettern konnte.“
„Im Gegensatz dazu sind die Füße von Homo naledi kaum von denen eines modernen Menschen zu unterscheiden”, sagt William Harcourt-Smith vom Lehman College, CUNY, und dem American Museum of Natural History. Dies und seine langen Beine zeigen, dass er lange Strecken zu Fuß zurücklegen konnte. „Die Kombination der anatomischen Eigenschaften von Homo naledi unterscheidet ihn von allen bisher bekannten Menschenarten“, sagt Berger.
Auch die Umstände der Entdeckung waren äußerst bemerkenswert. Aus ihnen folgerten die Forscher, dass dieser eher primitiv wirkende Hominine seine Toten bewusst beseitigt hat – ein Verhalten, dass bisher als für den Menschen einzigartig betrachtet wurde.
Anm. GreWi: Allerdings belegen Funde von 2013, dass auch westeuropäische Neandertaler ihre Toten begruben und erste Bestattungen in Westeuropa demnach schon vor der Ankunft der ersten anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) stattfanden (…GreWi berichtete).
Die Fossilien, die die Forscher später Kleinkindern, Kindern, Erwachsenen und alten Personen zuordnen konnten, wurden in einem tief gelegenen Raum gefunden, der von dem Team „Dinaledi-Kammer“ (Sosotho für „Kammer der Sterne“) genannt wurde. „Dieser Raum ist immer von den anderen Kammern isoliert gewesen und war zur Oberfläche hin niemals direkt offen“, sagt Paul Dirks von der James Cook Universität in Australien. „Nahezu ausschließlich die fossilen Überreste von Homo naledi wurden in dieser abgelegenen Kammer gefunden, Fossilien von größeren Tieren fehlen gänzlich.“
Der Ort war so entlegen, dass von den mehr als 1.550 geborgenen Fossilienteilen nur etwa ein Dutzend nicht homininen Ursprungs ist. Diese wenigen Teile sind Überreste von Mäusen und Vögeln, die zufällig in die Kammer gerieten. „Solch eine Situation ist im Fossilbericht des Menschen einmalig“, sagt Hawks. Die Knochen tragen keinerlei Spuren von Aasfressern und Raubtieren. Nichts deutet darauf hin, dass Tiere oder natürliche Prozesse, wie zum Beispiel fließendes Wasser, diese Individuen in die Kammer transportiert haben könnten. „Wir sind zahlreiche Szenarien durchgegangen: beispielsweise ein Massensterben, ein unbekanntes Raubtier, der Transport von einem anderen Ort in die Kammer mithilfe von Wasser oder der Unfalltod in einer Todesfalle“, sagt Berger. „Nachdem wir alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen hatten, blieb uns als plausibelste Variante nur die bewusste Beseitigung der Toten durch Homo naledi.“
Querschnitt durch die Rising Star-Höhle mit der Dinaledi-Kammer, in der die Überreste von Homo naledi gefunden.
Copyright: Jason Treat, National Geographic, Quelle: Lee Berger, Wits
Die Forscher sind zuversichtlich, in der Höhle noch zahlreiche weitere Funde machen zu können: „Diese Kammer hat noch nicht all ihre Geheimnisse preisgegeben“, sagt Berger abschließend. „Es befinden sich dort unten möglicherweise noch hunderte, wenn nicht sogar tausende Überreste von Homo naledi“.
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