Experimente bestätigen v. Humboldts Zitteraal-Mythos
Phasen des Angriff eines Zitteraals außerhalb des Wassers.
Copyright: Kenneth Catania / Vanderbilt University
Nashville (USA) – So schnell kann’s gehen: Weil eine gemachte Beobachtung anerkannten Lehrbuchmeinungen widersprach, wurde selbst die Beschreibung eines tödlichen Sprungangriffs von Zitteraalen aus dem Wasser heraus auf Pferde, durch den Naturforscher Alexander von Humboldt fast 200 Jahre lang als unglaubwürdig abgetan. Jetzt zeigen Experimente mit den gefährlichen Tieren jedoch genau dieses Verhalten und rehabilitieren den als Mitbegründer der Geographie geltenden Wissenschaftler.
Wie Kenneth Catania von der Vanderbilt University aktuell im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS; DOI: 10.1073/pnas.1604009113) berichtet, zeigen seine Experimente eindrucksvoll, dass Zitteraale potenzielle Feinde tatsächlich mit einem Sprung aus dem Wasser lebensbedrohliche Stromschläge verpassen können. Die Versuche des Forschers zeigen zudem, dass die Zitteraale (Electrophorus electricu) dieses Verhalten besonders in Gefahrenlage anwenden.
www.grenzwissenschaft-aktuell.de
+ HIER können Sie den täglichen GreWi-Newsletter bestellen +
Für gewöhnlich nutzen die Tiere ihre bizarre Fähigkeit der Erzeugung von Stromspannungen von bis zu 600 Volt für die eigene Jagd nach Fischen und machen ihre Beute damit bewegungsunfähig. Allerdings sind sie auch in der Lage, mit diese Methode bei deutlich größeren Tiere unkontrollierbare Krämpfe auszulösen.
Dass Zitteraale aber auch regelrecht aus dem Wasser aufsteigen und deutlich größere Angreifer attackieren und auf diese Weise sogar töten können, beschrieb von Humboldt in einem seiner Reiseberichte aus dem Amazonasgebiet: Ziel des Unterfangens vom am 19. März 1800 war es, Zitteraale zu Forschungszwecken einzufangen, wofür die Forscher ihre Pferde ins Wasser trieben, damit sich die Fische an ihnen entladen und so von den Forschern gefahrlos gefangen werden konnten.
Zeitgenössische Darstellung des Vorfalls auf der Grundlage der Beobachtungen v.Humbolds.
Copyright: Public Domain
Statt dessen beobachteten die Forscher um v. Humboldt nun jedoch mit Entsetzen, dass die Aale die Pferde aus dem Wasser heraus regelrecht attackierten. Zwei der Pferde seien auf diese Weise derart stark gelähmt worden, dass sie binnen Minuten im Wasser ertranken.
„Als ich zum ersten Mal Humboldts Geschichte las, hielt ich diese für vollkommen bizarr“, erinnert sich Catania, „und fragte mich, warum die Tiere so etwas tun sollten, statt einfach davon zu schwimmen.“
Dann machte der Wissenschaftler jedoch vergleichbare Beobachtungen, als er sich Zitteraalen in seinem eigenen Aquarium mit einem Netz näherte – und begann mit Attrappen potentieller Feinde – einem mit LEDs und einem Voltmeter besetzten künstlichen Alligatorkopf sowie einem entsprechend präparierten künstlichen Menschenarm – weiter zu experimentieren. Die dabei entstanden Videoaufnahmen belegen auf buchstäblich schockierende Weise die Beobachtungen v. Humboldts.
[video_player type=“youtube“ youtube_show_title_bar=“Y“ width=“560″ height=“315″ align=“center“ margin_top=“0″ margin_bottom=“20″]aHR0cHM6Ly95b3V0dS5iZS9LWUs3WmM3SUlraw==[/video_player]
Diese Beobachtungen zeigen zudem, dass der so geführte Angriff umso effektiver ist, je höher die Aale ihre Gegner mit dem an ihrem Kopf sitzenden elektrischen Organen über dem Wasser berühren. „Befindet sich der Aal gänzlich im Wasser, so entladen sich seine elektrischen Impulse über dieses Wasser“, erläutert Catanin den dokumentierten Effekt und führt weiter aus: „Wenn nun aber ein Teil des Aalkörpers aus dem Wasser ragt, so überträgt sich der elektrische Strom vom Kinn des Aals direkt in und durch den Körper seines so angegriffenen Ziels und bewegt sich durch diesen solang fort, bis er wieder ins Wasser zurück fließen und über das Schwanzende des Zitteraals den Kreislauf schließen kann.“
Veranschaulichung des Wirkungsprinzips der Zitteraalattacke teilweise außerhalb des Wassers.
Copyright: Kenneth Catania, Vanderbilt University
„Das erlaubt es den Aalen, Stromschläge mit maximaler Kraft auf die teilweise im Wasser befindlichen potentielle Feinde zu übertragen. Auf diese Weise können Zitteraale auch deutlich größere Anteile des gegnerischen Körpers elektrisieren.“
[video_player type=“youtube“ youtube_show_title_bar=“Y“ width=“560″ height=“315″ align=“center“ margin_top=“0″ margin_bottom=“20″]aHR0cHM6Ly95b3V0dS5iZS9BWElBQ0JGTGQ4VQ==[/video_player]
In den auf Video dokumentierten Versuchen veranschaulichen die LED-Leuchten die Auswirkungen des Angriffs: „Stellen sie sich diese LEDs als die Ende von Schmerznerven vor, die durch den Angriff stimuliert werden“, erläutert Catania. „Dann bekommen Sie eine Vorstellung davon, wie effektiv diese Angriffe sein können.“
Catania beobachtete das Verhalten der Tiere vor allem dann, wenn im Aquarium wenig Wasser war und schließt aus dieser Beobachtung, dass es sich um eine Reaktion der Tiere handelt, wenn diese sich ausweglos bedrängt fühlen: „Während der Trockenzeiten im Amazonasgebiet, gibt es viele Tümpel mit niedrigen Wasserständen, die die Tiere in ihrer Bewegungsfreiheit einengen und sie so anfälliger für Angriffe von Landräubern machen. (…) Vor diesem Hintergrund erscheint es mir völlig plausibel, dass Humboldt genau dieses Verhalten beobachtet hat.“
© grenzwissenschaft-aktuell.de