IceCube-Detektor liefert sieben Hinweise für kosmische Tau-Neutrinos

Signale der vom „IceCube Neutrino Observatory“ detektierten Tau-Neutronos. Copyright: IceCube; NFS
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Signale der vom „IceCube Neutrino Observatory“ detektierten Tau-Neutronos.Copyright: IceCube; NFS

Signale der vom „IceCube Neutrino Observatory“ detektierten Tau-Neutronos.
Copyright: IceCube; NFS

Madison (USA) – Tief im Eis der Antarktis verborgen, sucht das IceCube-Neutrino-Observatorium nach energiereichen kosmischen Neutrinos und wurde bereits millionenfach fündig. Nun lieferte das Observatorium erstmals sieben Belege für astrophysikalisch nur schwer nachweisbare Tau-Neutrinos.

Jede Sekunden durchdringen hundert Milliarden Neutrinos die Fläche eines Fingernagels und auch das IceCube-Neutrino-Observatorium  hat bereits die Signale von fast einer Million energiereicher Neutrinos aufgezeichnet und Informationen über Quellen hochenergetischer Teilchen im Universum geliefert. Welche Arten der drei bekannten Neutrionoarten dabei genau detektiert wurden, ist nur schwer zu unterscheiden und wäre für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der internationalen „IceCube Collaboration“ das Tüpfelchen auf dem sprichwörtlichen „I“.

Hintergrund
Neutrinos sind Elementarteilchen, die fast ohne Wechselwirkung durch die Materie reisen und existieren als drei verschiedene Typen: als Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos und als deren jeweilige Antiteilchen (den Antineutrinos). Pro Sekunde rasen unbemerkt Billionen von Neutrinos durch unseren Körper, treffen auf die Erdoberfläche und durchdringen alles auf dem und den Planeten selbst nahezu ungehindert. Sie entstehen durch radioaktive Zerfälle in der Sonne und allen anderen Sternen und in Folge anderer kosmischer Ereignisse wie etwa in natürlichen kosmischen Teilchenbeschleunigern wie Sternenexplosionen (Supernovae) und den Materiestrudeln gigantischer Schwarzer Löcher gemeinsam mit den elektrisch geladenen Atomkernen der kosmischen Teilchenstrahlung. Anders als diese Atomkerne werden die elektrisch neutralen Neutrinos auf ihrem Weg durchs All aber nicht von kosmischen Magnetfeldern abgelenkt, so dass ihre Ankunftsrichtung direkt zu ihrer Quelle zurückweist.

Schon im vergangenen Jahr berichtete die IceCube-Kollaboration über die ersten Signale, die direkt mit Tau-Neutrinos assoziiert werden konnten. Jetzt bestätigt das Team, dass eines dieser beiden Signale tatsächlich sehr wahrscheinlich von einem Tau-Neutrino stammt, und meldet zugleich die Beobachtung von sechs weiteren „wahrscheinlichen“ Tau-Signalen.

Zwar könne man noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen, dass tatsächlich Tau-Neutrinos gefunden wurden, „aber die sieben Signale weisen alle die Eigenschaften auf, die wir für diese Teilchen erwarten“, erläutert Doug Cowen, Teilchenastrophysiker an der Pennsylvania State University (PSU) und Mitglied der IceCube-Kollaboration.

Die von Elektronen- und Tau-Neutrinos erzeugten sogenannten Kaskadensignale können einander so ähnlich sein, dass ihre Photomuster nur schwer eindeutig einem bestimmten Teilchen zugeordnet werden können. „Wenn beispielsweise ein Elektron-Neutrino mit dem IceCube-Detektor wechselwirkt, erzeugt es ein Elektron, das nur eine kurze Strecke zurücklegt, bevor es sich zerstreut und so einen sehr lokalisierten Photonenball erzeugt“, erläutert ein Presseartikel der „Research News“ des APS Fachverlags, in dessen renommierter Publikation „Physical Review Letters“ der Fachartikel zur Entdeckung nun veröffentlicht wurde (DOI: 10.1103/PhysRevLett.132.151001).

Allerdings erzeugt ein Tau-Neutrino ein sog. Tau-Lepton – ein schwerer Cousin des Elektrons –, das sowohl beim Entstehen als auch beim Zerfall einen Photonenball emittiert. Der Abstand zwischen diesen beiden Kaskaden ist jedoch oft so kurz – einige Millimeter oder Zentimeter –, dass die beiden Muster überlappen und als eines erscheinen. Um als getrennte Objekte im Detektor zu erscheinen, muss der Abstand zwischen den Kaskaden mindestens 10 m betragen, was nur für die höchstenergetischen Tau-Neutrinos der Fall ist.

Genau diese Merkmale hat die die Kollaboration nun gefunden und die Analyse der statistischen Signifikanz der Kandidatenevents deutete darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie von einem anderen Teilchen oder Ereignis stammen, weniger als 1 zu 3,5 Millionen beträgt. Insgesamt sieben Tau-Neutrino-Kandidatenevents wurden detektiert, alle mit einer Energie von 20 TeV oder höher, was eine Million Mal größer ist als die typischen MeV-Energien von Solareutrinos.


Das „IceCube Observatory“ in der Antarktis vor dem Hintergrund der Illustration kosmischer Strahlung.

Copyright: icecube.wisc.edu

Obwohl die Anzahl der detektierten Tau-Neutrinos klein erscheinen mag, entspreche dies jenen genau Erwartungen, die man vor der Analyse hatte: „Wir haben mit vier bis acht gerechnet, basierend auf anderen Messungen von sehr energiereichen Neutrinos, und wir haben sieben gesehen. Neutrinos sollten in drei Geschmacksrichtungen vorkommen“, so Cowen. „Aber nur mit diesem Ergebnis ist nun bewiesen, dass alle drei Arten – die Forschenden sprechen von „Geschmacksrichtungen“ – von ultrahochenergetischen astrophysikalischen Quellen auf die Erde gelangen“, sagt David Saltzberg, ein Neutrino-Physiker an der University of California, Los Angeles. Modelle sagen voraus, dass Neutrinos zwischen den Geschmacksrichtungen oszillieren, wenn sie sich durch den Raum bewegen, aber ob diese Oszillationen bei so hohen Energien und Entfernungen auftreten, war zuvor noch nie gezeigt worden. „Wenn mit unserem Standardmodell der Neutrino-Geschmacksrichtung etwas nicht gestimmt hätte, hätte sich das in diesem Ergebnis zeigen können“, fügt Saltzberg hinzu. „Das Standardmodell übersteht diesen extremen Test aber immer noch.“

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Die neuen Beobachtungen haben auch wichtige Auswirkungen auf das Verständnis von entfernten astrophysikalischen Neutrinoquellen. Physiker kennen die Anteile von Elektronen-, Myonen- und Tau-Neutrinos, die auf der Erde produziert werden, aber astrophysikalische Quellen könnten Neutrinos mit einer anderen Ausgangsmischung der Geschmacksrichtungen produzieren, sagt John Beacom, ein Neutrino-Physiker von der Ohio State University, der kein Teil der IceCube-Kollaboration ist. „Vielleicht ist der Ausgangspunkt derselbe, vielleicht nicht, aber wir können es nur herausfinden, indem wir alle drei Neutrino-Geschmacksrichtungen detektieren.“ Jetzt, da IceCube diese Fähigkeit demonstriert habe, werden Physiker nach Anzeichen für neue Physik im Neutrino-Sektor suchen können.

Die astrophysikalische Bedeutung von Tau-Neutrinos könnte sich auch auf andere Möglichkeiten der Betrachtung des Universums erstrecken, da die Detektion eines Tau-Neutrinos ein Netzwerk von Teleskopen auslösen könnte, um einen bestimmten Bereich des Himmels zu durchsuchen. Solche Multimessenger-Daten könnten enthüllen, wo und wie die Natur hochenergetische Neutrinos erzeugt – ein noch ungelöstes Problem. „Das Team ist wahrscheinlich noch ein paar Jahre davon entfernt, in der Lage zu sein, Echtzeitwarnungen für Tau-Neutrino-Detektionen zu senden. Aber die Möglichkeit ist bereits in Sicht“, so Cowen abschließend.

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Recherchequelle: IceCube Collaboration, APS

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