Kritik an Theorie zu Höhlenkunst als erste Schrift und Mondkalender

Archivbild: Ausschnitt der Höhlenmalereien von Lascaux. Auch hier finden sich neben zahlreichen Tierdarstellungen Punkt- und Strichmarkierungen (über und im Kopf der beiden Rinder), die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen lange Zeit vor ein Rätsel stellten. Copyright/Quelle: Bacon et al. 2023, Cambridge Archaeological Journal
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Archivbild: Ausschnitt der Höhlenmalereien von Lascaux. Auch hier finden sich neben zahlreichen Tierdarstellungen Punkt- und Strichmarkierungen (über und im Kopf der beiden Rinder), die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen lange Zeit vor ein Rätsel stellten. Copyright/Quelle: Bacon et al. 2023, Cambridge Archaeological Journal

Archivbild: Ausschnitt der Höhlenmalereien von Lascaux. Auch hier finden sich neben zahlreichen Tierdarstellungen Punkt- und Strichmarkierungen (über und im Kopf der beiden Rinder), die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen lange Zeit vor ein Rätsel stellten.
Copyright/Quelle: Bacon et al. 2023, Cambridge Archaeological Journal

Victoria (Kanada) – Im Januar 2023 sorgte eine Studie im “Cambridge Archaeological Journal” durch die Theorie für Aufmerksamkeit, laut derer sich in altsteinzeitlichen Höhlenmalereien, wie jenen aus der berühmten Bilderhöhle von Lascaux, ein Punkt-Liniensystem als Vorläufer von Schrift und ein Mondkalender ablesen lassen. Ein neuer Fachartikel im gleichen Journal stellt diese Lesart der Höhlenkunst nun jedoch in Zweifel und äußert scharfe Kritik.

Zuvor hatten die meist Instituts-unabhängigen Wissenschaftler um Bennett Bacon neben der bildlichen Darstellung der zeitgenössischen Alltagsumgebung und Umwelt Elemente dieser Darstellungen beschrieben, die die Forschung weiterhin vor ein Rätsel stellen: Einzelne Punkt- und Strichmarkierungen neben oder in den Tierabbildungen. Diese interpretierten die Forscher als Markierungen für bestimmte jahreszeitlichen Verhaltensweisen der abgebildeten Tiere, wie Paarung oder Gebärzeiten. Diese Information sei für die frühen Jäger sehr wichtig gewesen, um zu überschauen, welche Tiere zu welchen Jahreszeiten am besten gejagt werden konnten. Die entsprechenden jahreszeitlichen Informationen konnten die Forschenden zudem 13 Perioden zuordnen, die wiederum mit dem Mondkalenderjahr übereinstimmen – für die Autoren und Autorinnen der Studie ein Hinweis auf die Nutzung eines lunaren Kalenders, und das bereits in der Eiszeit. Zudem erläuterten die Forscher in ihrem Artikel (CAJ, DOI: 10.1017/S0959774322000415), dass bestimmte Markierungen, wie etwa Y-förmige Linien, spezielle Informationen über den Beginn der Geburtssaison des jeweils abgebildeten Tieres oder beinhalten. Andere Markierungen konnten die Forschenden meteorologischen Informationen zuschreiben – etwa über Schnee. Vor diesem Hintergrund könne diese Form der Informationsvermittlung durchaus als „eine frühe Form von Schrift bzw. Proto-Schrift betrachtet werden und wäre damit die früheste Form von Schrift des Homo sapiens“. Die Autoren gestanden aber auch ein, dass es auch noch zahlreiche Arten von Markierungen in den Höhlen gebe, deren Bedeutung bislang noch nicht entziffert werden konnte (…GreWi berichtete).

In einem ebenfalls nun im “Cambridge Archaeological Journal” veröffentlichten Artikel (DOI: 10.1017/S0959774324000155) kritisieren die Anthropologin April Nowell von der University of Victoria, der unabhängige Forscher Paul Bahn und der Sprachwissenschaftler Jean-Loïc Le Quellec vom Institute for African Worlds die Studie und Schlussfolgerungen von Bacon und Kollegen deutlich.

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Im Gegensatz zu den Behauptungen des genannten Artikels gebe es zahlreiche Beispiele, in denen die Anzahl von 13 Markierungen übertroffen werde, wodurch die Idee von einem derart dargestellten 13-phasigen Mondkalender hinfällig sei. In ihrer Kritik geht das Forschertrio jedoch noch weiter und unterstellt, dass solche Fälle absichtlich im Sinne der Idee eines abgebildeten Mondkalenders unterschlagen wurden.

Auch der Lesart einiger Markierungen im Sinne biologischer Zyklen wird von den Forschern aktuell widersprochen. So würden alle der in den zitierten Höhlenabbildungen dargestellten Tierarten im ersten oder zweiten Frühlingsmonat gebären, weshalb die damaligen Jäger und Sammler kaum Grund gehabt hätten, diesen Umstand mit einem komplexen künstlerisch-semantischen System zu notieren: “Wieso sollten paläolithische Menschen einen Kalender benötigen, um die banale Tatsache aufzuzeichnen oder vorherzusagen, dass alle ihre Hauptpflanzenfresser ein oder zwei Monate nach dem Schmelzen des Schnees gebären?”, hinterfragen Nowell und Kollegen.

Schlussendlich sehen zumindest Bahn, Nowell und Le Quellec tatsächlich keinerlei begründete Beweise dafür, dass in den untersuchten Bilderhöhlen auch ein Mondkalender oder gar eine archaische Proto-Schrift gefunden werden könne. Abstrakte Symbole wie Punkte und Linien könnten schließlich alles Mögliche und vor allem naheliegenderer Dinge darstellen. Etwa Bienen, Samen, Sterne, Regentropfen, Hütten, Feuer oder Blutspuren.“

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Recherchequelle: Cambridge Archaeological Journal

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