Wien (Österreich) – Für das Phänomen, dass Tagesrhythmen sowohl bei Fruchtfliegen wie beim Menschen vom eigentlichen hell-dunklen 24-Stunden Rhythmus abweichen können, liefert eine neue Studie nun eine Erklärung: Der Mond ist schuld.
„Tiere besitzen innere Uhren zur Steuerung ihres Verhaltens: Zirkadiane Uhren, oder 24-Stunden-Oszillatoren, orientieren sich typischerweise an abwechselnden Perioden von Sonnenlicht und Dunkelheit“, erläutert die Pressemitteilung der Universität Wien. „Viele Tiere sind in ihrer natürlichen Umgebung allerdings auch Mondlicht ausgesetzt, das mit etwa 25-stündiger Frequenz wiederkehrt.“
Wie die Forschungsgruppen um Martin Zurl und Florian Raible von den Max Perutz Labs an der Universität Wien aktuell im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS, DOI: 10.1073/pnas.2115725119) berichten, haben sie herausgefunden, dass das Mondlicht auch den Tagesrhythmus von Borstenwürmern steuert. „Dies hilft den Tieren, ihren Fortpflanzungszyklus auf bestimmte Stunden in der Nacht abzustimmen.“ Die Studie liefere somit eine Erklärung für das Phänomen, dass Tagesrhythmen – von Fliegen bis zum Menschen – vom 24-Stunden Rhythmus abweichen können.
Bei der Fortpflanzung setzt der Meeresborstenwurm Platynereis dumerilii seine Eier und Spermien ungeschützt in das offene Meer frei. Das richtige Timing ihrer Fortpflanzungszyklen ist daher entscheidend für das Überleben der Würmer. „Bisher war bekannt, dass Borstenwürmer ihre Fortpflanzung auf wenige Tage im Monat abstimmen. Jetzt haben die Forschenden herausgefunden, dass die Würmer sich auch in bestimmten Stunden in der Nacht vermehren“, erläutern die Forschenden. „Wir können zeigen, dass das Mondlicht kontrolliert, wann genau in der Nacht die Würmer ihr Fortpflanzungsverhalten beginnen, nämlich immer in der dunkelsten Phase.“
Das Mondlicht fungiere dabei nicht als der direkte Auslöser des Paarungsverhaltens, sondern verändere die Periodenlänge der zirkadianen Uhr, erklären die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. „In der Natur ändert sich der Zeitpunkt des Mondlichts im Schnitt täglich um etwa 50 Minuten. Die Plastizität ihrer Uhr ermöglicht es den Würmern, diese Veränderungen einzuberechnen.“
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In einer Kooperation mit den Laboren von Robert Lucas an der University of Manchester (UK) und Eva Wolf am Institut für Molekularbiologie Mainz (IMB, Deutschland), konnten die Forschenden die an diesem Prozess beteiligten Lichtrezeptoren charakterisieren. Sie entdeckten, dass die kombinierte Wirkung eines Opsins – verwandt mit dem zirkadianen Photorezeptor Melanopsin der Säuger – und eines sogenannten Chryptochroms Mond- und Sonnenlicht dekodieren kann, um die plastische innere Uhr korrekt einzustellen. In Zusammenarbeit mit dem Labor von Charlotte Helfrich-Förster an der Universität Würzburg konnten das Team außerdem zeigen, dass die korrekte Dekodierung von Mondlicht auch für die zirkadiane Uhr anderer Tierarten relevant ist.
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Der Einfluss der Lichtintensität auf die Periodenlänge der zirkadianen Uhr ist für verschiedene Organismen unter künstlichen Laborbedingungen seit Jahrzehnten dokumentiert. Die physiologische Bedeutung dieser Schwankungen war jedoch bisher unklar. „Unsere Arbeit zeigt, dass hinter der Beobachtung, dass die zirkadiane Uhr eines Individuums unterschiedlich schnell laufen kann, eine ökologische Bedeutung steckt“, erklärt die an der Studie beteiligte Wissenschaftlerin Kristin Tessmar-Raible. Bemerkenswert sei, dass auch der Mensch eine solche zirkadiane Plastizität aufweist: So zeigen Patienten mit bipolarer Störung rätselhafte circalunidiane (d.h. 24,8h) Perioden, die mit ihren Stimmungsschwankungen korrelieren. Die Forschenden hoffen, dass ihre Arbeit dazu beitragen wird, den Ursprung und die Folgen der biologischen zeitlichen Plastizität sowie ihr Zusammenspiel mit natürlichen Zeitgebern zu verstehen.
Recherchequelle: Universität Wien
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