Mustatils: Erste Studie zu megalithischen Monumenten in Saudi-Arabien
Jena (Deutschland) – In der Nefud-Wüste auf der arabischen Halbinsel haben Archäologen in den vergangenen Jahren hunderte Steinmonumente katalogisiert, deren Entstehung bis zu 7.000 Jahre zurückreicht. Eine aktuelle Studie hat sich nun erstmals diesen gewaltigen rechteckigen Steinstrukturen, den sogenannten Mustatil, angenommen und vermutet einen rituellen Zweck der Anlagen.
Seit 2017 wurden hunderte Mustatils (arab.: Rechtecke) in den arabischen Wüstenregionen anhand von Satellitenaufnahmen entdeckt und in der Folge teilweise auch am Boden untersucht.
Wie die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Dr. Huw Groucutt vom Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena gemeinsam mit saudi-arabischen und internationalen Kollegen und Partnern aktuell im Fachjournal „The Holocene“ (DOI: 10.1177/0959683620950449) berichten, bestehen die Mustatils aus Steinen, die in langgestreckte Rechtechtecken angehäuft und aufgerichtet wurden. Sie stellen die ältesten derart großen Strukturen weltweit dar. Laut den Forschern und Forscherinnen erlauben die Monumente Einsichten in die Lebensweise und Überlebensstrategien Hirtenkulturen innerhalb der semi-ariden anspruchsvollen Landschaft Arabiens.
Hintergrund
Innerhalb der vergangenen zehn Jahre ist eine enorme Entwicklung in der Archäologie Saudi-Arabiens zu beobachten: Jüngste Entdeckungen reichen von frühen Homininenfunden bis hin zu jahrtausende- und jahrhundertealten Fundstätten. Ein besonders faszinierender Aspekt der archäologischen Aufzeichnungen im westlichen Arabien stellen Millionen von Steinstrukturen dar, innerhalb derer Menschen Steine und Felsen aufgeschichtet und aufgerichtet haben, um Strukturen von Grabhügeln bis hin zu Jagdfallen zu errichten
(Quelle: Max-Planck-Gesellschaft)
Eine Form diese faszinierenden Strukturen sind die auffallend großen, rechteckigen Mustatils, wie sie offenbar ausschließlich im nordwestlichen Saudi Arabien zu finden sind. Da sie teilweise von jüngeren Strukturen bedeckt sind, gehen die Forscher davon aus, dass einiger dieser Strukturen sogar noch aus der Jungsteinzeit stammen.
In ihrem aktuellen Fachartikel erläutern die Forscher die Ergebnisse der ersten Untersuchungen von Mustatils überhaupt, die aus einer Kombination der Analysen von Satellitenbildern und Vorort-Untersuchungen bestanden. Während dieser Arbeit konnten die Archäologen zudem über 200 weitere Mustatils in der südlichen Nefud identifizieren.
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Anhand dieser Arbeiten haben die Wissenschaftler festgestellt, dass die meisten Mustatils aus zwei großen Plattformen bestehen, die durch zwei parallel zueinander verlaufende lange geschlossene niedrige, teils angehäufte, teils aufgerichtete Steinmauern miteinander verbunden sind, die sich bis zu 600 Metern erstrecken können (s. Abb.). Ebenerdige direkte Ein- oder Ausgänge ins Innere der Struktur gibt es nicht. Rund um die Mustatils haben Archäologen hinzu keine Steinwerkzeuge oder Alltagsgegenstände entdeckt. Alle diese Umstände legen die Deutung nahe, “dass diese Strukturen keine reinen Zweckbauten, etwa zur Aufbewahrung von Wasser oder Viehställe waren”, erläutert die Pressemitteilung der Max-Planck-Forscher.
Anhand einer Radiokarbondatierung von Ascheresten, die im Innern einer der Mustatil-Plattformen gefunden wurden, konnten diese auf ein Alter von rund 7.000 Jahren datiert werden. Eine ebenfalls gefundene Ansammlung von Tierknochen, sowohl von wilden als auch von vermutlich domestizierten Tieren, sowie die Entdeckung einen geometrisch verzierten Stein (s. Abb. l., Copyright: Huw Groucutt) deuten für die Forscher auf eine rituelle Nutzung der Anlagen hin.
„Unsere Interpretation der Mustatils ist die, dass es sich um Ritualstätten handelt, an denen sich Menschen versammelt haben, um irgendeine Form gemeinschaftlicher Aktivitäten zu begehen“, so Groucutt. „Vielleicht wurden hier Tiere geopfert oder Festmahle gefeiert?“
Den Umstand, dass an einigen Orten gleich mehrere Mustatils unmittelbar nebeneinander errichtet wurden, könnte laut der Lesart der Archäologen darauf hindeuten, dass die Strukturen erbaut und als Teil ihrer Nutzung auch wieder zerstört wurden, um andere zu errichten.
„Das Nördliche Arabien vor 7.000 war sehr unterschiedlich zu dem, was wir heute vorfinden“, erläutern die Autoren der Studie. „Es gab mehr Regen und größere Flächen waren von Grasland bedeckt, das hier und da von Seen unterbrochen wurde. Hirten dürften diese Landschaft mit ihren Herden genutzt haben. Dennoch war es wohl eine recht anspruchsvolle Umgebung mit einem großen Risiko regelmäßiger Dürren.“
Vor diesem Hintergrund lautet denn auch die Hypothese des Teams um Groucutt, dass die Mustatils als „sozialer Mechanismus“ innerhalb dieser herausfordernden Landschaft errichtet wurden. „Vielleicht sind es nicht die ältesten Gebäude der Welt, aber sie sind auf jeden Fall ungewöhnlich groß für jene Zeit, in der sie erbaut wurden – 2000 Jahre vor den ägyptischen Pyramiden“, so die Forscher und Forscherinnen abschließend. „Mustatils bieten uns faszinierende Einblicke in die Lebensweise jener Menschen, die in dieser anspruchsvollen Landschaft gelebt haben.“ Von zukünftigen Studien erhoffen sich Groucutt und Kollegen weitere Erkenntnisse über diese alten Gesellschaften.
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Quelle: Max-Planck-Gesellschaft
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