Freiburg (Schweiz) – Obwohl die Tiere über kein Gehirn verfügen, ist die Nesseltierchenart Cnidaria phylum zu assoziativem Lernen in der Lage.
Wie Gaelle Botton-Amiot und Simon G. Sprecher von der Schweizer Universität Freiburg gemeinsam mit Pedro Martinez von der Universitat de Barcelona aktuell im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS, DOI: 10.1073/pnas.22206851) berichten, haben sie in ihren Untersuchungen die Frage untersucht, ob für sogenanntes assoziatives Lernen ein Gehirn notwendig ist.
Hintergrund
Von assoziativem Lernen spricht man, wenn es zur Bildung neuronaler Verknüpfungen zwischen einem neutralen Reiz und einem zweiten Stimulus mit entweder positiven oder auch negativen Auswirkungen auf den Organismus kommt. Bekannt sind die Experimente des Pawlow‘schen Hundes, der alleine durch antrainiertes Verhalten bei bestimmten Pfeiftönen eine Belohnung oder auch eine Bestrafung erwartet und entsprechend abgerichtet und in Erwartungshaltung reagiert. Tatsächlich ist diese Form der Konditionierung eine wichtige Form des Lernens und die neuronale Verknüpfung, die sogenannte Assoziation, deren Grundlage. Die so entstehenden Neuzuordnungen von Reizen und Reaktionen bilden die Grundlage für bestimmte Antriebe, auch etwa für bestimmte Vorlieben und Abneigungen. Das assoziative Lernen gilt als eine der Grundlagen des Gedächtnisses und konnte nicht nur beim Menschen, sondern bei einer Vielzahl von Lebewesen nachgewiesen werden. Bislang gingen die meisten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen jedoch davon aus, dass die Mindestvoraussetzung das Vorhandensein eines wie auch immer gearteten Gehirns ist.
In ihren aktuellen Untersuchungen unterzogen die drei Forschenden mit der Nesselanemone Cnidaria phylum nun aber einen Organismus Tests auf assoziatives Lernen, der selbst über kein Gehirn, sondern lediglich über ein Nervennetzwerk verfügt, das die neurale Aktivität verarbeitet und deren Organe und Tentakel auf Licht und andere Reize reagieren.
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Um herauszufinden, ob auch diese Seeanemonen zu assoziativem Lernen fähig sind, setzte das Trio die Tiere hellem Licht und/oder elektrischen Stößen aus. Einige Tiere erhielten diese Reize zeitgleich, andere zunächst unabhängig voneinander. Nach und nach erhielten die Anemonen die Licht- und Schock-Reize immer zur gleichen Zeit und lernten so, diese als ein einzelnes Ereignis wahrzunehmen. Den Nachweis für assoziatives Lernen erbrachten die Forschenden dadurch, dass sie später nur noch das Licht ohne die Elektroschocks einsetzten, um so zu beobachten, ob die Anemone ihre Tentakel, die sie zuvor nur durch den Elektroreiz zusammenzog, auch alleinig durch den Lichtreiz zusammenzog. Das Ergebnis: In 72 Prozent der Fälle konnte dieses somit antrainierte Verhalten bzw. die Reaktion auf die Erwartungshaltung, dass mit dem Licht auch ein die Kontraktion stimulierender Reiz ausgeht, beobachtet werden. Assoziatives Lernen benötigt also kein komplexes Gehirn. Es reicht ein primitives neurales Netzwerk aus.
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Recherchequelle: PNAS
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