Neue Analyse datiert das Turiner Grabtuch ins erste Jahrhundert
Bari (Italien) – Das „Grabtuch von Turin“ stellt eine der bedeutendsten Reliquien des Christentums dar – zeigt es doch den Körperabdruck eines nackten, gekreuzigten Mannes. Was für die einen ein Abbild des wahrhaftigen Leibes Christi ist, deuten Skeptiker als mittelalterliche Fälschung. Eine 1988 durchgeführt C14-Datierung schien letztere Annahme zu bestätigen, wird aber seither auch zunehmend selbst in Frage gestellt (…siehe Links u.). Nun haben italienischen Wissenschaftler die Ergebnisse eines neuen Analyseverfahrens veröffentlicht. Dieses datiert das Leinen nun ins erste Jahrhundert und damit tatsächlich in die Zeit Jesu.
Hauptkritik an den 1988 unter Federführung der University of Oxford und des British Museum durchgeführten C-14-Datierung ist der Umstand, dass die dafür verwendeten proben lediglich vom Rand des Tuches, – nicht aber von dem eigentlichen Körperbild selbst stammten. Teile des Randes aber, – so ist historisch belegt – wurden über die Jahrhunderte hinweg und nicht zuletzt in Folge von Brandschäden (etwa im Jahr 1532 ausgebessert. Dadurch könnte das Ergebnis die C14-Analyse massivverfälscht worden sein, wie mittlerweile auch einige der an den damaligen Analysen beteiligten Wissenschaftler attestieren (…GreWi berichtete). Zudem könnte kohlenstoffhaltiges, verunreinigendes Material, das sich zwischen den Fasern des Leinens festgesetzt hat, die C-14-Analysen beeinträchtigt haben.
www.grenzwissenschaft-aktuell.de
+ HIER können Sie den täglichen kostenlosen GreWi-Newsletter bestellen +
Das Problem neuerer Analysen ist jedoch, dass diese im besten Falle vom Körperabbild selbst stammen müssten und hierfür eben genau jener Teil des Tuches beprobt und damit auch beschädigt werden müsste, den Gläubige als direktes Abbild Jesu Christi verehren. Seit 1988 hat die katholische Kirche weiteren destruktiven Untersuchungsmethoden nicht mehr zugestimmt, – allerdings 2002 selbst proben für zukünftige Analysen entnommen, die bislang nicht zur Verfügung gestellt wurden.
Wie das Team um Liberato de Carlo vom Istituto di Cristallografia des italienischen Wissenschaftsrats (Consiglio Nazionale delle Ricerche, IC–CNR) und Giulio Fanti von der Università di Padova aktuell im Fachjournal „Heritage“ (DOI: 10.3390/heritage5020047) berichtet, haben sie eine Fadenprobe des Turiner Grabtuchs mit einer neuen Röntgenanalysemethode, der sogenannten WAXS-Analyse, untersucht und die Ergebnisse mit bekannten Stoffproben aus Zeiten zwischen 3000 v. Chr. bis 2000 n. Chr. verglichen. Die Probe selbst gehört zu jenen Proben, die 1988 vom Grabtuch entnommen wurden.
Das Ergebnis: „Die integrierten WAXS-Datenprofile, die an der Grabtuchprobe (orange Kurve in der Abbildung l.) erhalten wurden, sind mit ähnlichen Messungsergebnissen vergleichbar, die anhand einer Leinenprobe erhalten wurden, deren Datierung historischen Dokumenten zufolge aus der Zeit 55-74 n. Chr., der Belagerung von Masada (grüne Kurve in der Abbildung l.) entspricht“, so De Caro in seinem zusammenfassenden Bericht auf der Webseite des italienischen Wissenschaftsrats.
Der mittels der angewandten Röntgenanalyse ermittelbare Grad der natürlichen Alterung von Zellulose, aus der das Leinen der untersuchten Probe besteht, zeigte, dass der Tuchstoff viel älter ist als die sieben Jahrhunderte, die aus der Radiokohlenstoffdatierung (C-14) von 1988 hervorging und die das Grabtuch in die Zeit zwischen 1260 und 1390 n. Chr. datierte.
Damit sei das Ergebnis der neuen WAXS-Analyse durchaus mit der Hypothese vereinbar, laut der das Leichentuch tatsächlich ein rund 2000 Jahre altes Relikt sein könnte, so der Wissenschaftler: „Wir haben es also mit zwei Daten zu tun – den Ergebnissen der Radiokohlenstoffanalyse und jenen von WAXS –, die in ihren Ergebnissen sehr unterschiedlich sind.“
Da die Röntgen-Datierungstechnik (WAXS) von Leinen zerstörungsfrei durchgeführt wird, könne sie mehrmals an derselben Probe wiederholt werden. „Angesichts der mittelalterlichen Datierung, die aus Kohlenstoff 14 erhalten wurde, und der aus der WAXS-Analyse erhaltenen, die mit 2000 Jahren Geschichte vereinbar ist, wäre es wünschenswert, eine Kampagne von Röntgenmessungen durchzuführen, die von mehreren Labors an mehreren Proben durchgeführt werden, höchstens im Millimeterbereich Größe, entnommen aus dem Turiner Grabtuch.“
Da die WAXS-Technik nur sehr kleine Gewebeproben erfordere (mit linearen Abmessungen von sogar weniger als 1 mm) und keine Kontamination durch organisches Material aus späteren Epochen als beeinträchtigender Faktor zu befürchten sei, wäre jegliche Probenahme aus dem Grabtuch selbst kaum bis gar nicht invasiv – könnte also erneut an Teilen des Tuchs durchgeführt werden, die von späteren Ausbesserungen mit Sicherheit nicht beeinträchtigt wurden. Der Forscher führt weiter aus: „Tatsächlich wurden im Jahr 2002 bereits einige Fäden aus dem Grabtuch entnommen, die seither von der Erzdiözese Turin speziell für zukünftige wissenschaftliche Studien aufbewahrt werden. (…) Die neue Datierungskampagne mit WAXS könnte es uns ermöglichen zu bestätigen, dass das Leinen, das die christliche Tradition mit der Kreuzigung, dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi in Verbindung bringt, eine eigene 2000-jährige Geschichte hat.“
WEITERE MELDUNGEN ZUM THEMA
Dokumentarfilmer bietet dem British Museum 1 Mio. Dollar für beweiskräftige Replika des Turiner Grabtuchs 19. April 2022
Neudatierung notwendig: Neue Analyse der Daten der Untersuchung des Turiner Grabtuchs von 1988 offenbart grundlegende Fehler 26. Juli 2019
40 Jahre Untersuchung des Grabtuchs von Turin: Alle Studien jetzt online 9. Oktober 2018
Doch kein Folterblut? Wissenschaftsjournal zieht Fachartikel zu Turiner Grabtuch zurück 27. Juli 2018
Kommentar: Turiner-Grabtuch-Experte kritisiert „neue“ Studie zu Blutspuren 21. Juli 2018
Italienische Wissenschaftler rekonstruieren 3D-Körpermodell zum Turiner Grabtuch 5. April 2018
Nanopartikel belegen Blut eines Folteropfers auf dem Grabtuch von Turin 18. Juli 2017
DNA-Analyse des Turiner Grabtuches gibt Hinweise auf dessen mögliche Herkunft und Alter 7. Oktober 2010
Studie: Experimente bestätigen Y-Haltung des Gekreuzigten auf dem Turiner Grabtuch 9. April 2014
Wissenschaftler spekulieren: Verursachte ein Erdbeben anno 33 n.Chr. das Abbild auf dem Turiner Grabtuch und führte zu einer C-14-Falschdatierung 1988? 12. Februar 2014
Turiner Grabtuch wird 2015 erneut öffentlich gezeigt 8. Dezember 2013
Neue Analyse datiert das Turiner Grabtuch doch ins erste Jahrhundert 27. März 2013
Studie: „Körperbild auf dem Turiner Grabtuch ist nicht erklärbar“ 19. Dezember 2011
Kunsthistoriker: „Turiner Grabtuch ist eine Kopie Giottos aus der frühen Renaissance“ 9. Juni 2011
Italienischer Historiker: Hitler wollte Turiner Grabtuch rauben 7. April 2010
3D-Experten rekonstruieren Gesicht des Turiner Grabtuchs 29. März 2010
Stammen das Bluttuch von Oviedo und Turiner Grabtuch von demselben Körper? 22. März 2010
Leinenfund in Jerusalem: Experten üben Kritik an Vergleich mit Turiner Grabtuch 29. Dezember 2009
Historikerin will Schriftzeichen auf Turiner Grabtuch entziffert haben – Handelt es sich um die Bestattungsurkunde Christi? 23. November 2009
Grabtuch-Reproduktion: Experte übt Fachkritik 12. Oktober 2009
Italienischer Wissenschaftler reproduziert Turiner Grabtuch 6. Oktober 2009
Aramäische Schriftzeichen auf Turiner Grabtuch entdeckt 23. Juli 2009
Historikerin: Tempelritter verehrten Turiner Grabtuch 7. April 2009
Oxford Universität will Turiner Grabtuch erneut untersuchen 21. August 2009
Neue Indizien für Turiner Grabtuchforschung durch Tuchfund in der judäischen Wüste? 1. Juni 2008
Neue Scans: Turiner Grabtuch in höchster Auflösung 23. März 2008
Oxford-Professor: Radiokarbondatierung des Turiner Grabtuches möglicherweise falsch, 26. Februar 2008
Rechergequelle: Consiglio Nazionale delle Ricerche, IC–CNR, Heritage
© grenzissenschaft-aktuell.de