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Neue Messung des W-Boson widerspricht dem Standardmodell der Teilchenphysik

Blick auf die Teilchenbeschleuniger-Anlage des Fermilab Copyright: Fermilab/Gemeinfrei
Blick auf die Teilchenbeschleuniger-Anlage des Fermilab
Copyright: Fermilab/Gemeinfrei

Batavia (USA) – Mit dem Teilchenbeschleuniger am Fermilab haben US-Physiker die Masse des sogenannten W-Bosons und damit eines der Trägerteilchen der schwachen Kernkraft so genau wie nie zuvor bestimmt und dabei eine deutliche Abweichung zum Standardmodell der Teilchenphysik festgestellt. Sollte sich die Messungen bestätigen, deutet dies nicht nur auf die Unvollständigkeit des Standardmodells hin, sondern auch auf unbekannte Teilchen und Kräfte jenseits der uns bekannten Physik.

Wie das Team um Ashutosh Kotwal von der Duke University aktuell im Fachjournal „Science“ (DOI: 10.1126/science.abk1781) berichtet, gelang die Messung mit dem Tevatron-Teilchenbeschleuniger am Fermi National Accelerator Laboratory (Fermilab) und zeigt, dass das Trägerteilchen der schwachen Kernkraft signifikant schwerer ist, als es laut dem Standardmodell sein dürfte. Das Ergebnis selbst beschreiben die Projektwissenschaftler als „geradezu schockierend“.

In ihren Untersuchungen haben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Protonen und Antiprotonen mit hoher Geschwindigkeit zur Kollision gebracht und so W-Bosonen entstehen lassen, die nach kurzer Zeit entweder in ein Elektron und Neutrino oder ein Myon und Neutrino zerfallen. Aus der messbaren Energie und Flugrichtung der Teilchen kann dann auf das Gewicht des ursprünglichen W-Bosons geschlossen werden.

Hintergrund
Das W-Boson gehört zu den fundamentalen Elementarteilchen im physikalischen Standardmodell, gehört es doch zu den Trägerteilchen der physikalischen Grundkräfte. Gemeinsam mit dem Z-Boson bildet es die Grundlage der schwachen Wechselwirkung bzw. schwachen Kernkraft, die immer dann wirkt, wenn Atome zerfallen oder auch miteinander verschmelzen. Laut dem Standardmodell der Teilchenphysik ist das W-Boson rund 80-mal schwerer als ein Proton und damit unter den Elementarteilchen geradezu ein Schwergewicht. Anhand theoretischer Berechnungen geht das Standardmodell davon aus, das W-Bosonen eine Masse von 80,0357 Megaelektronenvolt haben sollten. Tatsächlich gab es frühere Messungen – etwa mit dem LHC-Teilchenbeschleuniger am CERN – die dies bestätigt hatten. Allerdings waren diese Messungen weniger genau wie die aktuellen am Fermilab.

Der jetzt untersuchte Datensatz besteht aus über 4,2 Millionen beobachteten Zerfällen, die zwischen 1985 und 2011 mit dem Fermilab-Teilchenbescheluniger gemessen werden konnten. Das erstaunliche Ergebnis: Laut den Daten besitzt das W-Boson eine Masse von 80,4335 Megaelektronenvolt – immerhin rund 0,1 Megaelektronenvolt als vorhergesagt und erwartet. Der Unterschied zwischen dem neuen und bislang genauestens Messwert und der Masse des W-Bosons, wie sie anhand des Standardmodells vorhergesagt wird, entspricht einer Signifikanz von sieben Sigma und erfüllt damit deutlich mehr als das in der Teilchenphysik für eine Entdeckung geforderten Qualitätsmaß von fünf Sigma.

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Auch Wissenschaftler am weltweit größten Teilchenbeschleuniger, dem „Large Hadron Collider“ (LHC) am europäischen Kernforschungszentrum CERN, zeigen sich in einem Science-Gastbeitrag von den Messungen am Fermilab ebenso erstaunt wie fasziniert: „Der überraschend hohe Wert für die W-Boson-Masse steht im Widerspruch zu einem fundamentalen Element im Mittelpunkt des Standardmodells (…) Er betrifft theoretische Vorhersagen und experimentell beobachtete Daten, die bisher als etabliert und gut verstanden galten. (…) Da – laut Carl Sagan – „außergewöhnliche Behauptungen, aber auch außergewöhnlich gute Beweise erfordern“, müssen die Resultate der CDF-Kollaboration nun erst noch durch weitere Experimente unabhängig untersucht und bestätigt werden.“ Dies könnte unter anderem mit neuen Messungen am CERN gelingen, wo der LHC-Teilchenbeschleuniger nach drei Jahren Wartungs- und Aktualisierungsarbeiten noch in diesem Jahr wieder hochgefahren werden soll.

Zugleich gibt es aber auch Kritiker einer Deutung der Messungen als wissenschaftliche Sensation: „Wir müssen die Messungen besser verstehen. Der Umstand, dass wir auch andere Messungen haben, die mit dem Standardmodell übereinstimmten und den aktuell veröffentlichten Messungen damit stark widersprechen, sollte uns derweil noch zu Bedenken geben“, kommentiert etwa der theoretischen Physiker Prof. Ben Allanach von der Cambridge University gegenüber der BBC. Hier äußert sich auch Dr. Mitesh Patel vom Imperial College skeptisch, aber zuversichtlich: „Wir waren schon zuvor an diesem Punkt – wurden dann aber enttäuscht. Jetzt hoffen wir erneut, dass sich die neuen Messungen bestätigen und wir alle noch zu unseren Lebzeiten den Übergang zwischen bisheriger und neuer Physik miterleben können.“

Sollten diese Messungen die größere Masse des W-Bosons bestätigen, wäre dies sowohl ein Beleg auf ein unvollständiges Standardmodell der Teilchenphysik, sondern auch ein Hinweis auf bislang unbekannte physikalische Prozesse, Teilchen und Kräfte – Hinweise vielleicht auf eine bislang unbekannte fünfte Grundkraft. Hinweise auf die gerade am CERN sehnlichst gesuchte „neue Physik“.




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Recherchequelle: Fermilab, BBC

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Andreas Müller
Fachjournalist Anomalistik | Autor | Publizist
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