Berlin (Deutschland) – Neurologen haben einzigartige elektrische Aktivität entdeckt, die in Zellen in den äußersten Schichten des menschlichen Gehirns erzeugt wird und diesem zusätzliche Rechenleistung verleihen könnte. Bislang wurde das Signal zudem nur beim Menschen beobachtet. Macht und dieses Signal menschlich?
Wie das Team um Albert Gidon und Matthew Larkum von Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin aktuell im Fachjournal „Science“ (DOI: 10.1126/science.aax6239) berichtet, haben sie eine neue Variante von Aktivitätssignalen entdeckt, die von mit Hilfe der sogenannten Dendriten im menschliche Gehirn erzeugt werden.
Hintergrund
Am Ende einer jeden Gehirnzelle, der sogenannten Neuronen, senden und empfangen baumartige Anhänge, sogenannte Dendriten, elektrochemische Signale, die eine wichtige Rolle bei der Zusammenstellung von Informationen durch das Gehirn spielen, um die nächsten Handlungen zu bestimmen. Die Dendriten geben Informationen durch elektrische Aktivitätsschübe an den Rest der Neuronen weiter. Abhängig davon, wie nun das Gehirn „verdrahtet“ ist, kann jeder Dendrit Hunderttausende von Signalen von anderen Neuronen entlang seiner Länge empfangen. Während Wissenschaftler glauben, dass diese elektrischen Spitzen das Gehirn sozusagen verkabeln und Fähigkeiten wie Lernen und Gedächtnis zugrunde liegen, ist die genaue Rolle der Dendriten in der menschlichen Wahrnehmung noch immer unbekannt.
Neurologisch gesehen sei die Physiologie, die das menschliche Gehirn so besonders und fähig macht, nach wie vor erst wenig verstanden, erläutern die Autoren um Larkum. Eine mögliche Erklärung könnte in der Dicke der kortikalen Schichten des menschlichen Gehirns liegen, insbesondere der Schichten 2 und 3, die im Vergleich zu anderen Spezies eine unverhältnismäßig große Menge an Hirnsubstanz enthalten, sowie in zahlreichen Neuronen mit großen und ausgefeilten dendritischen Bäumen.
Die nun entdeckte unerwartet komplexe elektrische Aktivität in den Dendriten menschlicher Pyramiden-Neuronen, scheinen es den Zellen zu ermöglichen, Berechnungen durchzuführen, die zu komplex waren, als dass von einzelnen Neuronen hätten bewältigt werden können. Auf diese Weise könnten sie also Verarbeitungsleistung des menschlichen Gehirns auf einzigartige Weise steigern und es uns so ermöglichen, komplizierte Probleme zu verstehen und zu lösen, vermuten die Wissenschaftler.
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Darüber hinaus stellen die Autoren der Studie fest, dass die neu entdeckten Signale bislang in keinem der entsprechen untersuchten tierischen Gewebe beobachtet werden konnten und stellen deshalb auch die Frage, ob vielleicht dieses Signal in einzigartiger Weise zur menschlichen Intelligenz beigetragen hat.
Während sich die meisten bisherigen Dendritenstudien auf die Untersuchung von Nagetiergewebe konzentrierten, die zwar grundlegende Eigenschaften mit menschlichen Gehirnzellen teilen, aber deutlich kürzer sind als diese und anhand derer sich entsprechende Signale auch nicht fanden, haben sich die Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die elektrischen Eigenschaften menschlicher Neuronen und ihrer Dendriten konzentriert und erforscht, was die längeren Dendriten im Menschenhirn von jenen in tierischen Gehirnen unterscheidet.
Die mittels aufwendiger Untersuchungen und Computermodellen entdeckten und ausgewerteten Aktivitätssignale und damit einhergehende -spitzen zeichnen nun das Bild von der Eigenschaften der Dendriten Informationen an jedem Punkt ihrer Länge verarbeiten und so als ein einheitliches Netzwerk arbeiten zu können, um so zu entscheiden, welche Informationen mitgeschickt, welche verworfen und welche allein verarbeitet werden sollen.
Statt Informationen also lediglich zusammenzuzählen, verarbeiten die Dendriten diese offenbar und erhöhen dadurch die „Rechenleistung“ des menschlichen Gehirns enorm, da die Neuronen so offenbar Funktionen übernehmen, die man bislang als die Arbeit ganzer und vielschichtiger neuronaler Netzwerke im Hirn hielt.
Während die beschriebenen Beobachtungen bislang nur anhand des menschlichen Gehirns entdeck wurden, sei es aber noch zu früh, um sie mit Sicherheit bei anderen Arten ausschließen zu können, geben Larkum und Kollegen zu bedenken: „Über diese Dendriten bei anderen Arten ist fast nichts bekannt, und es bleibt abzuwarten, ob diese besondere dendritische Aktivität beim Menschen tatsächlich einzigartig komplex oder bei Nagetieren lediglich einzigartig einfach ist oder etwas in der Mitte von beidem. Uns fehlen die Informationen darüber, wie sie funktionieren, wenn das gesamte Gehirn aktiv ist. Auch das könnte uns bei der Beantwortung dieser Frage helfen.“
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