Physikalische Medialität: Neue Videodokumentation über Séance-Forschungsexperimente mit Kai Mügge

Symbolbild: Tischéance. Copyright/Quelle: E. Kruse
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Symbolbild: Tischéance.Copyright/Quelle: E. Kruse

Symbolbild: Tischéance.
Copyright/Quelle: E. Kruse

Seit über 150 Jahren werden aus spiritistischen Séancen vielfältige Phänomene berichtet. In neunen Experimenten hat Dr. Eckhard Kruse, Professor für Angewandte Informatik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Séancen mit dem Medium Kai Mügge elektronisch überwacht und die dabei entstandenen Phänomene akribisch dokumentiert. Exklusiv auf Grenzwissenshaft-Aktuell.de stellt Professor Kruse die Ergebnisse dieser Arbeit erstmals vor.

– Bei diesem Artikel handelt es sich um einen exklusiven GreWi-Gastbeitrag von Prof. Dr. Eckhard Kruse. Die vom Autor geäußerten Ansichten sind seine eigenen.

UPDATE #01: Lesen Sie HIER die Kontroverse, die sich in Folge des hiesigen Artikels entwickelt hat.

UPDATE #02: Sehen Sie HIER den 2. Teil von Prof. Eckhard Kruses Videodokumentation.

Seit über 150 Jahren werden aus spiritistischen Séancen vielfältige Phänomene berichtet: Da bewegen sich Gegenstände buchstäblich „wie von Geisterhand“, aus dem Medium tritt die geisterhafte Substanz, sog. Ektoplasma aus und nimmt vielfältige Formen an, Gegenstände erscheinen als Apporte quasi aus dem Nichts, oder beim Tischerücken entwickelt ein Tisch unter den lose aufgelegten Händen der Séanceteilnehmer ein Eigenleben oder hebt gar vollständig vom Boden ab. Auch heute noch gibt es sogenannte Physikalische Medien, in deren Séancen derartige Phänomene beobachtet werden können. Viel davon geschieht im Dunkeln oder bei schwachem Rotlicht, und aus schulwissenschaftlicher Sicht scheint ohnehin klar: alles nur Illusion, Täuschung oder Betrug. Dennoch zeigen sich Medien gelegentlich bereit, in ihren Séancen wissenschaftliche Experimente zuzulassen, um einen tieferen Einblick in die Vorgänge zu ermöglichen. So konnte Prof. Dr. Eckhard Kruse, Professor für Angewandte Informatik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, seit einigen Jahren Experimente in den Séancen verschiedener Medien durchführen (…GreWi berichtete). 2021 begann eine ausführliche Reihe von Experimentalséancen mit Kai Mügge, unterstützt durch Zirkelleiterin Julia Mügge sowie der Psychologin Dr. Heike Bauder und zeitweise Dominik Dörrzapf, der als Kameramann half, die Geschehnisse zu dokumentieren.

Um die Untersuchungen und Ergebnisse interessierten Menschen zu vermitteln, wurde der Weg gewählt, das Vorgehen, die Atmosphäre vor, während und nach den Séancen und die Ergebnisse filmisch zu dokumentieren und als Serie von Doku-Kurzvideos zu veröffentlichen. Der erste Teil, der hiermit exklusiv auf Grenzwissenschaft-Aktuell.de als zwanzigminütiges Video veröffentlicht wird, widmet sich dem Phänomen des Tischerückens.

Das sogenannte Tischerücken gründet sich auf die westliche okkulte Tradition, um einen Tisch sitzend auf Signale von Geistwesen zu warten, z.B. in Form von Klopfgeräuschen. Oft wurden dabei die Hände zur Kontrolle auf den Tisch gelegt und dabei kam es immer wieder zu überraschenden Bewegungen des Tisches bis hin zu seinem vollständigen Abheben – Phänomene, die schon im 19. Jahrhundert das Interesse der Forschung weckten. So wird etwa der ideomotorische Effekt (nach seinem Begründer auch „Carpenter-Effekt“ genannt) zur Erklärung herangezogen, demzufolge sich derartige Bewegungen schlichtweg durch eigene, allerdings unbewusste Muskelbewegungen der sogenannten Sitzer erklären lassen. Daneben müssen natürlich auch verschiedene Möglichkeiten gezielter Tricks und Manipulationen in Betracht gezogen werden, zumal die Phänomene oft im Dunkeln geschehen. Doch auch nach Berücksichtigung verschiedenster konventioneller Erklärungen gelangten Forscher immer wieder zur Überzeugung, Zeuge echter paranormaler Geschehnisse geworden zu sein.

Tischlevitation im Infrarot.Symbolbild: Tischéance. Copyright/Quelle: E. Kruse

Tischlevitation im Infrarot.
Copyright/Quelle: E. Kruse

Ein zentrales Problem bei der Erforschung solch okkulter Phänomene besteht darin, dass bei Intervention durch Kontrollen, Messgeräte oder Beleuchtung viele Phänomene erst gar nicht erscheinen. Manche deuten das als ‚Beweis‘, dass sich alles um Betrug handeln müsse. Aber es gibt eben auch den anderen Weg, durch behutsames, schrittweises experimentelles Annähern durchaus bemerkenswerte Ergebnisse zu Tage zu fördern. Auch bei der Untersuchung der Tischséancen mit Kai Mügge stellte sich eine derartige Gratwanderung als erfolgreich heraus, um einerseits immer mehr interessante Messdaten zu gewinnen, andererseits aber auch Zeuge starker Phänomene zu werden. Die Experimente fanden ihren bisherigen Höhepunkt in der Dokumentation vollständiger Tischlevitationen, bei denen alle Sitzer ihre Hände erkennbar lose oben auf der Tischoberfläche liegen hatten, der Bereich unter dem Tisch und den Tischbeinen erkennbar frei blieb und die Vorgänge aus verschiedenen Perspektiven mit Infrarotvideo, -kamera und weiteren Sensoren aufgezeichnet wurden.

Die Videodokumentation zeigt den teils mühsamen, oft auch emotionalen Weg dorthin und die vielfältigen Ideen, mit geeigneter Technik konventionelle Erklärungen der Manipulation immer weiter ausschließen zu können.  Im Folgenden sollen die wesentlichen experimentellen Ansätze und Ergebnisse skizziert werden.

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Eine typische Tischséance bei Kai Mügge verläuft weitgehend im Dunkeln, lediglich in kürzeren Rotlichtphasen sind zwischendurch Kontrollen etwa der Tischposition, der Hände der Sitzer usw. üblich, wobei die besonders eindrucksvollen vollständigen Tischlevitationen in der Regel nur im Dunkeln über die Wahrnehmung der Tischbewegungen durch die eigenen Hände möglich ist. An dieser Stelle setzten die Experimente an, um weitergehende objektive, messbare Informationen über das Geschehen zu erhalten.

Ultraschall Sensordaten.Tischlevitation im Infrarot. Symbolbild: Tischéance. Copyright/Quelle: E. Kruse

Ultraschall Sensordaten.
Copyright/Quelle: E. Kruse

Ein erster Ansatzpunkt war die Verwendung von Ultraschallsensoren. Am Fuße jedes Tischbeines wurden Sensoren angebracht, die millimetergenau den freien Abstand zum Boden messen. Beim Kontakt mit dem Boden liefern sie den Wert null und es lassen sich damit auch Tricks erkennen, wenn etwa mit einem Fuß unter dem Tischbein der Tisch nach oben gehebelt würde. Die Sensordaten wurden mit 50 Messungen pro Sekunde kontinuierlich während der gesamten Sitzung lokal auf eine Speicherkarte aufgezeichnet und ermöglichten so eine Analyse der Tischbewegungen und schließlich deren Darstellung als 3D-Animation. Bei den Levitationen betrug der Abstand der Füße vom Boden bis zu 34 cm.

3D-Animation mit Finger-Touchsensoren.Ultraschall Sensordaten. Tischlevitation im Infrarot. Symbolbild: Tischéance. Copyright/Quelle: E. Kruse

3D-Animation mit Finger-Touchsensoren.
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Um die Hände der Sitzer auf der Tischoberfläche zu kontrollieren, kamen kapazitive Berührungssensoren zum Einsatz, deren Werte ebenfalls permanent während der gesamten Sitzung aufgezeichnet wurden. Für jede Hand gab es einen Sensorpunkt, der mindestens mit einem Finger zu berühren war, so dass insbesondere während der Levitationen überprüft werden konnte, dass tatsächlich alle Hände auf der Tischoberseite lagen. Weiterhin wurde mit Bewegungssensoren experimentiert, um die Beschleunigung, Drehgeschwindigkeit und Orientierung des Tisches aufzuzeichnen.

Ein typisches Ziel der Séanceforschung besteht in der Nutzung von Infrarotlicht, um trotz der Dunkelheit (im sichtbaren Bereich des Lichts) Informationen mit Infrarotkameras aufzuzeichnen. Dem verständlichen Wunsch nach einer vollständigen Infrarotbeleuchtung und Aufzeichnung des gesamten Geschehens kann aber meist nicht Rechnung getragen werden, da sich dann in der Regel von vornherein keinerlei Phänomene zeigen. Deshalb wurde auch hier ein behutsamerer Weg gewählt. In einem ersten Schritt wurden vier Infrarotleuchtdioden auf dem Tisch angebracht. Sie dienten als aktive Markierungen, die von einer Infrarotvideokamera aufgenommen werden konnten, ohne jedoch die Umgebung nennenswert auszuleuchten. So konnten die Tischbewegungen vollständig bezüglich der sechs Freiheitsgrade im Raum (Translation und Rotation für x, y, z) vermessen, berechnet und visualisiert werden, nachdem die Ultraschallsensoren beispielsweise noch keinen Aufschluss über seitliche Bewegungen geben konnten.

Der letzte, entscheidende Schritt bestand dann darin, mit mehreren Infrarotscheinwerfern die Szene gut auszuleuchten. Doch auch diese waren nicht die ganze Zeit eingeschaltet. Stattdessen begann die Séance wie gewohnt im Dunkeln und erst in den entscheidenden Momenten, wenn der Tisch sich in Bewegung versetzte, Kippbewegungen machte und schließlich vollständig erhob, wurde die Infrarotbeleuchtung über einen Fußschalter aktiviert und Infrarotkamera und Infrarotvideo konnten die Szene aufzeichnen. Nach Einschalten des (unsichtbaren) Lichts fiel der Tisch meist nach kurzer Zeit wieder zu Boden, doch auch die kurzen Videosequenzen und Fotos  aus günstigen Perspektiven lassen kaum mehr Raum für konventionelle Erklärungen der Tischbewegungen.  Auch diese Ergebnisse sind in dem Kurzvideo dokumentiert und können wohl als wichtiger Schritt der modernen Erforschung von Séancephänomenen betrachtet werden.

Tisch-Levitation (setlich) im IR. 3D-Animation mit Finger-Touchsensoren.Ultraschall Sensordaten. Tischlevitation im Infrarot. Symbolbild: Tischéance. Copyright/Quelle: E. Kruse

Tisch-Levitation (setlich) im IR.
Copyright/Quelle: E. Kruse

Der zweite Teil der Videodokumentation ist bereits in Arbeit und er wird Einblicke in Phänomene von Kai Mügges Kabinettséancen geben, wie etwa die Bewegung von Gegenständen im Raum oder die vielfältigen Erscheinungsweisen von sich entwickelnden Handformen. GreWi wird berichten…

Prof. Eckhard Kruse ging in Braunschweig zur Schule und studierte dort Informatik. 1993/94 lebte er im Rahmen eines Auslandsstudiums für ein Jahr in Pisa, Italien. Nach dem Abschluss seines Studiums im Jahre 1995 promovierte er auf dem Gebiet der Robotik und Bildverarbeitung zum Doktor-Ingenieur (1998). Seit 2000 lebt er in Heidelberg. Dort arbeitete er acht Jahre in der industriellen IT-Forschung als Projekt- und Gruppenleiter. Seit 2008 ist er Professor für Angewandte Informatik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Mannheim.

Weitere Informationen unter: www.kaimuegge.de und www.eckhardkruse.net




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