Budapest (Ungarn) – Um die beobachtbare beschleunigte Ausdehnung des Universums erklären zu können haben Physiker Ende der 1990er Jahre das Konstrukt der sogenannten Dunklen Materie als eine Verallgemeinerung der kosmologischen Konstanten eingeführt. Obwohl sie bis zu 68 Prozent unseres Universums ausmachen soll, konnte sie bislang noch nicht direkt bewiesen werden und gilt unter einigen Physikern deshalb sogar als eine Art „wissenschaftliches Hirngespinnst“. Tatsächlich haben nun ungarische Physiker ein Modell präsentiert, mit dem die besagte beschleunigte Ausdehnung des Universums auch ohne Dunkle Energie erklärt werden kann.
Wie die das Team um Gábor Rácz und László Dobos von der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest vorab via ArXiv.org aktuell im Fachjournal „Monthly Notices of the Royal Astronomical Society“ berichten, schlagen sie eine alternative Erklärung für die Beobachtungenvor und argumentieren, dass die konventionellen Modelle der Kosmologie (also jener Wissenschaft über Ursprung, Entstehung und die Entwicklung unseres Universums) auf Annahmen beruhen, die die Struktur des Universums selbst nicht berücksichtigen und dort, wo Materie vermutet wird, von einer uniformen Dichte ausgeht.
„Einsteins Gleichungen zur Allgemeinen Relativität beschreiben die Ausdehnung des Universums derart mathematisch komplex, dass mehr als 100 Jahre lang keine Lösungen für die Fragen rund um die Auswirkungen kosmischer Strukturen gefunden wurden“, so die Forscher. „Wir wissen nun aber von der Vermessung von Supernovae (Sternenexplosionen) dass sich das Universum beschleunigt ausdehnt. Zu gleichen Zeit sind wir aber weiterhin auf grobe Schätzungen in den Einstein-Gleichungen angewiesen, die aber mit schwerwiegenden Nebeneffekten einhergehen – eben etwa der Notwendigkeit zur Einführung des Konzepts der Dunklen Energie, um auf diese Weise die Modelle mit den beobachtbaren Daten in Übereinstimmung zu bringen.“
www.grenzwissenschaft-aktuell.de
+ HIER können Sie den täglichen kostenlosen GreWi-Newsletter bestellen +
In der Praxis bedeutet dies, dass normale und sog. Dunkle Materie das Universum in Form einer schaumartigen Struktur anfüllen innerhalb derer Galaxien entlang der dünnen Wände zwischen den Schaumblasen angeordnet sind und sich so zu Gruppen sogenannter Supercluster zusammenfinden. Das Innere dieser Blasen ist im Gegensatz dazu aber fast leer und beinhaltet laut den bisherigen Modellen kaum normale noch dunkle Materie.
Mit Hilfe von Computersimulationen zeigen die Forscher um Gábor Rácz nun, die Auswirkungen von Gravitation auf die Verteilung von Millionen von Teilchen der Dunklen Materie und haben auf diese Weise die Entwicklung des Universums rekonstruiert – dabei auch das frühe Zusammenklumpen von Materie und die Entstehung gewaltiger Strukturen in großem Maßstab.
Standbild aus einer Animation der Ausdehnung des Universums laut der die Dunkle Energie beinhaltenden Standard-(Lambda-CDM-Modell)-Kosmologie (oben links, rot); dem neuen sog. Avera-Modell, das die Struktur des Universums miteinbezieht, wodurch keine Dunkle Energie mehr notwendig ist (oben Mitte, blau) und der sog. Einstein-de-Sitter-Kosmologie (dem Originalmodell ohne Dunkle Energie; oben rechts grün). Der Graph darunter zeigt den Skalierungsfaktor (Größe) als eine Zeitfunktion (1Gya = einer Milliarde Jahre). Das Wachstum der Struktur lässt sich auch an den oberen Abbildunegn ablesen, wenn ein Bildpunkt einem vollständigen Galaxiencluster entspricht. Hier sind die Einheiten Megaparsec (Mpc). Ein Parsec entspricht 3,26 Lichtjahren. Ein Megaparsec sind eine Million Parsec.
Klicken Sie auf die Bildmitte, um zu einer vergrößerten Darstellung zu gelangen.
Copyright: István Csabai et al.
Im Gegensatz zu konventionellen Simulationen, in denen sich das Universum gleichmäßig ausdehnt, führen die neuen Simulationen unter Einbeziehung der Struktur zu einem Modell, in dem sich unterschiedliche Regionen des Universums mit unterschiedlicher Beschleunigungsrate ausdehnen: „Die ‚durchschnittliche‘ Ausdehnungsrate stimmt dabei jedoch zugleich mit den heutigen Beobachtungen überein, die eine Gesamtbeschleunigung (des Universums) nahelegen.“
Zwar sei, so unterstreichen die Physiker, die Allgemeine Relativitätstheorie auch weiterhin grundlegend zutreffend, was die Entwicklung des Universums anbetrifft – und man stelle deren Gültigkeit auch nicht in Frage – man hinterfrage jedoch die Gültigkeit der auf Schätzungen beruhenden Lösungen. „Unsere Entdeckungen basieren auf einer mathematischen Annahme, die es uns erlaubt, die unterschiedliche Ausdehnung des Raumes in Übereinstimmung mit der Allgemeinen Relativitätstheorie zu bringen und dadurch zeigen zu können, wie die Entstehung von komplexen Strukturen aus Materie die Ausdehnung des Universums beeinflussen“, so Dobos. Diese Angelegenheiten wurden bislang unter den Teppich gekehrt. In dem man sie nun aber in Betracht zieht, kann man die Beschleunigung des Universums auch ohne Dunkle Energie erklären.
Sollten Csabai und Kollegen Recht haben, so hätte dies „gravierende“ Auswirkungen auf unsere bisherigen Verständnismodelle des Universums und die Ausrichtung der physiklaischen Forschung. Zumindest aber erhoffen sich die Physiker einer angeregte Debatte.
© grenzwissenschaft-aktuell.de