Physiker suchen Beweise für Spiegel-Materie
Oak Ridge (USA) / Zürich (Schweiz) – Sowohl am Oak Ridge National Laboratory als auch am Paul Scherrer Institut (PSI) führen Physiker derzeit Experimente durch, mit denen sie unter anderem die Theorie von der Existenz sog. Spiegel-Materie überprüfen wollen. Doch ganz so, wie es Science-Fiction-Fantasien nahelegen, dürfte die Realität vermutlich nicht aussehen.
Wie Der Nachrichtensender NBC berichtet, will zum einen das Team um die Physikerin Dr. Leah Broussard mit Hilfe sogenannter Oszillation von Neutronen, also subatomarer Teilchen sogenannte Spiegel-Materie erzeugen. Am PSI hat das Team um Prof. Dr. Klaus Kirch langsame Neutronen Magnetfeldern ausgesetzt und dann nach plötzlich fehlenden Teilchen gefahndet, die auf diese Weise ebenfalls „Spiegel-Materie“ offenbaren könnten.
Broussard und Kollegen wollen in einer Reihe von Experimenten Neutronen durch einen 15 Meter langen Tunnel und einen darin befindlichen extrem starken Magneten schießen, an dessen Ende die Teilchen auf eine eigentlich für sie undurchdringliche Wand treffen. Stimmen die von den Physikern berechneten Bedingungen, so könnten einige dieser Teilchen dabei sich selbst in ihr eigenes Spiegel-Gegenstück verwandeln und so die „undurchdringliche Wand“ doch durchdringen. Der Nachweis entsprechender Teilchen auf der anderen Seite der Wand wäre damit auch der erstmalige Nachweis der Existenz solcher Spiegel-Teilchen.
Professor Dr. Kirch und sein Team haben hingegen Neutronen Magnetfeldern ausgesetzt und nach diesem Prozess nach fehlenden Neutronen gefahndet, die sich auf diese Weise in ihr spiegelbildliches Gegenstück verwandelt bzw. oszilliert haben könnten. „Wäre dies der Fall, so könnten diese Neutronen von unseren Instrumenten nicht mehr als solche wahrgenommen werden“, erklärt der Physiker.
„Zu beachten ist, dass wir bereits zuvor immer Ausschlussgrenzen publiziert haben, d.h. wir haben ausgeschlossen, dass Spiegel-Neutronen bestimmte Eigenschaften haben könnten“, erläutert Kirch gegenüber Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWi) und führt zu den aktuellen Experimenten weiter aus: „Weil das Thema aber prinzipiell interessant blieb und andere Wissenschaftler neue mögliche Signale gefunden haben (insb. Zurab Berezhiani, siehe dazu „Hintergrund“), haben wir uns auch wieder mit einem Experiment und einer Analyse beteiligt. Eine Beschreibung unserer Datennahme haben wir bereits via ArXiv.org veröffentlicht. Derweil steht eine Publikation der finalen Ergebnisse aber noch aus und wird Thema einer Dissertation sei, die derzeit noch läuft.
Für den Fall, dass wir kein Signal von Spiegel-Neutronen sehen, werden wir einen Großteil des aus anderen Messungen möglichen Parameterraums dafür ausschließen können.“
Hintergrund
Auch der bereits genannte Physiker Zurab Berezhiani forscht an der Università dell’Aquila über Spiegel-Neutronen und präsentierte jüngst seine eigene, ebenso faszinierende wie kontrovers diskutierte These: Laut dieser ist die nicht minder eifrig gesuchte Dunkle Materie – die, obwohl sie 23 Prozent des gesamten Energie- bzw. Materieanteils unseres Universums ausmachen müsste, nicht direkt sichtbar ist und mit unserem beobachtbaren Universum vielleicht nur über die Gravitation wechselwirkt – deshalb bislang noch nicht direkt beobachtet und ihre Existenz und Natur damit noch nicht nachgewiesen worden, weil Dunkle Materie und Spiegel-Materie einander entsprechen. Würde dieses Modell stimmen, so wäre die gesuchte Spiegel-Welt nicht nur allgegenwärtig, sondern auch deutlich massereicher als unsere eigene, deren Atome nicht zuletzt nur etwa 4 Prozent des Universums ausmachen. Laut Berezhiani könnte eine solche Spiegel-Welt, ein ganzes Spiegel-Universum mit eigenen Planeten, Sternen, Schwarzen Löchern und ganzen Galaxien – also auch dunklem bzw. Spiegel-Leben darstellen.
Auch Broussard weiß, dass die grundlegende Theorie sehr exotisch klingt. Schließlich könnte eine solche Spiegel-Welt auch ihre ganz eigenen physikalischen Gesetze und Geschichte haben – oder auch nicht. Zwar gäbe es wohl nicht die in der Science-Fiction angedachten Spiegel-Versionen einer jeden Person und jedes Lebewesens unserer Welt und noch weniger hätte ein jeder von uns automatisch einen „bösen, dunklen Spiegel-Zwilling“, dennoch schließt auch die Physikerin eine Welt aus Spiegel-Materie nicht gänzlich aus. „Es könnte also ein ganzes Spiegel-Universum existieren, dass uns bislang zwar verborgen und unerreichbar ist, das aber nicht weniger real wäre als unser eigenes Universum“, zitiert die NBC die Physikerin.
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Während das Experiment komplizierter und exotischer klingt als es tatsächlich ist und bereits existierende Materie und am Oak Ridge Laboratory vorhandene Technologien nutzt, könnte selbst der Nachweis nur eines einzigen Spiegel-Teilchens eine physikalische und Weltbild-Revolution darstellen: „Es würde zeigen, dass das, was wir sehen können, nur ein Teil des Ganzen ist und das die Gesetze der Physik, wie wir sie kennen, nur ein Teil eines viel größeren Ganzen sein können.“
GreWi-Interview
Prof. Dr. Klaus Stefan Kirch über Spiegel-Neutronen und die Suche danach
Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWi): Dr. Berezhiani vertritt die Vorstellung, dass es neben dem unseren ein Spiegel-Universum mit Planeten, Sternen und Galaxien geben könnte und auch Prof. Broussard will die Vorstellung zunächst nicht ausschließen. Wie stehen Sie dazu?
Prof. Dr. Klaus Stefan Kirch: Ich mag den Begriff des „Spiegel-Universums“ eigentlich nicht, er ist etwas irreführend. Die richtigere Vorstellung ist die, dass in unserem Universum noch andere Teilchen sind als die, die wir bisher kennen. Dafür gibt es sehr starke Argumente, im Wesentlichen legt die sehr wahrscheinliche Existenz „Dunkler Materie“ das nahe. Wenn diese Teilchen mit den uns bekannten nur über die Gravitation wechselwirken würden, würden wir sie vielleicht nie nachweisen können. Sie könnten perfekte Spiegelbilder unserer bekannten Teilchen sein, aber eben kaum interagieren. Das wäre dann das, was manche ein „Spiegel-Universum“ nennen würden.
Es gibt sehr gute und ‘schöne’ Argumente für eine Theorie, die diese Spiegelteilchen beinhalten würde. Das würde aber in diesem Rahmen hier zu weit führen, ist aber interessant.
Für den Experimentalphysiker interessant wird es eigentlich erst, wenn es überprüfbar ist und dazu müssten solche Teilchen mit unseren irgendwie wechselwirken und zwar mehr als über die Schwerkraft. Dazu kann man spekulieren und auch ansprechende Modelle bauen. Es gibt ein paar unverstandene Probleme, die sich damit lösen ließen, das macht sie attraktiv. Solche Dinge versuchen wir dann speziell mit unseren Messungen ins Visier zu nehmen (auch Leah Broussard und Co. tun das).
Bei negativem Befund können wir die ausschließen. Aber die eigentliche Möglichkeit, dass die Teilchen nur mit uns über Gravitation wechselwirken kann von uns nicht ausgeschlossen
werden, außer wir finden sie und zeigen, dass sie anders wechselwirken.
GreWi: Wenn Sie sagen, besagte Spiegel-Teilchen „könnten perfekte Spiegelbilder unserer bekannten Teilchen sein“, dann meinen Sie damit aber nicht, dass es sozusagen von allem was existiert sozusagen ein dunkles Spiegelbild (oder gar den oft angedachten „dunklen Zwilling“) gibt?
Dr. Kirch: Da haben sie recht. Die Vorstellung von diesen „Spiegelbildern“ beträfe lediglich die Teilchenebene, also zum Photon, Elektron, usw. gäbe es entsprechende Spiegelphotonen, Spiegelelektronen usw. Im Extremfall hätten wir ein komplettes zweites Set von den uns bekannten Teilchen. Sie hätten exakt die gleiche Masse und die gleichen Eigenschaften
in der Wechselwirkung (WW) miteinander. Attraktiv wird es, wenn die schwache WW die andere Händigkeit hätte. Unsere schwache WW ist linkshändig und verletzt daher die sogenannte Parität (Rauminversion oder -spiegelung). Hätte dieses Set von Spiegelteilchen die umgekehrte Händigkeit wäre im größeren Zusammenhang die Parität nicht verletzt.
GreWi: Wären diese beiden Teilchen-Welten, also unsere und die des „Spiegel-Universums“ voneinander abhängig? Würde also etwa mit der Erschaffung eines Objekts oder gar mit der Geburt eines Kindes in „unserer Welt“, automatisch auch dessen „dunkles“ Spiegelbild existieren und wäre es dann an dieses und dessen Werdegang/Schicksal gekoppelt, so wie es so manche Science-Fiction-Fantasie darstellt?
Dr. Kirch: Im Prinzip könnten sich Spiegel-Teilchen zu Spiegel-Materie zusammenfinden und sogar astronomische Objekte bilden. Man hat entsprechende Kosmologie-Modelle dazu gemacht und es kann helfen, die Spiegel-Materie als Dunkle Materie zu benutzen. Das Szenario, in dem die Teilchen aber exakte Spiegelbilder unserer Teilchen sind, ist aber nicht das bevorzugte. Im besten Fall wären die Spiegel-Teilchen etwas schwerer.
Automatisch passiert aber gar nichts, schon gar nicht „Spiegelbabys“ und dergleichen.
GreWi: Wo verorten denn solche Modelle und Konzepte derartige Spiegel-Universen im Verhältnis zu dem unsrigen? Ist es ein Paralleluniversum, das mit oder neben unserem aber zeitgleich existiert – eine andere/weitere Dimension? Oder anders gefragt: Sollten die Experimente im Sinne der Suche nach Spiegel-Neutronen erfolgreich sein und Neutronen zu einem Spiegel-Neutron oszillieren, wohin „verschwinden“ sie dann, räumlich wie zeitlich?
Dr. Kirch: Ich glaube auch bei Berezhiani und Broussard ist es so wie bei mir: Die Neutronen, die möglicherweise in Spiegelneutronen oszillieren würden, bleiben räumlich und zeitlich in unserem Universum. Wir „sehen“ sie nur nicht mehr, weil sie nicht mehr mit unserer normalen Materie wechselwirken (außer durch Gravitation und jene WW, die die Oszillation möglich macht – beides aber so schwach, dass es nicht weiter einfach auffällt.)
Man würde Berezhiani und Broussard sonst missverstehen. Berezhiani hat eventuell auch andere Theorien mit Paralleluniversen, aber das ist wieder etwas anderes.
Der Sprachgebrauch vom ‘mirror universe’ verselbständigt sich etwas und der Laie (und vielleicht auch mancher Physiker) stellt sich einen anderen Raum vor.
Was die Spiegel-Materie insbesondere interessant macht ist, dass sie auch das Problem der
sog. Dunklen Materie lösen könnte und die brauchen wir unbedingt in unserem Universum/Raum.
Teilchenoszillationen sind zum Beispiel von den neutralen Kaonen her bekannt und während die Kaonen zum Beispiel beim Oszillieren nicht „unsichtbar“ werden, so haben die beiden Zustände doch unterschiedliche WW aber im gleichen Raum. In der Quantenmechanik ist das Oszillieren eines Systems zwischen zwei Zuständen ein gängiges Phänomen, sozusagen Lehrbuchstoff.
Also: wenn ein Neutron in ein Spiegel-Neutron oszilliert (bzw. oszillieren würde), dann verschwindet es nur aus unserer Fähigkeit es zu detektieren Es verschwindet ggf. auch aus unserer Apparatur, weil deren Wände es nicht mehr zurückhalten können, aber es bewegt sich dann einfach durch die Wände hindurch und bleibt insgesamt in unserem Raum/Universum.
GreWi: Wenn aber das Konzept ganzer astronomischer Objekte aus Spiegel-Materie und damit auch ein astronomisches Bild eines Spiegel-Universums zumindest „möglich“ wäre – wo wäre dieses dann verortet oder würde/könnte es (bildlich gedacht) derzeit direkt um mich herum existieren, ohne dass ich es sehen und merken würde? Könnte ich diese „Welt“ beispielsweise mit einer hypothetischen Spezialbrille etwa am normalen Himmel weitere astronomische (Spiegel-)Objekte sehen?
Dr. Kirch: Es ist denkbar, dass es ganze Objekte aus Spiegelmaterie geben könnte. Es gibt gewisse Grenzen, wie sehr das, was wir „Dunkle Materie“ nennen, „geklumpt“ sein kann, aber die sind nicht sehr einschränkend. Direkt um Sie herum könnte es – theoretisch – also auch Spiegelmaterie geben.
Die Grenzen für die Masse von Spiegelmaterie in der Erde sind aber irgendwo im Bereich kleiner oder gleich 0.01%. Dieses Limit kommt aus der nicht perfekt bekannten Zusammensetzung unserer Erde bei sehr gut bekannter Masse.
Wie schon zuvor erläutert, würde Spiegel-Materie ja gravitieren und zu viel davon können wir in unserer näheren Umgebung nicht haben, sonst würden wir die Effekte sehen, z.B. als größere Masse der Erde oder als Abweichungen in den Bahnen der Planeten usw.
GreWi: Und was hat es mit der von mir eben mal schnell erfundenen „Spiegel-Brille“ auf sich?
Dr. Kirch: Nun, eine solche Brille hätte ich gern!
Aber im Ernst: Wenn es Spiegel-Materie gäbe, wenn die wirklich so wäre wie unsere eigene Materie, also mit sich selbst so wechselwirken würde wie wir es (von unserer Materie) kennen, dann könnten sich vermutlich auch Spiegel-Sterne und -Planeten bilden. Aber Vorsicht: Wir wissen einiges über die Verteilung Dunkler Materie das nicht in das Bild passt – es wird also wohl nicht ganz so sein. Wenn Sie dann ihre Brille hätten, sollten Sie sie auch sehen können.
Es gibt dazu ein Buch von Robert Foot, „Shadowlands, Quest for Mirror Matter in the Universe“, das Sie sich vielleicht ansehen wollen. Obwohl er ein seriöser Wissenschaftler ist, ist mir persönlich manches davon aber doch etwas zu weit übertrieben. Wir kommen dann zusehends in den Bereich der wirklichen Grenzwissenschaften… In diesem Kontext sollte man auch noch unterstreichen, dass die Theorien und Modelle von Berezhiani und Kollegen vollkommen seriös sind und weit weg von jeglicher Esoterik.
GreWi: Abschließend noch eine Frage. Wann können wir mit der Publikation Ihrer Ergebnisse zu den Spiegel-Neutronen rechnen?
Dr. Kirch: Unsere neuen Ergebnisse sollten später in diesem Jahr noch publiziert werden.
GreWi: Besten Dank Dr. Kirch für Ihre Zeit und Ausführungen!
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