Polynesier hatten noch vor Ankunft der Europäer Kontakt zu amerikanischen Ureinwohnern
Stanford (USA) – Genanalysen liefern schlüssige wissenschaftliche Beweise für den Kontakt zwischen alten Polynesiern und amerikanischen Ureinwohnern aus der heutigen Region Kolumbien – noch bevor die Europäer Südamerika erreicht hatten. Damit stützen die Ergebnisse u.a. die Theorie des Thor Heyerdal zur Besiedlung Ostpolynesiens, besonders der Osterinsel „Rapa Nui“, die in der historischen und archäologischen Welt seit Jahrzehnten ebenso kontrovers wie heftig diskutiert ist.
Wie Alexander Ioannidis Stanford University Medical Center und Kollegen aktuell im Fachjournal „Nature“ (DOI: 10.1038/s41586-020-2487-2) berichten, handele es sich bei ihrer Studie um die erste, die durch abschließende genetische Analysen zeige, dass sich die beiden Gruppen – Polynesier und amerikanische Ureinwohner – schon vor der Ankunft der Europäer in Südamerika, tatsächlich begegnet sind. Kritiker dieses Szenarios verwiesen bislang auf Studien mit gegensätzlichen Schlussfolgerungen und auf die Tatsache, dass die beiden Gruppen durch Tausende von Kilometern offenen Ozeans getrennt waren.
Forscher und Wissenschaftler wie der für seine Experimentalseefahrten mit der „Kon Tiki“ berühmte norwegische Forscher, Archäologe, Anthropologe, Ethnologe und Umweltaktivist Thor Heyerdal waren bzw. sind hingegen davon überzeugt, dass der kulturelle Austausch durch die Fähigkeit der Polynesier zur Seefahrt und/oder umgekehrt, ermöglicht wurden.
In ihrer Studie sammelten Ioannidis und sein Team internationaler Forscher genetische Daten von mehr als 800 lebenden indigenen Einwohnern Kolumbiens und Französisch-Polynesiens und führten damit umfangreiche genetische Analysen durch, um nach Signalen gemeinsamer Abstammung zu suchen. Basierend auf nachverfolgbaren, vererbbaren DNA-Segmenten konnte das Team gemeinsame genetische Signaturen der indianischen und polynesischen DNA über Hunderte von Jahren zurückverfolgen.
„Unser Labor in Mexiko war sehr daran interessiert, die genetische Vielfalt von Populationen in ganz Lateinamerika und allgemein von unterrepräsentierten Populationen in der Genomforschung zu verstehen“, sagte Dr. Andrés Moreno-Estrada, Professor und Leiter der Abteilung Genomdienste bei das Nationale Labor für Genomik für Biodiversität in Mexiko. „Mit dieser Forschung wollten wir die Wurzeln der Vorfahren rekonstruieren, die die Vielfalt dieser Populationen geprägt haben, und tiefreifende, langjährige Fragen zum möglichen Kontakt zwischen amerikanischen Ureinwohnern und pazifischen Inselbewohnern beantworten, die zwei der am wenigsten untersuchten Regionen der Welt verbinden.“
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Der Ursprung der Idee, laut der sich amerikanische Indianer und Polynesier gekreuzt hatten, lag zunächst in einem komplexen Kohlenhydrat – sowohl in seiner Struktur als auch in seiner Herkunft: der Süßkartoffel. „Es stellte sich heraus, dass die Süßkartoffel, die ursprünglich in Süd- und Mittelamerika domestiziert war, vor dem europäischen Kontakt auch an einem anderen Ort gewachsen ist. Dieser Ort ist als Ozeanien bekannt, das aus vielen Inseln besteht, einschließlich Polynesien.“
Tatsächlich stammt die Süßkartoffel zwar aus Amerika, kommt aber auch auf Inseln vor, die Tausende von Kilometern entfernt sind. „Darüber hinaus scheint das Wort für Süßkartoffel in polynesischen Sprachen mit dem Wort verwandt zu sein, das von indigenen amerikanischen Sprachen in den Anden verwendet wird“, erläutert Ioannidis.
Die Überschneidung in der Kultur ließ einige Archäologen und Historiker glauben, es sei nicht nur machbar, sondern wahrscheinlich, dass die Ankunft der Kartoffel in Polynesien das Ergebnis der Vermischung der beiden Völker war.
Die Forscher glaubten, dass die Polynesier im heutigen Kolumbien gelandet sind. Es sei aber auch möglich, dass ein oder zwei Schiffe mit amerikanischen Ureinwohnern vom Kurs abgekommen sind und nach Polynesien gefahren sind.
Allerdings war die Idee einer Überlappung der beiden Kulturen ohne wissenschaftliche Beweise nur eine faszinierende Vermutung. Zuvor hatten sich andere Forschergruppen der Genetik der Süßkartoffel zugewandt, um zu zeigen, dass die domestizierten Kartoffeln aus Südamerika und Polynesien genetisch ein und dieselbe waren. Ihre Bemühungen, die Knollen aufzuspüren, waren jedoch nicht schlüssig, da die genetischen Ursprünge der Süßkartoffel zu komplex waren, um definitiv auf eine vom Menschen vermittelte Ausbreitung hinzuweisen.
Schon frühere Studien hatten alte DNA aus Knochen von Indianern und Polynesiern analysiert, doch alte DNA-Proben können meist keinen ausreichenden Beweis dafür liefern, dass sich die beiden Populationen in alter Zeit bereits getroffen hatten.
Mit der vergleichenden DNA-Analyse verfolgte das Team um Ioannidis nun einen anderen Big-Data-Ansatz und analysierte die DNA von Hunderten anhand der Speichelproben von 807 Teilnehmern auf 17 polynesischen Inseln und 15 indianischen Gruppen entlang der Pazifikküste Amerikas von Mexiko bis Chile, um nach DNA-Abschnitten zu suchen, die für jede Population charakteristisch sind, und nach Segmenten, die „identisch durch Abstammung“ sind, was bedeutet, dass sie vor vielen Generationen von demselben Vorfahren vererbt wurden.
„Wir haben identische Abstammungsabschnitte indianischer Abstammung auf mehreren polynesischen Inseln gefunden“, erläutert Ioannidis die Ergebnisse. „Das war ein schlüssiger Beweis dafür, dass es ein einziges gemeinsames Kontaktereignis gab.“ Mit anderen Worten, Polynesier und Indianer trafen zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte aufeinander, und während dieser Zeit brachten Menschen aus beiden Kulturen Kinder mit indianischer und polynesischer DNA hervor. Statistische Analysen bestätigten dann, dass dieses Ereignis im Mittelalter um 1200 n.Chr. stattfand, „zu jener Zeit also, als diese Inseln ursprünglich von einheimischen Polynesiern besiedelt wurden“, sagte Ioannidis. Unter Verwendung von Berechnungsmethoden lokalisierte das Team die Quelle der DNA der amerikanischen Ureinwohner im heutigen Kolumbien.
„Wenn Sie darüber nachdenken, wie Geschichte für diesen Zeitraum erzählt wird, ist es fast immer eine Geschichte der europäischen Eroberung. Sie hören nie wirklich von allen anderen“, sagte Ioannidis abschließend. „Ich denke, diese Arbeit hilft dabei, diese bislang noch nicht erzählten Geschichten zusammenzusetzen – und die Tatsache, dass sie durch Genetik ans Licht gebracht werden kann, ist für mich sehr aufregend.“
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