Schimpansen-„Sprache“ komplexer und umfangreicher als bislang bekannt
Leipzig (Deutschland) – Dass Schimpansen miteinander auch und gerade durch Laute kommunizieren, ist hinlänglich bekannt. Eine neue Studie zeigt nun aber, dass Schimpansen ihre Rufe auch zu einer Vielzahl von Lautsequenzen kombinieren. Die Erkenntnis, dass diese „Sprache“ somit wesentlich komplexer und vielfältiger ist als bislang angenommen, erlaubt auch Aufschlüsse über die menschliche Sprachevolution.
Wie das Team um Cédric Girard-Buttoz vom CNRS-Instituts für Kognitionswissenschaften im französischen Bron gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen vom Max-Planck-Institute für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) und Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI-CBS) in Leipzig aktuell im Fachjournal „Communications Biology“ (DOI: 10.1038/s42003-022-03350-8) berichtet, erscheint Tierkommunikation verglichen mit dem komplexen Sprachgebrauch des Menschen rechteinfach.
Hintergrund
Der Mensch ist die einzige bekannte Art auf der Erde, die Sprache verwendet. Menschen tun dies, indem sie Laute zu Wörtern und Wörter zu hierarchisch strukturierten Sätzen zusammensetzen. Woher diese außergewöhnliche Fähigkeit stammt, blieb bisher ungeklärt. Ob und wie sich unsere Sprache aus einem so einfachen System wie der tierischen Lautkommunikation heraus entwickelt haben könnte, blieb jedoch bisher ungeklärt.
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„Im Gegensatz zum Menschen verwenden nicht-menschliche Primaten häufig einzelne Rufe, die sie aber nur selten zu Lautfolgen miteinander kombinieren“, erläutert die Pressemitteilung des MPI-EVA. „Die Lautkommunikation bei nicht-menschlichen Primaten erscheint daher viel weniger komplex zu sein als die menschliche Kommunikation.“
„Die Zusammensetzung von Wörtern oder Wortgruppen zu Sätzen – die Syntax – ist ein Merkmal menschlicher Sprache. Um ihren Ursprung zu ergründen, müssen wir zunächst verstehen, wie genau die Lautäußerungen von Menschenaffen strukturiert sind“, fügt Emiliano Zaccarella, einer der Hauptautoren der Studie, hinzu.
„Wenn Schimpansen miteinander kommunizieren, verwenden sie Hunderte von verschiedenen Sequenzen, die sich aus jeweils bis zu zehn verschiedenen Typen von Rufen aus ihrem Gesamtrepertoire zusammensetzen.“ In der aktuellen Studie dokumentieren die Autorinnen und Autoren diese Vielfalt erstmalig für eine nicht-menschliche Primatenart.
Zum Thema
Allerdings ergibt sich die Komplexität der menschlichen Sprache nicht aus der Anzahl der Laute, die wir beim Sprechen verwenden – in den meisten Sprachen sind das weniger als 50 Laute – sondern aus der Art und Weise, wie wir Laute strukturiert zu Wörtern kombinieren und diese hierarchisch zu Sätzen zusammensetzen, um so eine nahezu unendliche Anzahl von Bedeutungen auszudrücken. „Tatsächlich verwenden auch nicht-menschliche Primaten bis zu 38 verschiedene Rufe, um zu kommunizieren, kombinieren diese aber nur selten miteinander.“
Die Struktur und Vielfalt der tierischen Lautsequenzen wurden bisher allerdings nicht ausreichend detailliert untersucht. Für ihre aktuelle Studie haben die Forschenden daher Tausende von Lautäußerungen von freilebenden Schimpansen in Taï an der Elfenbeinküste aufgezeichnet und können nachweisen, dass die Tiere Hunderte von verschiedenen Lautsequenzen produzierten, die aus bis zu zehn unterschiedlichen Rufen bestanden.
„Die Reihenfolge der Rufe folgt Regeln, die auf eine strukturierte Art und Weise miteinander verbunden ist“, so die Forschenden. Ob Ähnlichkeiten zu Strukturen menschlicher Sprache bestehen und ob Schimpansen diese Sequenzen nutzen, um in ihrem komplexen sozialen Umfeld eine größere Bandbreite an Bedeutungen zu kommunizieren, die Fragen sollen in weiterführenden Untersuchungen erforscht werden.
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Recherchequelle: MPG
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