Shanidar-Höhle: Neuer Skelettfund am „Blumenschmuckfriedhof der Neandertaler“

Der 2018-19 in der Shanidar-Höhle entdeckte und von Sedimenten flachgedrückte und von Felsstürzen zertrümmerte Neandertaler-Schädel des Individuums „Shandihar Z“. (Konturen hervorgehoben durch GreWi) Copyright/Quelle: E. Pommery et al., Antiquity 2020 / University of Cambrige
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Der 2018-19 in der Shanidar-Höhle entdeckte und von Sedimenten flachgedrückte und von Felsstürzen zertrümmerte Neandertaler-Schädel des Individuums „Shandihar Z“. (Konturen hervorgehoben durch GreWi) Copyright/Quelle: E. Pommery et al., Antiquity 2020 / University of Cambrige

Der 2018-19 in der Shanidar-Höhle entdeckte und von Sedimenten flachgedrückte und von Felsstürzen zertrümmerte Neandertaler-Schädel des Individuums „Shandihar Z“. (Konturen hervorgehoben durch GreWi)
Copyright/Quelle: E. Pommery, G. Barker et al., Antiquity 2020 / University of Cambrige

Cambridge (Großbritannien) – Bereits vor Jahrzehnten sorgte die Entdeckung von Blütenpollen rund um die Skelettüberreste von Neandertalern in der Shanidar-Höhle im irakischen Kurdistan für eine seither andauernde Kontroverse um die Frage, ob auch die Neandertaler ihre Toten betrauert und respektvoll beigesetzt haben. Ein erneuter Fund eines fast vollständig erhaltenen Neandertaler-Skeletts in der Höhle erlaubt nun neue Rückschlüsse.

Wie die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Dr. Emma Pomeroy von der University of Cambridge aktuell im Fachjournal „Antiquity“ (DOI: 10.15184/aqy.2019.207) berichten, handele es sich bei dem Fund um „das erste artikulierte Neandertaler-Skelett, das seit über 20 Jahren entdeckt und geborgen werden konnte – und das an einem der wichtigsten archäologischen Orte. Der neue Fund biete eine beispiellose Gelegenheit, die „Bestattungspraktiken“ der verlorenen Spezies unter Verwendung der neuesten Technologien zu untersuchen.

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Rippen und Wirbelsäule des Neandertaler-Individuums „Shanidar Z“. Copyright: Graeme Barker

Rippen und Wirbelsäule des Neandertaler-Individuums „Shanidar Z“.
Copyright: Graeme Barker

Die Shanidar-Höhle wurde erstmals in den 1950er Jahren ausgegraben, als der Archäologe Ralph Solecki hier die Überreste von zehn Neandertaler-Männern, -Frauen und -Kindern entdeckte. Im direkten Umfeld einiger dieser Skelette fanden sich Klumpen alter Pollen. Für Solecki war diese Entdeckung damals der Beleg dafür, dass auch die Neandertaler ihre Toten begraben und Bestattungsriten mit Blumen durchgeführt hatten. Diese „Blumenbestattung“ erregte schon damals die öffentliche Vorstellungskraft und führte zu einer Neubewertung einer Menschenart, die – vor den Funden in der Shanidar-Höhle – meist als „dumm und animalisch“ galt.

Blick auf die Shanidar-Höhle im Nordosten des Irak. Copyright: Graeme Barker

Blick auf die Shanidar-Höhle im Nordosten des Irak.
Copyright: Graeme Barker

Die Funde lösten sodann auch eine jahrzehntelange Kontroverse darüber aus, ob Beweise von diesem außergewöhnlichen Ort tatsächlich auf Todesrituale oder Bestattungen jeglicher Art hinwiesen und ob die Neandertaler wirklich zu einer solchen kulturellen Raffinesse fähig waren.

Mehr als 50 Jahre später haben die Forscher um Pomeroy die alten Solecki-Grabungen wieder geöffnet, um daraus Sedimentproben zu entnehmen, und dabei die Schädel- und Rumpfknochen eines weiteren Shanidar-Neandertalers entdeckt, den die Entdecker als „Shanidar Z“ bezeichnen. In der Folge haben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die einstigen Funde neu und mit den heute zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Methoden untersucht und ausgewertet.

Im Jahr 2016 tauchte in einem der tiefsten Teile des Grabens eine Rippe aus der Wand auf, gefolgt von einem Lendenwirbel und den Knochen einer geballten rechten Hand. Meterweise Sedimente musste sorgfältig ausgegraben werden, bevor das Team das Skelett ausheben konnte.

So stellen sich die Forscher die Bestattungsposition des Individuums „Shanidar Z“ vor (Illu.). Copyright: E. Pommeroy et al., Antiquity 2020

So stellen sich die Forscher die Bestattungsposition des Individuums „Shanidar Z“ vor (Illu.).
Copyright: E. Pommeroy et al., Antiquity 2020

Nachdem ein erster Rippenknochen bereits 2016 gefunden wurde, entdeckten die Forscher in den Jahren 2018-19 dann auch den vollständigen Schädel, der durch jahrtausendealte Sedimente und Steinstürze flachgedrückt und zerquetscht war, hinzu Oberkörperknochen fast bis zur Taille – wobei die linke Hand wie ein kleines Kissen unter dem Kopf platziert war (s. Abb.). Erste Analysen legen nahe, dass das Skelett über 70.000 Jahre alt ist. Während das Geschlecht noch zu bestimmen ist, weisen die Zähne das Skelett als das eines einst mittel bis älteren Erwachsenen aus.

Sedimentproben aus der direkten Umgebung des Fundes wurden und werden derzeit noch nach Anzeichen für auf klimatische Bedingungen anhand von Schalen- und Knochenfragmenten alter Mäuse und Schnecken sowie nach Spuren von Pollen und Holzkohle untersucht, anhand derer die Forscher sich Einblicke in Aktivitäten wie die Nahrungszubereitung oder sogar eine weitere „Blumenbestattung“ ableiten könnten.

Gemeinsam mit den früheren Funden, darunter das berühmte „Blumengrab“, bilde die Shanidar-Höhle eine „einzigartige Ansammlung“ von Neandertaler-Skeletten, so die Forscher und führen dazu weiter aus: „Sie werfen die Frage auf, ob Neandertaler an dieselbe Stelle in der Höhle zurückkehrten, um hier ihre Toten beizusetzen.“ Tatsächlich fanden die Forscher neben dem Kopf von Shanidar Z einen markanten Felsen, der vielleicht sogar als eine Art Grabstein oder Ortsmarkierung als Friedhof gedient haben könnte. Allerdings sei es schwierig, den Abstand zwischen den einzelnen Beisetzungen genau festzustellen.

„Die neue Ausgrabung legt nahe, dass einige dieser Toten in einem Kanal im Höhlenboden gelegt wurden, der schon zuvor durch Wasser erzeugt, später dann aber absichtlich tiefer ausgehoben wurde“, berichtet Professor Graeme Barker from Cambridge’s McDonald Institute of Archaeology. „Es gibt also starke Beweise dafür, dass ‚Shanidar Z‘ absichtlich begraben wurde.“

Anhand einiger besonders gut erhaltener Knochen des Z-Skeletts hoffen die Wissenschaftler nun, auch alte Neandertaler-DNA aus der hiesigen heißen und trockenen Region zu gewinnen, in der höchstwahrscheinlich „Kreuzungen“ stattfanden, als moderne Menschen aus Afrika hier ankamen.

Pomeroy fügt abschließend hinzu: „In den letzten Jahren haben wir zunehmend Beweise dafür gesehen, dass Neandertaler sehr viel anspruchsvoller waren als bisher angenommen. Von Höhlenmarkierungen bis zur Verwendung von dekorativen Muscheln und Raubvogelkrallen. Wenn Neandertaler die Shanidar-Höhle als Erinnerungsort für die wiederholte rituelle Beisetzung ihrer Toten genutzt haben, würde dies auf eine kulturelle Komplexität von hohem Rang hinweisen.“

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Quelle: University of Cambridge

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