Studie belegt Göttin Nut als symbolisches Abbild der Milchstraße in der altägyptischen Bildsprache
Portsmouth (Großbritannien) – Schon lange diskutieren Forscher und Wissenschaftler kontrovers darüber, ob die altägyptischen Göttin Nut symbolisch und bildhaft als Milchstraße am Nachthimmel dargestellt wurde. Nachdem die Theorie schon widerlegt zu sein schien, hat nun ein britischer Archäologe weitere Belege dafür veröffentlicht.

Copyright/Quelle: Mykola Tarasenko; Archäologisches Museum Odessa, NASU / Graur, Journal of Astronomical History and Heritage 2025
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Aufgrund des markanten, das nächtliche Firmament überspannenden „Bogenstreifens“, der die Milchstraße am Sternenhimmel zieht, spielte dieses helle Band vermutlich schon immer eine große Rolle in den Himmelsbetrachtungen und damit verbundenen Assoziationen der Menschen beim Blick an den Nachthimmel.
Kontroverse um Nut
Auch in der altägyptischen Kultur wurde die Milchstraße möglicherweise dargestellt. Seit Langem diskutieren Ägyptologen, ob Darstellungen der Himmelsgöttin Nut, die oft in gebogener Haltung und mit Sternen gezeigt wird, die Milchstraße symbolisieren. In Texten wie dem Totenbuch sehen Forscher wie Kurt Sethe oder Arielle Kozloff Hinweise auf eine Verbindung zwischen Nut und dem Sternenband. Besonders Darstellungen aus der Zeit Ramses gelten als Belege für diese Theorie. Andere Fachleute widersprechen jedoch und deuten entsprechende Nut-Darstellungen eher als symbolischen Übergang zum Totenreich Duat, nicht als Abbild der Milchstraße.
In einem Artikel im „Journal of Astronomical History and Heritage“ (DOI: 10.3724/SP.J.140-2807.2025.01.06) hat Dr. Or Graur, außerordentlicher Professor für Astrophysik an der University of Portsmouth, nun weitere mögliche visuelle Darstellung der Milchstraße durch die alten Ägypter in Form der Göttin Nut identifiziert. Dazu erklärt der Wissenschaftler: „Verschiedene ägyptische Götter sind mit Himmelskörpern verbunden, symbolisieren sie oder verkörpern sie direkt.“
Neue Studie
In seiner Studie hat Graur nun 125 Darstellungen der Himmelsgöttin Nut aus insgesamt 555 altägyptischen Särgen, die bis zu 5.000 Jahre alt sind untersucht. Durch die Verbindung von Astronomie und Ägyptologie untersuchte er, ob eine Verbindung zwischen Nut und der Milchstraße besteht.
„In Darstellungen des Tag- und Nachthimmels wird Nut als nackte, gewölbte Frau gezeigt, manchmal bedeckt mit Sternen oder Sonnenscheiben. Ihre gebogene Haltung symbolisiert ihre Verbindung mit dem Himmel und ihren Schutz der Erde darunter.
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Als Himmelsgöttin wird Nut häufig als sternenübersäte Frau dargestellt, die sich über ihren Bruder, den Erdgott Geb, wölbt. Sie schützt die Erde vor den überflutenden Wassern des Nichts und spielt eine zentrale Rolle im Sonnenzyklus, indem sie die Sonne bei Sonnenuntergang verschlingt und bei Sonnenaufgang wiedergebiert.“

Copyright/Quelle: Osama Fathi / Graur, Journal of Astronomical History and Heritage 2025
„Auf dem äußeren Sarg von Nesitaudjatakhet (siehe Titelabb.), einer Sängerin des Amun-Re, die vor etwa 3.000 Jahren lebte, weicht Nuts Darstellung jedoch vom typischen Bild ab. Eine markante, wellenförmige schwarze Linie durchzieht ihren Körper von den Füßen bis zu den Fingerspitzen, wobei über und unter der Linie etwa gleich viele Sterne gemalt sind.“
Dr. Graur erklärt hierzu weiter: „Ich denke, dass die geschwungene Linie die Milchstraße darstellt und insbesondere die ‚Große Spalte‘ – das dunkle Hauptband aus interstellarem Staub, dass das helle Band der Milchstraße durchschneidet. Ein Vergleich mit einem Foto der Milchstraße zeigt eine deutliche Ähnlichkeit.“
Kosmische Wellenlinie
„Ähnliche gewellte Linien erscheinen in vier Gräbern im Tal der Könige. Im Grab von Ramses VI. etwa ist die Decke der Grabkammer in das Buch des Tages und das Buch der Nacht unterteilt. Beide zeigen gewölbte Figuren der Nut, Rücken an Rücken, getrennt durch dicke, goldene, wellenförmige Linien, die vom Hinterkopf Nuts ausgehen und sich über ihren Rücken bis zu ihrem Gesäß ziehen.“
„Ich habe keine vergleichbare gewellte Linie in anderen kosmologischen Darstellungen der Nut gesehen. Meiner Ansicht nach unterstreicht die Seltenheit dieser Linie meine Schlussfolgerung aus einer Studie antiker Texte aus dem letzten Jahr: Es gibt zwar eine Verbindung zwischen Nut und der Milchstraße, aber sie sind nicht identisch. Nut ist keine Darstellung der Milchstraße. Vielmehr ist die Milchstraße – ebenso wie Sonne und Sterne – eines von mehreren himmlischen Phänomenen, die Nuts Körper in ihrer Funktion als Himmelsgöttin schmücken.“

Beachte die gewellten schwarzen Linien zwischen Reihen gelber Halbkreise, die die beiden Hälften der Decke säumen.
Copyright/Quelle: Theban Mapping Project, Francis Dzikowski, Mai 2000 / / Graur, Journal of Astronomical History and Heritage 2025
Schon im April 2024 hatte Graur in einer Studie anhand alter Quellen wie den Pyramidentexten, Sargtexten und dem Buch der Nut Vergleiche mit modernen Simulationen des altägyptischen Nachthimmels gezogen. Er argumentierte, dass die Milchstraße möglicherweise Nuts Rolle als Himmelsgöttin symbolisch beleuchtet habe.
Graur schlug vor, dass im Winter die Milchstraße Nuts ausgestreckte Arme betonte, während sie im Sommer ihre Wirbelsäule über den Himmel zeichnete.
Die neuen Erkenntnisse des Forschers über die Verbindung von Nut und der Milchstraße haben sich seit jener ersten Veröffentlichung weiterentwickelt: „Die Texte allein lieferten eine bestimmte Interpretation. Die Analyse der bildlichen Darstellungen auf Särgen und Grabbemalungen brachte jedoch eine neue Dimension hinzu – buchstäblich ein anderes Bild.“
Beide Studien sind nun Teil eines größeren Projekts von Dr. Graur, in dem er die multikulturelle Mythologie der Milchstraße katalogisiert und untersucht: „Ich bin auf die Himmelsgöttin Nut gestoßen, als ich an einem Buch über Galaxien arbeitete und mich mit der Mythologie der Milchstraße befasste. Mein Interesse wurde bei einem Museumsbesuch mit meinen Töchtern geweckt. Sie waren fasziniert von dem Bild einer gewölbten Frau und wollten immer wieder Geschichten über sie hören.“
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Esna: Restaurierungen offenbaren bislang unbekannte altägyptische Sternbilder 20. November 2020
Recherchequelle: University of Portsmouth
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