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Studie: Der Mensch bedroht das kulturelle Erbe von Schimpansen

Symbolbild: SchimpanseCopyright: mtanenbaum (via Pixabay.com) / Pixabay License
Symbolbild: SchimpanseCopyright: mtanenbaum (via Pixabay.com) / Pixabay License

Leipzig (Deutschland) – Eine aktuelle Studie zeigt: Der Einfluss des Menschen lässt das ursprünglich außergewöhnlich vielfältige Verhaltensrepertoire von Schimpansen – also das bereits vielfach nachgewiesene Kulturverhalten der Primaten – schrumpfen.

Wie das internationale Team aus Verhaltenswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen unter der Leitung von Hjalmar Kühl und Ammie Kalan vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) aktuell im Fachjournal „Science“ (DOI: 10.1126/science.aau4532) berichtet, haben sie untersucht, ob sich die Verhaltensdiversität von Schimpansen verringert, je stärker der Mensch in ihren Lebensraum eingreift.

Hierzu haben die Forscher das Verhalten zahlreicher freilebender Schimpansengruppen miteinander verglichen, die jeweils unterschiedlich starken Störungen durch den Menschen ausgesetzt waren. Laut dem Ergebnis der Studie ist die Verhaltensvielfalt derjenigen Gruppen deutlich geringer, die besonders starken Störungen und Umweltveränderungen durch den Menschen ausgesetzt sind.

Im Vergleich zu allen anderen Arten – mit Ausnahme des Menschen – verfügen Schimpansen über eine außergewöhnlich hohe Verhaltensvielfalt, berichten die Forscher: „Diese Vielfalt zeigt sich zum Beispiel im Zusammenhang mit der Gewinnung von Nahrung, der Kommunikation und der Anpassung an Hitze. Viele dieser Verhaltensweisen werden durch soziales Lernen von erwachsenen Individuen an Jungtiere weitergegeben, sind gruppenspezifisch und gelten als Belege dafür, dass es unterschiedliche Schimpansenkulturen gibt. Wie alle anderen Menschenaffen sind auch Schimpansen durch menschliche Aktivitäten, die den natürlichen Lebensraum der Tiere verändern, zunehmend bedroht. Ihr Lebensraum, die tropischen Regenwälder und Baumsavannen, wird zunehmend in landwirtschaftliche Nutzflächen, Plantagen und Siedlungen umgewandelt oder durch den Abbau von Bodenschätzen und die Entwicklung der Infrastruktur massiv verändert.“

Ein Großteil der empirischen Studien und daraus resultierenden Diskussionen über den Verlust der biologischen Vielfalt beschäftigte sich bisher hauptsächlich mit dem Rückgang von Arten, dem damit einhergehenden Verlust der genetischen Vielfalt oder auch dem Funktionieren von Ökosystemen. Doch auch die Verhaltensvielfalt sei „eine Facette der Biodiversität. Mangels empirischer Daten war bisher jedoch unklar, ob auch die Verhaltensdiversität durch menschliche Einflüsse negativ beeinflusst wird“, so die Autoren der Studie.

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In ihrer Studie haben die Forscher und Forscherinnen einen umfangreichen Datensatz zusammen, der über 31 Verhaltensweisen von Schimpansen aus 144 Gruppen dokumentiert. Die untersuchten Gruppen waren dabei über das gesamte Verbreitungsgebiet freilebender Schimpansen verteilt. Ein Teil dieser Informationen war in der wissenschaftlichen Literatur bereits verfügbar. Zahlreiche weitere Daten erhob das internationale Forschungsteam im Laufe der letzten neun Jahre im Rahmen des Projekts Pan African Programme an 46 Standorten in 15 afrikanischen Ländern, in denen Schimpansen leben. Zu den Verhaltenskategorien, die in dieser Studie untersucht wurden, gehören die Entnahme und der Verzehr von Termiten, Ameisen, Algen, Nüssen und Honig; die Verwendung von Werkzeugen zur Jagd oder zum Graben nach Knollen, die Verwendung von Steinen sowie die Nutzung von Tümpeln und Höhlen.

Die Forscher und Forscherinnen untersuchten das Auftreten von Verhaltensweisen im Verhältnis zum menschlichen Einfluss auf die Umwelt, wie er als eine Gesamtheit verschiedener Ebenen ermittelt wurde, darunter die Bevölkerungsdichte, das Vorhandensein von Straßen, Flüssen oder Waldbedeckung.

„Diese Ebenen gelten als Indikatoren, die das Ausmaß von Störungen und Landnutzungsänderungen in den Lebensräumen der Schimpansen belegen“, erklärt Kalan und führt dazu weiter aus: „Unsere Analysen zeigen ganz deutlich: An Orten mit einer hohen Belastung durch den Menschen ist die Verhaltensvielfalt der Schimpansen deutlich geringer.  Dieses Muster war durchgängig und unabhängig davon, welcher Kategorie eine bestimmte Verhaltensweise zugeordnet war. Im Durchschnitt ist die Verhaltensvielfalt der Schimpansen an Orten mit dem stärksten menschlichen Einfluss um 88 Prozent reduziert.“

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Wie beim Menschen spiele möglicherweise auch bei Schimpansen die Bevölkerungsgröße eine wichtige Rolle für den Erhalt kultureller Eigenschaften. Schrumpfende Populationen haben eine geringere Kapazität für Verhaltensvielfalt. Auffällige Verhaltensweisen, wie etwa das Nüsse knacken, könnten die Tiere vermeiden, um Jägern ihren Aufenthaltsort nicht preiszugeben. Möglicherweise findet auch wegen der Lebensraumverschlechterung und Ressourcenverknappung die Weitergabe von Wissen und lokalen Traditionen von einer Generation zur nächsten nicht mehr vollständig statt. Zudem trage der Klimawandel möglicherweise zu einer reduzierten Verhaltensdiversität bei, da er die Produktion wichtiger Nahrungsressourcen beeinflussen und deren Verfügbarkeit für die Tiere unvorhersehbar machen könne. Sehr wahrscheinlich habe eine Kombination dieser verschiedenen Mechanismen zu einer Verringerung des Verhaltensrepertoires der Schimpansen geführt, schlussfolgern die Wissenschaftler.

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„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Strategien zur Erhaltung der Biodiversität auch auf den Schutz der Verhaltensdiversität von Tieren ausgedehnt werden sollten“, so Kühl abschließend. „Orte mit außergewöhnlichen Verhaltensweisen können als ‚Schimpansen-Kulturerbe‘ geschützt werden, und dieses Konzept kann auch auf andere Arten mit hoher kultureller Variabilität ausgedehnt werden, wie zum Beispiel Orang-Utans, Kapuzineraffen oder Wale.“

Diese Vorschläge, so berichtete die Pressemitteilung des Max-Planck-Gesellschaft, stehe im Einklang mit bereits laufenden Bemühungen zum Erhalt der biologischen Vielfalt, wie zum Bespiel dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) oder dem Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wild lebenden Tierarten (CMS) im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), das den Schutz der biologischen Vielfalt in ihrer Gesamtheit fordert, einschließlich der Verhaltens- und kulturellen Vielfalt von Tierarten.

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Andreas Müller
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