London (Großbritannien) – Eine aktuellen Studie kommt zu dem Schluss, dass ein gestörter Schlaf zum Glauben an paranormale Phänomene führen könnte. Neu ist diese Vermutung allerdings ebenso wenig wie die kontroverse Debatte darum.
Wie das Team um Betul Rauf von der University of London aktuell im Fachjournal „Journal of Sleep Research“ (DOI: 10.1111/jsr.13810) erläutern, basiert ihre Studie auf Umfragen an 8,853 Umfrageteilnehmern und Teilnehmerinnen, die über die sozialen Medien und einen TV-Aufruf aquiriert wurden.
Das Ergebnis dieser Auswertung zeige demnach eine subjektive Verbindung zwischen geringerer Schlafqualität und dem Glauben an das Paranormale. Zu den Merkmalen gestörten Schlafs zählen die Forschenden demnach verminderte Schlafeffizienz, die Tendenz zu viel oder auch zu wenig zu schlafen und gesteigerten Schlaflosigkeitssymptomen.
Zudem lesen die Autoren und Autorinnen der Studie in deren Ergebnissen einen Zusammenhang zwischen dem Phänomen der Schlafparalyse sowie dem sog. Exploding Head Syndrome und dem Glauben daran, dass Außerirdische die Erde bereits besucht haben. Die Schlafparalyse assoziieren die Forschenden zudem mit dem Phänomen sogenannter Nahtoderfahrungen (…GreWi berichtete). „Soweit wir das nach bestem Wissen und Gewissen beurteilen können, ist diese Beobachtung völlig neu“, so das Team um Rauf. Zudem fanden sich die Übereinstimmungen zwischen den unterschiedlichen Schlafstörungen und dem Glauben an das Paranormale auch über Geschlechter- und Altersgrenzen hinweg.
Während die Studie also dabei behilflich sein könnte, den Glauben an das Paranormale und eine mögliche Verbindung mit Schlafvariablen besser zu verstehen, ist die Studie – die als sog. Querschnittsstudie angelegt ist – nicht dazu geeignet, die offenkundige Folgefrage danach zu beantworten, warum diese Phänomene eigentlich miteinander verbunden zu sein scheinen.
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Allerdings liefern die Autoren dazu Vermutungen: So gehen mit der Schlafparalayse oft auch visuelle und auditive Halluzinationen einher (…GreWi berichtete). Auch das Exploding-Head-Symdrom und einer angeblichen Verbindung mit dem Glauben an Aliens erzeuge bildhafte und geräuschbasierte Störungen.
„Eine Erklärung für diese Assoziation ist etwa die, dass einige dieser im Schlaf empfundenen Klänge und Bilder können, die die Zeugen dann als Belege oder gar Beweise dafür deuten, dass Wesen, die nicht ins Schlafzimmer gehören, tatsächlich existieren, seien dies nun übernatürliche oder außerirdische Wesen.“ Allerdings gelte es diese Hypothese noch genauer zu untersuchen, so die Autoren.
Zugleich könnten die beschriebenen Assoziationen aber auch umgekehrt abgleitet werden, wenn der Glaube an das Paranormale, also auch an die Existenz solcher Wesen, bei Betroffenen Probleme beim Einschlafen oder im Schlaf selbst verursachen. Die Angst vor dem Monster oder Geist im Schrank oder unter dem Bett könne sich also nicht nur bei Kindern negativ auf den Schlaf auswirken.
Tatsächlich geben auch schon die Forschenden um Betul Rauf zu bedenken, dass weitere Untersuchungen notwendig seien, um auch andere Aspekte, wie etwa die geistige Gesundheit, Bildung, Erziehung, weitere Persönlichkeitseigenschaften und religiöse Glaubensvorstellungen einzubeziehen und Verbindungen zum Glauben an das Paranormale zu untersuchen.
Obwohl die Studie auf eine große Probandengruppe (8,853 Umfrageteilnehmer) zurückgreifen kann, ist es doch auch gerade diese Auswahl, die eine allgemeine Übertragung schwierig macht und nicht die Ansprüche erfüllt, für die Allgemeinbevölkerung repräsentativ zu sein. „So lässt sich beispielsweise die hohe Rate an Teilnehmern mit isolierter Schlafparalyse und dem Exploding-Head-Syndrom vermutlich auch darauf zurückführen, weil durch die Aqurierungsmethode gerade diese Personengruppen angesprochen wurden bzw. sich angesprochen gefühlt haben, an der Umfrage teilzunehmen – andere eher weniger“ gestehen selbst die Autorinnen und Autoren ein. Zudem sollten zukünftig objektivere Messmethoden als persönliche Umfrageantworten gewählt werden, um zu akkurateren Ergebnissen zu gelangen.
Dennoch zeigen sich Rauf, Kollegen und Kolleginnen davon überzeugt, dass ihre Studie auch so neue Erkenntnisse über mögliche Verbindungen zwischen Schlaf und dem Glauben an das Paranormale liefert. So könnte beispielsweise alleine die Beobachtung dieser möglichen Assoziationen, sowohl für Patienten als auch Medizinern wichtige Informationen im Umgang mit Schlafstörungen aufzeigen: „Berichte über paranormale Aktivitäten oder anomale Überzeugungen könnten als Anscheinsbeweis (prima facie) für schwerwiegendere Störungen missverstanden werden.“ Stattdessen könnte „die Studie Mediziner dazu ermutigen, zusätzlich zu anderen Formen der Psychopathologie Patienten entsprechend auf relevante Schlafstörungen und Parasomnien (Angst induzierte Schlaflosigkeit) zu untersuchen.“
An der Studie nicht beteiligte Experten auf besagten Gebieten, wie etwa Dr. Gerhard Mayer vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene“ (IGPP) in Freiburg, teilen die Selbstkritik der Autoren und gehen in ihrer eigenen Kritik aber noch weiter: „Zunächst sollte man bedenken, dass die Autoren der Studie eine extrem reduzierte Form eines Fragebogens zu ‚paranormal beliefs‘ mit nur 6 Items angewendet haben. Im Unterschied zur „Revised Paranormal Belief Scale‘, mit 26 und mehr Items. In unserer eigenen Studie ‚Sleep Paralysis and Extraordinary Experiences‘ mit nutzten wir sogar 44 items. Solche Studien und deren Ergebnisse sind also aufgrund ihre simplifizierenden Ansatzes immer ein wenig ärgerlich.
Tatsächlich konnten frühere, akkuratere Studien eben keine Korrelation zwischen der Häufigkeit, mit der SP erlebt wird, und paranormalen Glaubenswelten aufzeigen. Korrelationen bestehen vielmehr zwischen dem Erleben von bestimmten Phänomenen während der Schlafparalyse und bestimmten Teilaspekten der des Glauben an das Paranormale.
Darüber geht aus dem Paper nicht genau hervor, wie genau SP erhoben wurde. In den Literaturangaben wird auf das ‚Fearful Isolated Sleep Paralysis Interview‘ von Sharpless et al (2010) hingewiesen, bei dem es sich um ein semistrukturiertes Interview handelt. In den Supplements zum Artikel ist aber nur von einer ‚completed screening question‘ die Rede. Das scheint mir dürftig und unzuverlässig. Zudem ist nicht erhoben, wie häufig SP erlebt wurde. Personen mit einer SP-Episode gehen also in gleicher Weise in die Studie mit ein wie Personen, die erheblich darunter leiden.“
GreWi-Kommentar
Ich selbst (GreWi-Hrsg. A. Müller) bin Journalist, kein Wissenschaftler und habe auch nur bedingt Erfahrung im Umgang und der Untersuchung von Schlafparalayse. Allerdings tue ich mir bei meinem grundsätzlich wissenschaftlich orientierten Ansatz für und mit GreWi stets schwer damit, wenn zum einen schon von einem „Glauben“ an das Paranormale die Rede ist und zum anderen dann gänzlich unterschiedliche Facetten dieses sog. Paranormalen in einem Topf geworfen und miteinander vermischt werden. In der hier vorgestellten aktuellen Studie von Rauf, Kolleginnen und Kollegen sind dies u.a. der „Glaube an das Weiterleben der Seele nach dem Tod, die Existenz von Geistern und Dämonen, die Fähigkeit einiger Menschen zur Kommunikation mit Verstorbeben, Nahtoderfahrungen, Beweise für ein Leben nach dem Tod, wie dann auch die Überzeugung, dass Außerirdische bereits auf der Erde gelandet sind“. Für mich selbst, ist der Umstand, dass man sich für die Realität solcher Phänomene offen, interessiert und daran fasziniert zeigt, noch kein Glaube. Glauben, dass tue ich an andere Dinge. Ich halte diese Dinge nicht per se für ausgeschlossen, will mich ihnen aber ergebnisoffen und ohne Deutungsvorgaben nähern. Noch schwerer tue ich mir mit dem Ansatz, dass man sowohl Personen mit einem ähnlichen Ansatz wie ich, aber auch Menschen, die an diese Konzepte „glauben“ (denn natürlich gibt es auch diese) pathologisiert. Und mir scheint es, dass die hiesige Studie genau das schlussendlich tut. Zugleich dürfen aber auch diese Denkweise und Studie aber auch kein Tabu sein, da sich die berichten „Erscheinungsformen“ schließlich ja auch gleichen. Deshalb dürfen und müssen Querverbindungen individuell auch erforscht werden. Einen richtigen und guten Mittelweg zu finden, der vor allem von Respekt mit den „Untersuchten“ (und da fühle ich mich dann schon angesprochen) geprägt ist und wie dies u.a. von Mayer und Fuhrmann am IGGP praktiziert wird, erscheint mir in der Sache und für einen wirklichen Erkenntnisgewinn auf diesem spannenden Forschungsgebiet am meisten zielführend.
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Recherchequelle: Journal of Sleep Research, Eigene Recherche grenzwissenschaft-aktuell.de
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