Studie offenbart Zusammenhang zwischen historischen Klimaveränderungen und Wasserwundern italienischer Heiliger

Auf diesem Gemälde vom Filippo Lippi lenkt der Heilige St. Fredianus den Fluss Serchio in ein neues Flussbett, so dass die Stadt Lucca nicht länger von Überschwemmungen bedroht ist. Copyright: Gemeinfrei (via WikimediaCommons)
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Auf diesem Gemälde vom Filippo Lippi lenkt der Heilige St. Fredianus den Fluss Serchio in ein neues Flussbett, so dass die Stadt Lucca nicht länger von Überschwemmungen bedroht ist. Copyright: Gemeinfrei (via WikimediaCommons)

Auf diesem Gemälde vom Filippo Lippi lenkt der Heilige St. Fredianus den Fluss Serchio in ein neues Flussbett, so dass die Stadt Lucca nicht länger von Überschwemmungen bedroht ist.
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Pisa (Italien) – Eine Studie, in der ein ebenso internationales wie interdisziplinären Forscherteam die die kulturellen Auswirkungen von Klimaveränderungen im 1. Jahrtausend in Italien untersuchte, kommt zu einer erstaunlichen Schlussfolgrung. Als Reaktion auf starke Regenfälle und Überflutungen im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung tauchen in italienischen Heiligengeschichten eine neue Art von Wundern auf: die Macht der Heiligen über das Element Wasser.

In ihren Untersuchungen hatte das Team um Professor Giovanni Zanchetta von der Universität Pisa mit Hilfe der umfangreichen Daten der „The Cult of Saints in Antiquity Database“ (http://csla.history.ox.ac.uk/) festgestellt, dass im 6. Jahrhundert auf der Apenninen-Halbinsel zunehmend von sogenannten Wasserwundern berichtet wurde,  bei denen Heilige starke Regenfälle, Stürme und Fluten hervorrufen und beenden konnten. Ein Vergleich mit Aufzeichnungen aus früheren und späteren Perioden, sowie in Schriften von Gregor von Tours und damit einer zeitgenössischen Quelle die Ereignisse auf dem Gebiet des heutigen Frankreichs beschreibt, zeigte auf, dass hier kaum von Wasserwundern berichtet wurde. Wie die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aktuell im Fachjournal Climatic Change“ (DOI: 10.1007/s10584-021-03043-x) berichten, weisen etwa in den „Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum“ (Gespräche über das Leben und die Wunder der italienischen Kirchenväter), die Papst Gregor dem Großen zugeschrieben werden, bis zu 20 Prozent aller beschriebenen Wunder einen Bezug zum Wasser auf, was diese Wunder zu einem einzigartigen Merkmal mache, erläutert die Pressemitteilung des ebenfalls an der Studie beteiligten Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena.

In der Folge interpretieren die die Forschenden um Zanchetta das plötzliche Auftreten dieser Berichte als Indiz für ein besonderes Interesse an hydroklimatischen Ereignissen: „Den Grund dafür sehen sie im Klimawandel der damaligen Zeit, welcher sich insbesondere durch verstärkten Regenfall und Überschwemmungen manifestierte.“

Da die die Geschichtsforschung historische Berichte über extreme Wetterereignisse, die auf Klimaveränderungen hindeuten könnten, bislang eher mit Argwohn betrachtete, nutzten die Forschenden Daten über vermehrte Niederschläge in Nord- und Mittelitalien während des 6. Jahrhunderts n. Chr. und untersuchten dazu einen Stalagmiten aus der nordtoskanischen Renella-Höhle. „Ähnlich wie Baumringe geben die Mineralschichten von Stalagmiten, die sich über die Jahrhunderte ablagern, Aufschluss über die jeweiligen klimatischen Verhältnisse. Indem die Forschenden das Verhältnis der Sauerstoffisotope in den aufeinanderfolgenden Schichten des Stalagmiten bestimmten, konnten sie zwischen Feucht- und Trockenperioden unterscheiden, welche sie mit Hilfe der Uran-Thorium-Datierung datierten (eine Methode, die der bekannteren Radiokarbonmethode ähnelt). Dabei zeigte sich, dass sich das 6. Jh. u. Z. in Nord- und Zentralitalien durch ein deutlich höheres Level an Feuchtigkeit von anderen Perioden unterschied“, erläutert die Pressemitteilung weiter.

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Als eine wahrscheinliche Ursache für die klimatischen Entwicklungen sehen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in einer langanhaltender, negative Phase der nordatlantischen Oszillation, die aufgrund eines niedrigeren Atmosphärendrucks, vermehrt feuchte Luft nach Nord- und Mittelitalien brachte: „Da das Wasser des Nordatlantiks eine höhere Konzentration an leichteren Sauerstoffisotopen aufweist als der durchschnittliche Niederschlag in Norditalien, haben die negativen nordatlantischen Oszillationen des 6. Jh. und die damit verbundenen Niederschläge in Italien eine ‚verräterische‘ isotopische Spur in den Schichten des untersuchten Stalagmiten hinterlassen.“

„Literarische Quellen, und insbesondere solche über Heilige, sollten nicht unbedingt als direkte Beweise für historische Ereignisse betrachtet werden,“ erklärt Robert Wiśniewski, Spezialist für Hagiographie an der Universität Warschau und Koautor der Studie. „Dennoch reflektieren sie die Weltsicht der kirchlichen Schreiber und die Grundlage für deren Interpretation von außergewöhnlichen Wetterphänomenen.“

„In dieser Studie konnten Expertinnen und Experten in Geochemie, Geologie und Klimaforschung eine klimatische Veränderung nachweisen, die in den historischen Schriften nur angedeutet wurde. Doch im 6. Jahrhundert wurde zumindest ein Teil Italiens tatsächlich Opfer von sintflutartigen Regenfällen und Überflutungen,“ fügt Giovanni Zanchetta hinzu.

Dass jedoch insbesondere hydrologische und klimatische Ereignisse in italienischen Schriften des 6. Jh. erwähnt werden, weise darauf hin, dass diese Ereignisse eine Rolle im soziokulturellen Wandel spielten, den die Geschichtsforschung seit langem erkannt habe. „Darunter zählen Veränderungen wie die Übernahme lokaler Machtpositionen durch Bischöfe am Ende des 6. Jh. und die Entwicklung eines Heiligenkults, verbunden mit dem Glauben an die Macht der Heiligen über Krankheiten, Menschen und die Natur. (…) Zusätzlich zu klimatischen Veränderungen, erlebte das späte römische Italien zahlreiche ‚barbarische‘ Invasionen – aber diese schwierigen Erfahrungen führten nicht zum Zusammenbruch der damaligen Gesellschaft. Im Gegenteil, es scheint, dass der Klimawandel sogar dazu beigetragen hat, ihren inneren Zusammenhalt in einem dramatischen historischen Moment zu stärken“, sagt Kevin Bloomfield, Historiker für römische Geschichte an der Cornell University, ebenfalls Koautor der Studie.

Klimatische Phänomene werden in der Wissenschaft zunehmend als wichtige Faktoren für die Geschwindigkeit und das Ausmaß sozialer und kultureller Veränderungen anerkannt. Ein „hybrider“ Ansatz zur Untersuchung der Auswirkungen von Klimaveränderungen auf historische Gesellschaften, welcher naturwissenschaftliche und historische Daten integriert, hilft, zu simple, und oftmals „katastrophale“, Interpretationen zu vermeiden: „Unser Ansatz zeigt, wie vielfältig und unvorhersehbar die Antworten einer modernen Gesellschaft auf Klimaveränderungen und Naturkatastrophen sein können,“ unterstreicht abschließend Adam Izdebski, korrespondierender Autor und Leiter der unabhängigen Max-Planck-Forschungsgruppe Palaeo-Science and History am Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.




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Quelle: Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte

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