Studie: Säure-neutralisierende Lebensformen in Venusatmosphäre möglich

Künstlerische Darstellung tropfenförmiger Kleinstbiosphären für mikrobisches Leben innerhalb der Venus-Atmosphäre (Illu.). Copyright: J. Petkowska
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Künstlerische Darstellung tropfenförmiger Kleinstbiosphären für mikrobisches Leben innerhalb der Venus-Atmosphäre (Illu.). Copyright: J. Petkowska

Künstlerische Darstellung tropfenförmiger Kleinstbiosphären für mikrobisches Leben innerhalb der Venus-Atmosphäre (Illu.).
Copyright: J. Petkowska

Cambridge (USA) – Nicht zuletzt seit dem Nachweis des potenziellen Biomarkers Phosphin in den gemäßigten Atmosphärenschichten der Venus spekulieren Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen über mögliches Leben auch auf der „höllischen Schwester“ unserer Erde. Eine neue Studie zeigt nun, wie Säure-neutralisierende Lebensformen auf der Venus existieren und ihre eigenen Kleinstbiosphären erzeugen könnten.

Wie das Team um Prof. Sara Seager vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen der britischen Universitäten von Cardiff und Cambridge aktuell im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences (DOI: ) berichtet, haben sie einen chemischen Weg gefunden, wie bestimmte Lebensformen die stark säurehaltige – und damit nach irdischen Maßstäben lebensfeindliche – Umwelt der Venus neutralisieren und somit lebensfreundliche Taschen innerhalb der säurehaltigen Venus-Wolken erzeugen könnten.

Hintergrund
Zumindest auf der Grundlage unseres Wissens über das irdische Leben, ist Leben auf der Venus tatsächlich nur schwer vorstellbar. Mit einer deutlich dichteren Kohlendioxid-Atmosphäre und einer Planetenoberfläche so heiß, dass Blei schmilzt, ist irdisches Leben eigentlich unmöglich. Auch die schwefelsäurehaltigen Wolkenschichten der Venus – deren Tropfen Löcher in die menschliche Haut brennen würden – sind nicht gerade ideal für Leben, wie wir es kennen.

Dennoch stellen beobachtete chemische Anomalien innerhalb der Venus-Atmosphäre Forschende schon lange und immer wieder vor bislang unbeantwortete Rätsel. Zu diesen Anomalien gehören beispielsweise geringe Konzentrationen von Sauerstoff oder nicht kugelförmige Partikel innerhalb der Venus-Atmosphäre, die sich von den sonst runden Schwefelsäuretropfen deutlich unterscheiden. Besonders der Nachweis von Ammoniakgas in den 1970-er Jahren stellte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor ein Rätsel, da für dessen Entstehung auf der Venus eigentlich kein chemischer Prozess bekannt ist. „Jedes Gas, das nicht in den Kontext der Venus-Umwelt gehört, wird automatisch interessant, wenn es darum geht, nach Hinweisen für Leben auf der Venus zu suchen“, so Seager.

In ihrer aktuellen Studie haben die Forschenden nun eine Reihe chemischer Prozesse modelliert, die aufzeigen, dass – vorausgesetzt dass es auf der Venus tatsächlich Ammoniakgas in den Venus-Wolken gibt – dieses Gas eine Abfolge chemischer Reaktionen hervorrufen könnte, durch die die säurehaltige Umgebung neutralisiert und damit die beobachteten Anomalien erklärt werden könnten. Als Quelle des Ammoniakgases selbst schlagen die Autoren und Autorinnen als wahrscheinlichste Erklärung eine biologische Herkunft – also Lebewesen – vor. Diese Erklärung sei wahrscheinlicher als die Vorstellung, dass das Gas durch Blitze, vulkanische Eruptionen und/oder Meteoriteneinschläge in ausreichender und für die Anomalien notwendiger Menge erzeugt oder freigesetzt werden würde. Auf diese Weise könnte sich das „Leben auf der Venus seine eigene Umwelt erschaffen“, so die Forschenden.

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Wäre das angedachte Venus-Leben selbst also die Quelle des gemessenen Ammoniak-Gases, so würde anhand der damit in Verbindung stehenden chemischen Prozesse auf der Venus auch der ebenfalls gemessene und ebenso rätselhafte Sauerstoff erklärt werden können. Innerhalb der Venuswolken selbst würde Ammoniak in den Schwefelsäuretropfen gelöst und würde diese gleichzeitig neutralisieren – wodurch diese Tropfen relativ lebensfreundlich würden. „Die Dreingabe von Ammoniak in diese Tropfen würde zudem deren ursprünglich kugelrunde Form auflösen und diese zu nicht-kugelförmigen tropfen einer salzhaltigen Lösung verformen, wie sie ebenfalls schon entdeckt wurden und für Rätselraten gesorgt haben. Einmal innerhalb der Schwefelsäuretropfen gelöst, würde der Ammoniak zudem eine chemische Reaktion auslösen, die auch Schwefeldioxid im Umfeld der Tropfen auflösen würde. Die Anwesenheit von Ammoniak könnte somit die meisten chemischen Anomalien der Venus-Wolken erklären. Tatsächlich verweisen die Forschenden auf bekannte irdische Lebensformen – etwa in unseren Mägen – die Ammoniak erzeugen, um die sonst stark säurehaltigen Umgebungen zu neutralisieren.

Zugleich könnte diese ebenso neue wie faszinierende Hypothese von Venus-Leben auch vor Ort überprüft werden. Hierzu stellen die Autorinnen und Autoren der Studie eine ganze Reihe charakteristischer chemischer Signaturen vor, die von zukünftigen Missionen innerhalb der Venus-Wolken detektiert werden könnten. Hierzu planen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Sara Seager von privater Hand finanzierte Missionen zur Suche nach Leben auf der Venus, etwa um innerhalb der Venus-Atmosphäre nach Ammoniak und anderen Biosignaturen zu suchen: „Auf der Venus gibt es noch einige Anomalien, die wir nicht verstehen, die aber faszinierende Möglichkeiten aufzeigen und Raum für mögliches Leben bieten“, so Seager abschließend.




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Recherchequelle: MIT

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