Studie: Warum Menschen als Hexe verschrien werden

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Dörfliche Zusammenarbeit im südwestlichen China.

Copyright: Ruth Mace

Peking (China) – Vermutlich schon zu allen Zeiten wurden Menschen überall auf der Welt als Hexen oder Hexer bezeichnet und als solche gebrandmarkt. Wie und warum es dazu kommt, das haben nun chinesische und britische Anthropologen in einer Feldstudie untersucht.

Hierzu untersuchten die Wissenschaftler um Ruth Mace vom University College London, gemeinsam mit Kollegen der Lanzhou University und der Chinesischen Akademie der Wissenschaftler fünf ländliche Dörfer im südwestlichen China. Grundlage der Studie war die verbreitete Hypothese, dass es sich bei der Beschuldigung der Hexerei um eine Art Strafe gegenüber den Bezichtigten dafür handele, wenn diese sich nicht an lokale gesellschaftliche Normen halten. Laut dieser Hypothese, werden besonders vertrauensunwürdige Personen entsprechend gebrandmarkt, um so andere darin zu bestärken, sich an eben jene soziale Regeln zu halten, um nicht selbst als „Hexe“ bezeichnet zu werden. Im Gegensatz zu dieser Vermutung konnten frühere empirische Studien allerdings zeigen, dass die Praxis des Verschreiens von Hexen und Hexern in einer Gemeinschaft viel größeren sozialen Schaden bezüglich des Vertrauens und der Bindungen innerhalb von Gemeinschaften erzeugt, als diese zu stärken.

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In den untersuchten fünf Dörfern gibt es rund 800 Haushalte – darunter auch jene, deren Mitglieder vor Ort als „Zhu“ oder „Zhubo“ (lokal f. Hexen) bezeichnet werden. Die Forscher untersuchten zunächst die sozialen Netzwerke innerhalb der Gemeinschaften: Wer ist mit wem befreundet, verwandt, verheiratet und hat wie viele Kinder? Wer erhält vom wem Geschenke? Wer arbeitet mit wem wie lange schon zusammen, hilft wem bei der Arbeit, in der Landwirtschaft oder im Haushalt?

Wie die Forscher aktuell im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ (DOI: 10.1038/s41562-017-0271-6) berichten, zeigte sich, dass mit rund 13 Prozent auffallend viele Menschen in den fünf Dörfern als Hexen oder Giftmischer mit übernatürlichen Fähigkeiten galten, vor denen die Forscher vor Ort gewarnt wurden. Entsprechende Haushalte waren allgemein bekannt und der entsprechende Ruf, war ein schweres Ausschlusskriterium aus den lokalen sozialen Netzwerken: „Entsprechend gebrandmarkte Haushalte hatten nur selten Kinder oder Partnerschaften mit den anderen Dorfbewohnern, verteilten oder erhielten auch nahezu keine Geschenke und arbeiteten nur selten auf den Feldern vermeintlich unbescholtener Mitglieder. Allerdings halfen sich die derart beschuldigten haushalte gegenseitig und vermischten sich auch sozial miteinander, heirateten und bekamen Kinder. Offenbar war und ist dies ein Mittel, die Kosten der sozialen Exklusion von den sonstigen sozialen Netzwerken zu minimieren“, so Mace und Kollegen.

Neben der Ermittlung der sozialen Beziehungen der einzelnen Dorfbewohner untereinander und gegenüber den als „Hexen“ geltenden Haushalten, inszenierten die Wissenschaftler auch ein sog. „ökonomisches Spiel“, in dem sie einen bestimmten Geldbetrag an alle Dorfbewohner verteilten und sie dann dazu aufforderten, einen frei wählbaren Anteil der Dorfgemeinschaft zu spenden, wo sie dann zu gleichen Teilen unter den Mitbewohnern verteilt werden sollten.

Interessanterweise zeigten sich hierbei „keine Anzeichen dafür, dass die als ‚Hexen‘ bezeichneten Personen in irgendeiner Form weniger kooperativ waren als andere. (…) Der einzige Unterschied, den wir finden konnten war der, dass die als Hexen verschrienen Haushalte mehrheitlich von Frauen geführt wurden und geringfügig wohlhabender waren als der Durchschnitt.

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Eine weitere Befragung unter den Betroffenen zeigte dann, dass der Vorgang des Verschreiens als „Hexe“ in den wenigsten Fällen transparent verlief: „Selbst die Opfer wussten meist nicht, warum und wer das Gerücht über ihre angeblich verderblichen Fähigkeiten in die Welt gesetzt hatte. In den meisten Fällen bemerkten die Betroffenen dies erst, als andere Dorfmitglieder damit begannen, sie zu meiden.“ In einigen Fällen sei die Bezeichnung als Hexe sogar von einer auf die nachfolgende Generation einfach übertragen worden, selbst wenn der Ursprung dieser Bezeichnung sehr lange zurücklag.

Während Vertreter jener Theorie, wonach die Angst vor dem Verlust des guten Rufes ein wichtiger Motor der gemeinschaftlichen Kooperation sein soll, diese Vorstellung mit den Ergebnissen von Laborexperimenten anhand vergleichbarer ökonomischer Spiele stützen, zeigt die aktuelle Feldstudie nun, dass sich dieses Bild im realen Dorfleben nicht wiederspiegelt: „Die meisten Studien zu Hexerei sind nicht quantitativ und beziehen nicht die sozialen Netzwerke mit ein, so wie wir dies getan haben“, erläutern die Forscher. „Unsere Studie findet indes keine Beweise dafür, dass jene, die mit der Bezeichnung ‚Hexe‘ belegt sind, weniger kooperativ wären als andere. Tatsächlich können wir anhand unserer Studie also auch nicht wirklich erklären, warum solche Beschuldigungen in einigen Fällen einer Familie über Generationen anhaften, in anderen Fällen aber nicht.“

Die Anthropologen selbst kommen in ihrem Fachartikel zu dem Schluss, dass sich die Praxis des Verschreiaens als Hexe aus der Konkurrenz zwischen den einzelnen Haushalten um sozialen Status, Fortpflanzung und Ressourcen entwickelt hat.


Historische Darstellung von Tituba, der ersten im Rahmen der Hexenverfolgung zu Salem (1692) als Hexe Angeklagte. (aus: Henry Wadsworth Longfellow – „Giles Corey of the Salem Farms“, 1868)
Copyright: Gemeinfrei

„Es könnten aber auch andere Erklärungen anwendbar sein“, so die Forscher und führen dazu abschließend aus: „Weltweit teilen sich Vorstellungen von der Hexerei gemeinsame Merkmale. So sind die Opfer meist Frauen mittleren Alters und es geht und ging oft u. a. um die Anschuldigung einer Vergiftung. Zugleich gibt es aber auch viele Unterschiede. Eine andere Erklärung für den Ursprung der Denunzierung als Hexen könnte auch darin liegen, dass patriarchale Institutionen versuchen, die Herrschaft über matriarchale Gesellschaftstrukturen zu erlangen. Gerade dieser Aspekt könnte auf die aktuelle Studie anwendbar sein, wo der Buddhismus die am weitesten verbreitete lokale Religion darstellt, innerhalb derer eher patriarchale Strukturen dominieren, während die sozialen Strukturen in den Dörfern eher von Frauen bestimmt werden (Anm. GreWi: die tatsächlich in weiten Teilen Asiens – so auch im Alten China – die Ausübung schamanischer Künste (Wu) dominieren). Eine patriarchale Dimension der Anschuldigungen könnte damit auch erklären, warum die Opfer sowohl im traditionellen als auch neuzeitlichen und modernen Kontext von „Hexenverfolgungen“ im sozialen wie beruflichen Umfeld mehrheitlich Frauen sind.“

+ + +GreWi Kommentar
So richtig und wichtig die Beobachtungen und Schlussfolgrungen der Studie sind, so lassen sie doch zugleich auch die „natürliche“ Erklärung für die Bezeichnung von Personen als Hexen außer acht, die auf den tatsächlichen Fähigkeiten einzelner weniger Personen beruhen, die sich – gerade in früheren Zeiten – auf Praktiken verstanden, die jenseits der anerkannten Glaubens- und Wissensvorstellungen existierten, den Herrschaftsanspruch von Institutionen in Frage stellten und/oder in den jeweiligen Vorgängerkulturen und –Religionen noch als ehrenhaft oder sogar heilig galten.

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