New York (USA) – Ebenso wie mit den steinernen Moai, so ist das Bild von der sogenannten Osterinsel Rapa Nui auch mit der Vorstellung einer sich selbst durch die Zerstörung der eigenen Umwelt zugrunderichtenden Zivilisation verbunden. Eine neue Studie rüttelt nun am Bild dieses Ökozids und zeichnet ein ganz anderes Szenario. Belege hierfür fanden die Forschenden in nun erneut untersuchten Steingärten.
Grundlage für das Narrativ des Ökozids der Osterinselkultur ist die Vorstellung von einer Gruppe polynesischer Seefahrer, die vor einigen tausend Jahren auf einer der abseits gelegensten Inseln landeten, diese Rapa Naui tauften und sich hier ansiedelten, Hunderte von Steinköpfen aufstellten, sich zusehends vermehrten, nach und nach alle Bäume auf der Insel fällten und die hier ansässigen Seevögel ausrotteten, ihre Böden unfruchtbar machten und sich somit bis zur Ankunft der ersten europäischen Seefahrer im Jahre 1722 auf nur noch einige wenige Tausend Mitglieder selbst dezimierten.
Zahlreiche Studien, Bücher und Kinofilme erzählen das dramatische Szenario dieses beispiellosen Ökozids, also der Selbstvernichtung durch die Zerstörung der eigenen Umwelt und damit der natürlichen Lebensgrundlage.
In einer neuen Studie kommt das Team um den Archäologen Dr. Dylan Davis von der Columbia Climate School nun jedoch zu einem anderen Bild. Im Fachjournal „Science Advances“ (DOI: 10.1126/sciadv.ado1459) zeichnen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nun das Szenario einer Bevölkerung auf Rapa Nui, die nie jene Populationsgröße erreicht habe, auf der fast sämtliche frühere Annahmen beruhen, wenn diese von einer Bevölkerungsanzahl von bis zu 25.000 Menschen ausgingen.
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Stattdessen erklären Davis, Kolleginnen und Kollegen nun, dass die Population auf Rapa Nui einige wenige Tausend Menschen nie überschritten habe und die Siedler hingegen sogar Mittel und Wege gefunden hätten, um mit den natürlichen Einschränkungen der schon immer kargen und nur schwer zu bewirtschafteten Insel sogar jahrhundertelang erfolgreich auszukommen.
Beweise für ihre Theorie legen die Forschenden in Form sogenannter Steingärten vor, in denen die Inselbewohner nährstoffreiche Süßkartoffeln anbauten. Der mögliche Ertrag dieser Gärten erlaubte jedoch lediglich eine Population von wenigen Tausend Menschen auf der Insel.
„Die Population konnte nie so groß geworden sein, wie frühere Schätzungen das vermutet haben“, so Davis. „Das Ergebnis unserer Untersuchungen ist also genau das Gegenteil der Kollaps-Theorie: Die Menschen waren in der Lage, mit den wenigen vorhandenen Ressourcen sehr flexibel umzugehen und ihre Umwelt so zu nutzbringend zu nutzen und zu verändern.“
Hintergrund
Die Osterinsel ist der wohl abgelegenste bewohnte Ort der Erde und einer der letzten, die von Menschen besiedelt wurden, wenn nicht der letzte. Das nächstgelegene kontinentale Land ist Zentralchile, fast 3.500 Kilometer östlich. Etwa 5.100 Kilometer westlich liegen die tropischen Cook-Inseln, von denen angenommen wird, dass Siedler um 1200 n. Chr. von dort aus nach Rapa Nui kamen. Die 163 Quadratkilometer große Insel besteht vollständig aus Vulkangestein. Doch im Gegensatz zu üppigen tropischen Inseln wie Hawaii und Tahiti sind die Eruptionen dort vor Hunderttausenden von Jahren erloschen, und die durch Lava heraufgebrachten Mineralnährstoffe sind längst aus den Böden erodiert. Da sie sich in den Subtropen befindet, ist die Insel auch trockener als ihre tropischen Gegenstücke. Um die Herausforderungen noch größer zu machen, fällt das umliegende Meerwasser steil ab, was bedeutet, dass die Inselbewohner härter arbeiten mussten, um Meeresfrüchte zu ernten, als diejenigen, die auf polynesischen Inseln mit zugänglichen und produktiven Stränden, Lagunen und Riffen lebten.
(Quelle: Columbia Climate School)
Um mit diesen spärlichen Bedingungen zurechtzukommen, nutzten die Siedler auf Rapa Nui die Technik der sogenannten Steingärten bzw. des Steinmulchens. Dabei werden Steine über einer tiefgelegenen und zumindest teilweise von Wind und der Besalzung durch die Brandung geschützten Flächen so verteilt, dass zwischen den Steinen Pflanzen wie Süßkartoffeln gepflanzt werden können. Die unterschiedlich großen Steine erzeugen dann Luftströme, die die hohen Tages- und niedrigen Nachttemperaturen abmildern. Zudem werden Nährstoffe aus hierzu extra aufgebrochenen Steinen in den Boden ausgewittert.
Tatsächlich werden solche Steingärten noch heute von Einheimischen auf Rapa Nui, aber auch von indigenen Bewohnern in Neuseeland, im Südwesten der USA, auf den Kanarischen Inseln und an weiteren Orten rund um den Globus genutzt.
Die bisherigen Schätzungen der einstigen Population auf Rapa Nui beruhen auch auf der Schätzung der durch diese Anbaumethode genutzten Inselfläche. Einige Studien vermuteten, dass bis zu 20 Prozent der Insel entsprechend genutzt wurden.
Fünf Jahre lang haben Davis, Kollegen und Kolleginnen die Steingärten nun statt anhand von Satellitenaufnahmen vor Ort dokumentiert und untersucht. Das Ergebnis: Bei zahlreichen, bislang für Steingräten gehaltenen Flächen handelt es sich in Wirklichkeit um natürliche Aufbrüche und Geröllfelder. Stattdessen wurden tatsächlich weniger als ein halbes Prozent der Inselfläche zum Steinmulchen genutzt – eine Fläche, die gerade einmal rund 2.000 Menschen ernähren konnte. Weitere 1.000 konnten vermutlich zusätzlich durch die beschwerlich erwirtschafteten Meeresfrüchte und Fischfang ernährt werden.
Diese Anzahl entspricht nun in etwa jener Bevölkerungsdichte, wie sie die ersten Europäer Mitte des 18. Jahrhunderts auf der Insel antrafen. Tatsächlich zeige sich auch zusehends, dass auch die archäologischen Funde die einstigen Vorstellungen von einer sehr viel größeren Population auf der Osterinsel nicht stützen.
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Recherchequelle: Columbia Climate School
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