Studie zu modernem Schamanismus: Mehr Gesundheitsfürsorge und Sinnsuche als Esoterik und Aberglaube
Symbolbild: Schwitzhütte und Scheithaufen mit Basaltsteinen.
Copyright: Mirko Uhlig
Mainz (Deutschland) – Ein von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) gefördertes kulturanthropologisch-volkskundlichen Forschungsprojekt hat Gegenwartsformen schamanischen Heilens im deutsch-belgischen Grenzgebiet untersucht (…GreWi berichtete). Gern als Esoterik oder Aberglaube spöttisch abgetan, verbinden diese Praktiken hingegen vielmehr Gesundheitsfürsorge und Sinnsuche in Reaktion auf aktuelle gesellschaftliche Zustände.
Wie eine ethnografische Feldstudie in der Eifel gezeigt hat, handele es sich bei dem Gegenwartsschamanismus vielmehr um eine Kulturtechnik, die therapeutische Funktionen mit alternativen Sinnentwürfen oder Weltsichten verknüpft. „Menschen, die sich heute dem Schamanismus zuwenden, suchen meistens nicht nur Gesundheit im biomedizinischen Sinn, sondern im Sinne von heil oder ganz werden“, sagt Prof. Dr. Mirko Uhlig vom Fach Kulturanthropologie/Volkskunde der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU).
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Über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren hat Uhlig schamanisch Praktizierende in der Eifel interviewt, begleitet, selbst an Ritualen teilgenommen und die Erfahrungen und Ergebnisse in seinem Buch „Schamanische Sinnentwürfe“ veröffentlicht. Die Realität ist demnach komplexer und teilweise auch widersprüchlicher als gemeinhin gedacht, wie die Biografien der von Uhlig porträtierten Menschen zeigen.
Jun.-Prof. Dr. Mirko Uhlig
Copyright/Quelle: iftek.uni-mainz.de
„Die Teilnehmer an schamanischen Praktiken“ (wozu hauptsächlich das sogenannte Schwitzhüttenritual und die schamanische Reise gehören), vertreten ganz eigene Weltsichten und Gewohnheiten“, erläutert Uhlig weiter. „Viele verbindet die Erfahrung einer prekären Lebenslage, sei es eine schwere Krankheit, ein Problem im Beruf oder mit dem Partner, weshalb sie sich die Sinnfrage stellen und neue Erfahrungen oder Hilfe suchen. (…) Die Hinwendung zum Schamanismus ist oft der Versuch, eine Art Ordnung zu schaffen und einen Sinnentwurf zu finden, der den Menschen auch wieder stärker mit der Natur verbindet. (…) Die Männer und Frauen, die sich dieser Praxis gleichermaßen zuwenden, sind dabei keineswegs esoterisch abgehoben. Viele sind katholisch sozialisiert, der Kirche als Institution gegenüber kritisch eingestellt, ohne aber areligiös zu sein.“
Auch wenn die Rituale meist in naturnaher Umgebung ausgeübt werden, handele es sich bei dem Gegenwartsschamanismus nicht um ein ausgesprochen ländliches Phänomen: „Nicht wenige der interviewten Akteure stammen ursprünglich aus dem urbanen Raum, beispielsweise Köln, und haben vor ihrem Umzug in die Eifel dort in den 1980er Jahren erste Erfahrungen mit alternativen spirituellen Vorstellungen und Handlungsweisen gemacht. Die Nähe zu Köln und Aachen führt auch viele Städter in die Nordeifel, um an schamanischen Ritualen teilzunehmen.“ Dass die alternative Heilerszene aber gerade in der Eifel blüht, habe nach Einschätzung des Volkskundlers vielleicht auch damit zu tun, dass die psychotherapeutische Versorgung in ländlichen Gebieten äußerst gering ist. „Das untersuchte Phänomen kann daher auch als eine Art Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden.“
Aber nicht nur die Behandlung von Krankheiten und die Bewältigung problematischer Lebenssituationen sind demnach Antriebsfedern für die Wahl eines schamanischen oder alternativmedizinischen Angebots: „Manche Besucher nehmen zur Prävention von Krankheiten an Wochenendveranstaltungen teil. (…) In diesem Kontext können wir den Gegenwartsschamanismus in der Eifel als ‚Entschleunigungsoase‘ und den bewussten Rückzug als eine Reaktion auf gegenwärtige gesellschaftliche Zustände der Beschleunigung deuten“, so Uhlig abschließend.
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