Detail aus „Der Flug zum Himmel“ (Hieronymus Bosch, etwa 1500). Copyright: gemeinfrei
Freiburg i. Br. (Deutschland) – Ein Freiburger Studienteam erforscht derzeit in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dr. Wilfried Kuhn, Neurologische Klinik Leopoldina/Schweinfurt, außergewöhnliche Erfahrungen wie telepathische Erlebnisse, Vorhersehen zukünftiger Geschehnisse, Wahrträume oder außerkörperliche Erfahrungen, die nach einer Nahtoderfahrung auftreten können. Das Studienteam bittet Personen, die selbst eine Nahtoderfahrung erlebt haben, sich an einer Umfrage zur Studie zu beteiligen.
Das Studienteam erläutert zum Hintergrund der Studie, dass viele Menschen, die eine Nahtoderfahrung erlebt haben, später über das Auftreten verschiedener körperlicher, emotionaler und sozialer Nachwirkungen berichten, die ihr Leben häufig grundlegend verändern: „Meistens verlieren die betroffenen Personen die Angst vor dem Tod, beginnen eine Suche nach spirituellem Sinn oder finden zu einer positiveren Lebenseinstellung. Zu diesen Nachwirkungen der Nahtoderfahrung gehören häufig auch Episoden mit außergewöhnlichen Erfahrungen wie z.B. telepathische Erlebnisse, Vorhersehen zukünftiger Geschehnisse, Wahrträume, außerkörperliche Erfahrungen, elektromagnetische Anomalien oder psychokinetische Phänomene (Anm. GreWi: Das Bewegen von Objekten mit Gedankekraft bzw. ohne direkte physische Berührung).
Viele Betroffene machen die Erfahrung, dass behandelnde Ärzte oder das Pflegepersonal ihre Nahtoderfahrung nicht ernst nehmen oder als Halluzinationen interpretieren, erläutern die Studienleiter gegenüber „grenzwissenschaft-aktuell.de“. „Einige erfahren erst relativ spät aus den Medien oder Fachzeitschriften, dass Nahtoderfahrungen in der Durchschnittsbevölkerung vergleichsweise häufig auftreten. Diese Erkenntnis kann entscheidend dazu beitragen, dass die Betroffenen ihre Nahtoderfahrung akzeptieren und in ihr Leben integrieren können. Während die Nahtoderfahrung selbst inzwischen relativ gut untersucht und in der Öffentlichkeit bekannt ist gibt es bisher nur wenige Untersuchungen oder Berichte zu den Außer-gewöhnlichen Erfahrungen, die nach einer Nahtoderfahrung auftreten können.
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Den aktuellen Forschungsstand fassen die Forscher wie folgt zusammen: „In einer ersten Untersuchung im Jahr 1979 stellte der Forscher Richard Kohr fest, dass Außergewöhnliche Erfahrungen bei Personen mit einer Nahtoderfahrungen signifikant häufiger auftreten als bei Personen, die nie eine Nahtoderfahrung oder eine lebensbedrohliche Situation erlebt hatten. Auch der bekannte Nahtod-Forscher Bruce Greyson dokumentierte in einer eigenen Studie ein signifikant häufigeres Auftreten solcher Erfahrungen nach dem Erleben einer Nahtoderfahrung.
In einer weiteren Studie stellte Cherie Sutherland fest, dass die Studienteilnehmer für die Zeit vor ihrer Nahtoderfahrung nicht über mehr Außergewöhnliche Erfahrungen berichteten, als die durchschnittliche Bevölkerung. Die Studienteilnehmer gaben hingegen für die Zeit nach ihrer Nahtoderfahrung eine statistisch signifikante Erhöhung dieser Erfahrungen an. Auch Farnoosh M. Nouri und Janice Miner Holden dokumentierten in ihrer Studie zum Erleben elektromagnetischer Anomalien nach einer Nahtoderfahrung ein erhöhtes Auftreten solcher Erlebnisse nach der Nahtoderfahrung ihrer Studienteilnehmenden.
Richard Kohr und Bruce Greyson verwendeten in ihren Untersuchungen einen Fragebogen von John Palmer, der nur die Erfassung eines Ausschnitts aus dem inzwischen bekannten Spektrum der außergewöhnlichen Erfahrungen erlaubte. Auch die in Sutherlands Studie erhobenen außergewöhnlichen Erfahrungen entsprechen nur einem Teil der möglichen Bandbreite dieser Erfahrungen. Der bereits anfängliche Ausschluss bestimmter Typen von außergewöhnlichen Erfahrungen birgt das Risiko, dass die ausgeschlossenen Erfahrungen bei Erhebungen nicht erfasst werden können, obwohl sie nach einer Nahtoderfahrung vielleicht tatsächlich auftreten.
Eine analoge Problematik ist aus der Frühphase der Nahtod-Forschung bei Erhebungen zur Phänomenologie der Nahtoderfahrungen selbst bekannt, die ganz auf sogenannte positive Nahtoderfahrung fokussiert waren. Später hatte sich gezeigt, dass auch Nahtoderfahrungen mit belastendem Inhalt zur Phänomenologie der Nahtoderfahrung zu zählen sind.“ Ziel der vorliegenden Studie sei deshalb die Befragung der Studienteilnehmenden mit einem Fragebogen, der die Erfassung einer möglichst großen Bandbreite möglicher Außergewöhnlicher Erfahrungen und mithin auch mögliche, bisher nicht dokumentierte Arten solcher Erfahrungen zulässt.
Auch der Vergleich der Häufigkeit dieser Außergewöhnlichen Erfahrungen mit dem Auftreten solcher Erfahrungen in der allgemeinen Bevölkerung war bisher nur limitiert möglich. „Die Studie von Sutherland führte einen solchen Vergleich auf der Basis der Studienergebnisse anderer Forscher wie Palmer, Susan Blackmore, Erlendur Haraldsson, Kohr und des Australian Vales Study Survey des Roy Morgan Research Centre durch. Diesen Studien lag jedoch kein einheitlicher Fragebogen zur Erfassung der Außergewöhnlichen Erfahrungen bei der allgemeinen Bevölkerung zugrunde, weshalb deren Vergleichbarkeit mit den durch Sutherlands Fragebogen erfassten Außergewöhnlichen Erfahrungen nur eingeschränkt gewährleistet ist.“ Für die vorliegende Studie werden deshalb die Außergewöhnlichen Erfahrungen der durchschnittlichen Bevölkerung mit dem gleichen Fragebogen erfasst, wie der Fragebogen zur Erhebung der Außergewöhnlichen Erfahrungen der Studienteilnehmer.
Studienergebnisse zu Nachwirkungen von Nahtoderfahrungen enthalten Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Tiefe einer Nahtoderfahrung und der Intensität der Nachwirkungen einer Nahtoderfahrung im Allgemeinen. Mit der vorliegenden Studie soll deshalb auch untersucht werden, ob ein Zusammenhang zwischen der Tiefe einer Nahtoderfahrung und den auftretenden Außergewöhnlichen Erfahrungen besteht. Hierfür ist ein Fragebogen gewählt worden, der neben der Unterscheidung zwischen Personen mit und ohne Nahtoderfahrung auch eine Messung der Tiefe der Nahtoderfahrung erlaubt. Der aktuelle Fragebogen lässt zudem einen Vergleich der Ergebnisse mit anderen Studien zu, in welchen die Außergewöhnlichen Erfahrungen mit dem gleichen Fragebogen bei anderen Kategorien von Personen erfasst wurden.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie könnten auch für die medizinisch-psychotherapeutische Praxis relevant sein. Bereits die Nahtoderfahrung selbst wird im klinischen Kontext häufig als psychopathologische Erfahrung interpretiert, obwohl diese Deutung grundsätzlich in Frage gestellt werden muss. Dieselbe Problematik gilt auch für Außergewöhnliche Erfahrungen, die zwar Überlappungen mit Symptomen oder Diagnosen psychischer Krankheiten aufweisen können, aber per se nicht als pathologisch eingestuft werden können.
Dies gilt zum Beispiel auch für das Hören von Stimmen, das nicht generell als psychotische Erfahrung angesehen werden kann. So haben Greyson und Liester in einer Studie Personen, die eine Nahtoderfahrung erlebt hatten, und psychiatrische Patienten hinsichtlich ihrer Einstellung zu von ihnen erlebten akustischen Halluzinationen befragt. Die Personen, die nach ihrer Nahtoderfahrung akustische Eindrücke erlebt hatten, berichteten signifikant häufiger über eine positive Einstellung zu diesen Erfahrungen. Die Studienergebnisse könnten deshalb bei entsprechender Schulung von Therapeuten auch zur Vermeidung von irreführenden Diagnosen bzw. Interpretationen von außergewöhnlichen Erfahrungen beitragen und bei den betroffenen Personen die Normalisierung ihrer Außergewöhnlichen Erfahrungen erleichtern.
Aus der Forschung zu Nahtoderfahrungen ist bekannt, dass bereits die Anerkennung der Existenz des Phänomens der Nahtoderfahrung durch den behandelnden Arzt oder das Pflegepersonal einen Effekt der Erleichterung für die betroffene Person haben kann. !Es ist deshalb anzunehmen, dass ein solcher Effekt auch bei einer entsprechenden Bestätigung der Existenz von Außergewöhnlichen Erfahrungen nach Nahtoderfahrungen erfolgen würde. Zur bewussten Vermeidung einer impliziten Pathologisierung der außergewöhnlichen Erfahrungen ist ein Fragebogen gewählt worden, der die betroffenen Phänomene ohne apriorische Wertung als pathologisch bzw. nichtpathologisch erfasst.“
Zum Thema
Der für diese Studie gewählte Fragebogen PAGE-R ermöglicht die Erhebung eines potentiell größeren Spektrums an Außergewöhnlichen Erfahrungen, als mit Palmers Fragebogen oder in Sutherlands Studie möglich war. Der PAGE-R erfasst die Außergewöhnlichen Erfahrungen zudem ohne implizite Einteilung in pathologische bzw. nicht-pathologische Phänomene. Die Verwendung des PAGE-R erlaubt im Weiteren einen Vergleich der Außergewöhnlichen Erfahrungen der Studienteilnehmer mit den Außergewöhnlichen Erfahrungen der durchschnittlichen Bevölkerung, die aus früheren Erhebungen mit demselben Fragebogen bekannt sind. Diese einheitliche Vergleichsbasis lässt auch eine stringentere Untersuchung der Frage zu, ob die Nahtoderfahrung möglicherweise ein auslösender Faktor für das Auftreten von außergewöhnlichen Erfahrungen sein könnte.
Zur Unterscheidung zwischen Studienteilnehmenden mit und ohne Nahtoderfahrung wird die Befragung in Kombination mit einer deutschen Version der Near-Death Experiences Scale von Bruce Greyson durchgeführt. Die deutsche Übersetzung wurde durch eine externe Fachübersetzung zur Kontrolle ins Englische rückübersetzt. Diese Differenzierung ist Voraussetzung für eine Untersuchung der Frage, ob die Nahtoderfahrung als auslösender Faktor beim Auftreten von außergewöhnlichen Erfahrungen anzusehen ist. Die Greyson-Skala lässt zudem eine Untersuchung der Tiefe der Nahtoderfahrung zu und ermöglicht auch einen Vergleich der vorliegenden Untersuchung mit den Ergebnissen aus anderen Studien, in welchen ebenfalls mit der Greyson-Skala gearbeitet wurde.
– Das Studienteam bittet Personen, die selbst eine Nahtoderfahrung erlebt haben, sich HIER an der Erhebung zu beteiligen.
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