Tintenfische erinnern sich noch bis ins hohe Alter
Cambridge (Großbritannien) – Tintenfische sind die ersten bekannten Tiere überhaupt, deren Erinnerungsvermögen mit dem Alter offenbar nicht abnimmt. Zu dieser Erkenntnis kommen britische Psychologen und Verhaltensforscher anhand von Versuchen mit den Kopffüßlern.
Wie das Team um Dr. Alexandra Schnell vom Department of Psychology der University of Cambridge gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen des Marine Biological Laboratory in Woods Hole und der University of Caen aktuell im Fachjournal “ Proceedings oft he Royal Society B“ (DOI: 10.1098/rspb.2021.1052) berichtet, haben sie mit 24 unterschiedlich alten Gewöhnlichen Tintenfischen (Sepia officinalis) Tests zum sogenannten episodischen Gedächtnis durchgeführt.
Die Hälfte der Tiere war dabei zwischen 10 und 12 Monaten alt und damit noch nicht ganz ausgewachsen, während es sich bei der anderen Hälfte um Tiere im Alter von 22 bis 24 Monaten – also Tieren, die Menschen im Alter von über 90 Jahren entsprachen – handelte.
Tintenfische haben allerdings nur eine vergleichsweise kurze Lebensspanne von rund zwei Jahren. Das macht sie zu idealen Versuchsexemplaren für Untersuchungen zum altersbedingten Gedächtnisschwund. Da es bei Tieren aber nicht möglich ist, festzustellen, ob sie sich bewusst an Dinge erinnern, nutzten die Forschenden das „episodische Gedächtnis“ der Tintenfische, in diesem Falle daran, was sie wann und wo gegessen haben, für ihre Experimente.
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„Tintenfische können sich daran erinnern, was sie gegessen haben, wo und wann und sie nutzen diese Fähigkeit, um zukünftige Nahrungsentscheidungen zu treffen“, erläutert die leitende Wissenschaftlerin. „Das Erstaunliche ist, dass die Tiere diese Fähigkeit mit zunehmendem Alter nicht verlieren, obwohl sie durchaus andere Altersanzeichen aufweisen, wie etwa schwindende Muskelfunktion oder abnehmenden Appetit.“
Damit unterscheiden sich die Sepien nicht nur von anderen bereits in ähnlichen Tests untersuchten Tierarten, sondern auch von uns Menschen, die wir mit zunehmendem Alter in der Regel unsere Erinnerungsfähigkeit an Erfahrungen zu bestimmten Zeiten und bestimmten Orten verlieren. „So fällt es uns mit zunehmendem Alter beispielsweise schwer, uns daran zu erinnern, was wir vergangenen Dienstag zu Mittag gegessen haben“, erläutern die Forschenden weiter. Vom Schwund dieses „episodischen Gedächtnisses“ bei Menschen gehen Forscher bislang aus, dass er mit dem zunehmenden altersbedingten Abbau des Hippocampus im Zusammenhang steht.
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Allerdings verfügen Tintenfische über keinen Hippocampus, da sich ihre Gehirnstruktur deutlich von der menschlichen unterscheidet. Bei Sepien gilt der sich erst wenige Tage vor dem Tod der Tiere abbauende Vertikallappen als Ort des Gedächtniszentrums. Dieser Umstand könnte demnach auch das erstaunliche Erinnerungsvermögen der Tintenfische bis in ihre buchstäblich letzten Tage erklären.
In den Tests wurden die Tintenfische zunächst darauf trainiert, an bestimmten, mit einem weißen Dreieck auf schwarzem Grund markierten Orten eine Futterbelohnung zu erwarten. In einem weiteren Schritt wurde den Tieren beigebracht, dass es an bestimmten markierten Orten nach einer bestimmten Zeitverzögerung eine andere, bessere Belohnung gibt: An einem Ort wartete eine weniger bevorzugte Belohnung, an einem anderen Ort und mit deutlicher Zeitverzögerung von 3 Stunden, ihr Lieblingsfutter (siehe Video). Vier Wochen lang wurde diese Praxis durchgeführt, danach erinnerten sich die Tintenfische, welches Futter sie wo und wann erhalten hatten: „Alle Tintenfische beobachteten danach – unabhängig vom Alter – zunächst genau, welches Futter als erstes und an welchem Ort es gereicht wurde und entschieden sich erst dann, welchen Futterort sie schlussendlich aufsuchten“, berichten die Forschenden um Prof. Schnell. „Das legt nahe, dass das episodische Gedächtnis bei ihnen nicht mit dem Alter nachlässt, wie das bei uns Menschen der Fall ist.“ Tatsächlich meisterten ältere Tintenfische den Test mindestens genauso gut wie, wenn nicht in einigen Fällen sogar besser, als ihre jüngeren Artgenossen. Wir glauben, dass diese Fähigkeit den Sepien dabei hilft, sich in freier Natur daran zu erinnern, wo sie sich gepaart haben, damit sich bei der nächsten Paarung nicht wieder auf denselben Partner treffen.“ Auf diese Weise erhöhen sie vermutlich die möglich ausgedehnte Genweitergabe unter möglichst vielen unterschiedlichen Partnern.
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Recherchequelle: University of Cambridge
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