Trotz 70 Jahre Forschung: Noch 99,999 Prozent des Tiefseegrundes visuell undokumentiert
Rhode Island (USA) – Eine neue Studie von Meeresforschern kommt zu dem Schluss, dass trotz jahrzehntelanger Forschung weniger als 0,001 % des Tiefsee-Bodens visuell dokumentiert wurden. Die Studie liefert einen wichtigen Beitrag zur Identifikation von Forschungslücken und unterstreicht die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit und neuer Strategien für den nachhaltigen Schutz der Tiefsee.

Copyright/Quelle: Ocean Discovery League
Als Tiefsee werden alle Bereiche der Weltmeere unterhalb von 200 Metern bezeichnet. Insgesamt bedeckt die Tiefsee also rund zwei Drittel der Erdoberfläche. Entsprechend spielt sie auch eine zentrale Rolle im globalen Ökosystem: Sie produziert Sauerstoff, reguliert das Klima und liefert sogar neue pharmakologische Wirkstoffe. Trotz dieser Bedeutung bleibt die Tiefsee weitgehend unerforscht.
Neben der Kartierung mit Satelliten und Sonar, Sondierung und Probeentnahme ist die visuelle Erkundung eine der Hauptmethoden, wie sie nur von wenigen Ländern betrieben wird. „Angesichts der zunehmenden Bedrohungen wie Klimawandel und Rohstoffabbau ist diese Lücke ein ernstes Problem“, sagt Dr. Katy Croff Bell, Präsidentin der Ocean Discovery League und Hauptautorin der aktuell im Fachjournal „Science Advances“ (2025), DOI: 10.1126/sciadv.adp8602) veröffentlichten Studie.
Ihre Analyse stützten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Daten von etwa 44.000 Tauchgängen mit visuellen Beobachtungen seit 1958 in den Gewässern von 120 Staaten. Es ist die bisher umfassendste globale Schätzung zur Tiefseeerforschung. Fast ein Drittel der Beobachtungen stammt aus der Zeit vor 1980 und ist nur in Schwarz-Weiß-Bildern niedriger Qualität vorhanden. Selbst wenn man von einer zehnmal höheren Zahl ausgeht, wären immer noch weniger als 0,01 % des Meeresbodens visuell dokumentiert.
www.grenzwissenschaft-aktuell.de
+ HIER den täglichen kostenlosen GreWi-Newsletter bestellen +
„Ein Großteil unserer Ozeane ist noch immer ein Rätsel“, sagt der an der Studie beteiligte Dr. Ian Miller, Chief Science and Innovation Officer der National Geographic Society.
Da über 65 % aller Tauchgänge innerhalb von 200 Seemeilen vor den Küsten der USA, Japans und Neuseelands stattfanden und nur fünf Länder (USA, Japan, Neuseeland, Frankreich und Deutschland) für 97 % der dokumentierten Tiefseetauchgänge verantwortlich zeichnen, verzerre diese ungleiche Verteilung das wissenschaftliche Bild der Tiefsee erheblich.

Copyright/Quelle:Ocean Discovery League
Auch geografisch bestehen, das zeigt die Studie, große Wissenslücken: „Während bestimmte Unterwasserstrukturen wie Canyons gut untersucht sind, bleiben riesige Regionen wie Abyssalebenen und Tiefseeberge weitgehend unerforscht.“
Die Autorinnen und Autoren der Studie geben zu bedenken, dass man – übertragen auf das Festland – sämtliche Rückschlüsse über das Leben auf der Erde aus Beobachtungen eines einzigen Areals von der des Saarlandes, ziehen würde. Vor diesem Hintergrund fordern Bell , Kolleginnen und Kollegen denn auch verstärkte globale Erkundungsbemühungen. Neue, günstigere Technologien könnten auch ärmeren Ländern Zugang zur Tiefseeforschung ermöglichen. Miller betont hier die Bedeutung lokaler Beteiligung: „Expeditionen, die von Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und Gemeinschaften vor Ort geleitet werden, sind entscheidend, um das größte Ökosystem unseres Planeten besser zu verstehen.“ Ziel sei es, Küstenregionen weltweit mit moderner Technologie auszustatten und so eine repräsentativere Analyse der Tiefsee zu ermöglichen. „Ein besseres Verständnis unserer Ozeane ist die Grundlage für ihren Schutz“, so die Forscherin abschließend.
WEITERE MELDUNGEN ZUM THEMA
Unbekannte Artenvielfalt am Tiefseeboden zu erwarten 7. Februar 2022
Recherchequelle: Ocean Discovery League, Science Advances
© grenzwissenschaft-aktuell.de