Vatikan erlässt neue Normen zu Marienerscheinungen, religiösen Wundern und mutmaßlichen übernatürlichen Phänomenen

Kirchenfenster in der Carlow Cathedral mit dem Motiv einer Marienerscheinung des Heiligen Dominic. Copyright: Andreas F. Borchert (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 4.0
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Kirchenfenster in der Carlow Cathedral mit dem Motiv einer Marienerscheinung des Heiligen Dominic.Copyright: Andreas F. Borchert (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 4.0

Kirchenfenster in der Carlow Cathedral mit dem Motiv einer Marienerscheinung des Heiligen Dominic.
Copyright: Andreas F. Borchert (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 4.0

Vatikan – Der Vatikan hat die Normen für die Beurteilung von Marienerscheinungen, religiösen Wundern und mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene aktualisiert. Schon am Sonntag soll das neue Dokument des Glaubensdikasteriums in Kraft treten.

Wie die VaticanNews.va berichten, hält der Text einige Neuerungen bereit: „So werden künftig schnellere Stellungnahmen zum Bereich der Volksfrömmigkeit möglich sein. Andererseits wird die kirchliche Autorität in der Regel die Übernatürlichkeit eines Phänomens nicht mehr offiziell erklären. Eine weitere Neuerung: die ausdrücklichere Einbeziehung des Dikasteriums für die Glaubenslehre. Es muss künftig die endgültige Entscheidung des Bischofs genehmigen und bekommt zudem die Befugnis, jederzeit auf eigene Initiative (motu proprio) einzugreifen.“

Schon zuvor hatte der vatikanische Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Kardinal Manuel Fernández, bestätigt, dass man ein „neuer Text mit klaren Richtlinien und Normen für die Unterscheidung von Erscheinungen und anderen Phänomenen“ erarbeitet werde.

Hintergrund
Die katholische Kirche untersucht seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts Berichte von religiösen Erscheinungen, vornehmlich der Jungfrau Maria, die meist auch mit Botschaften an die Menschheit einhergehen. Neben diesen „Marienerscheinungen“ gibt es auch andere Arten religiösen Erscheinungen und „Wunder“ – etwa angeblich Tränen oder auch Blut weinender Statuen oder auch sog. Blutwunder, wenn sich jahrhundertealte Blutreliquien an bestimmten Feiertagen zu verflüssigen scheinen. Meist sorgen derartige Berichte und Ereignisse für Wallfahrten und es entstehen nicht selten Wallfahrtsorte, die jedoch nur selten auch offiziell von der katholischen Kirche anerkannt werden.

In der Regel werden die Behauptungen zu religiösen Wundern von einer vatikanischen Kommission untersucht, die am Ende ihrer Untersuchungen eine Empfehlung ausspricht, die dann vom zuständigen Ortsbischof oder dem Vatikan selbst geprüft und entschieden werden.

Kommt es zu einer solchen Anerkennung, etwa einer Marienerscheinung und deren Botschaften, so ist meist von „Privatoffenbarungen“ die Rede, angesichts derer es den Gläubigen freigestellt wird, daran zu glauben. Die bekanntesten Marienwunder und -erscheinungen ereigneten sich 1858 im französischen Lourdes, 1917 im portugiesischen Fatima oder 1981 in Medjugorie in Bosnien-Herzegowina. Auch in Deutschland sind Marienerscheinungen bekannt, so etwa 1876/1877 im saarländischen Marpingen oder im bayerischen Heroldsbach Ende der 1940-er Jahre.

Anhand der neuen Vorgaben gibt es nun sechs mögliche Urteile zu angeblich religiösen Wundern wie u.a. Marienerscheinungen und Offenbarungen. Das Dokument stellt zudem klar, „dass auf ordentlichem Wege keine positive Anerkennung des göttlichen Ursprungs mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene durch die kirchliche Autorität zu erwarten ist“. Deshalb werden „weder der Diözesanbischof noch die Bischofskonferenzen, noch das Dikasterium in der Regel erklären, dass diese Phänomene übernatürlichen Ursprungs sind“. Dies kann zukünftig nur der Papst selbst, in dem er ein diesbezügliches Verfahren genehmigt.

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Grund für die neue und deutliche Zurückhaltung des Vatikans sei der Umstand, dass es in vielen Fällen der letzten Jahrzehnte, in denen „etwa der Ortsbischof sehr schnell die Übernatürlichkeit eines Phänomens erklärte, das Heilige Offizium dann aber zu anders akzentuierten Urteilen kam. Oder Fälle, in denen sich zum selben Phänomen ein Bischof auf die eine Weise, sein Nachfolger hingegen auf die entgegengesetzte Weise äußerte. Ein weiterer Grund sind die langen Zeiträume, die nötig sind, um alle Elemente zu bewerten und zu einer Entscheidung über die Übernatürlichkeit oder Nicht-Natürlichkeit eines Phänomens zu gelangen. Zeiträume, die manchmal mit der Dringlichkeit kollidieren, pastorale Antworten zum Wohle der Gläubigen zu geben.“ (…) In einer Hinführung erläutert Kardinalpräfekt Víctor Manuel Fernández: „Oft haben diese Ereignisse einen großen Reichtum an geistlichen Früchten, an Wachstum im Glauben, an Frömmigkeit und Geschwisterlichkeit und Dienstbereitschaft hervorgebracht, und in einigen Fällen sind dadurch verschiedene Wallfahrtsorte über die ganze Welt verstreut entstanden, die heute zu einem Kernteil der Volksfrömmigkeit vieler Völker geworden sind.“

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Zugleich habe es aber auch Fälle von Ereignissen mutmaßlich übernatürlicher Erscheinungen gegeben,  die sich zum Schaden der Gläubigen auswirkten. Etwa, wenn solche mutmaßlichen Phänomene „zur Erlangung von Profit, Macht, Ruhm, sozialer Berühmtheit, persönlichen Interessen“ dienten. Oder sogar „als Mittel oder Vorwand, um Menschen zu beherrschen oder Missbrauch zu begehen“. Außerdem könne es „bei solchen Ereignissen zu Irrtümern in der Glaubenslehre, zu einer unangemessenen Verkürzung der Botschaft des Evangeliums, zur Verbreitung eines sektiererischen Geistes usw. kommen“.

Die nun definierten sechs möglich Einordnungen des Vatikans lauten wie folgt:

Nihil Obstat (lat. für „es steht nichts entgegen“): Keine Gewissheit über die übernatürliche Echtheit, aber doch Anzeichen für ein Wirken des Heiligen Geistes.

Prae oculis habeatur (Es sollte bedacht werden): Wichtige positive Zeichen, aber auch Elemente der Verwirrung oder mögliche Risiken, die eine sorgfältige Entscheidung und Dialog mit den Empfängern (z.B. Sehern) bestimmter geistlicher Erfahrungen erfordern.

Curatur (Es sei dafür gesorgt): Kritische Elemente, aber eine weite Verbreitung des Phänomens mit nachweisbaren geistlichen Früchten. Von einem Verbot, das die Gläubigen verwirren könnte, wird abgeraten, aber der Bischof wird aufgefordert, das Phänomen nicht zu fördern.

Sub mandato (Untermandat): Kritische Punkte, die sich nicht auf das Phänomen selbst beziehen, sondern auf den Missbrauch durch Einzelne oder Gruppen. Der Heilige Stuhl betraut den Bischof oder einen Delegierten mit der pastoralen Leitung des Ortes.

Prohibetur et obstruatur (Es ist verboten von behindert): Trotz einiger positiver Elemente sind die kritischen Aspekte und Risiken schwerwiegend. Der Bischof soll öffentlich erklären, dass das Festhalten an diesem Phänomen nicht zulässig ist.

Declaratio de non supernaturalitate (Die Erklärung, dass etwas nicht übernatürlich ist): Der Bischof wird ermächtigt, auf der Grundlage konkreter Beweise zu erklären, dass das Phänomen nicht als übernatürlich zu betrachten ist.

– Den vollständigen und originalen Wortlaut des Glaubensdikasteriums in deutscher Sprache finden Sie HIER
– Die vorigen Normen von 1978 finden Sie u.a. HIER

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Recherchequellen: vatican.va, vaticannews.com, eigene Recherchen grenzwissenschaft-aktuell.de

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