Vatikan kündigt neue Richtlinien für die Beurteilung von Marienerscheinungen und anderer übernatürlicher Phänomene an

Die Mariengrotte in Lourdes, Frankreich. Copyright: José Luiz Bernardes Ribeiro (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 3.0
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Die Mariengrotte in Lourdes, Frankreich.Copyright: José Luiz Bernardes Ribeiro (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 3.0

Die Mariengrotte in Lourdes, Frankreich.
Copyright: José Luiz Bernardes Ribeiro (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 3.0

Vatikan-Stadt (Vatikan) – Für den 17. Mai 2024 hat der Vatikan die Veröffentlichung neuer Richtlinien für die Beurteilung von Marienerscheinungen und anderer übernatürlicher Phänomene angekündigt.

Wie das vatikanische Presseamt berichtet, werden die „neuen Normen des Dikasteriums für die Glaubenslehre“ am 17. Mai um 12:00 Uhr zunächst auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben.

Die Pressekonferenz wird live auf dem Vatikan-Nachrichten-Youtube-Kanal gestreamt.

Schon zuvor hatte der vatikanische Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Kardinal Manuel Fernández, bestätigt, dass man ein „neuer Text mit klaren Richtlinien und Normen für die Unterscheidung von Erscheinungen und anderen Phänomenen“ erarbeitet werde.

Hintergrund
Die katholische Kirche untersucht seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts Berichte von religiösen Erscheinungen, vornehmlich der Jungfrau Maria, die meist auch mit Botschaften an die Menschheit einhergehen. Neben diesen „Marienerscheinungen“ gibt es auch andere Arten religiösen Erscheinungen und „Wunder“ – etwa angeblich Tränen oder auch Blut weinender Statuen oder auch sog. Blutwunder, wenn sich jahrhundertealte Blutreliquien an bestimmten Feiertagen zu verflüssigen scheinen. Meist sorgen derartige Berichte und Ereignisse für Wallfahrten und es entstehen nicht selten Wallfahrtsorte, die jedoch nur selten auch offiziell von der katholischen Kirche anerkannt werden.

In der Regel werden die Behauptungen zu religiösen Wundern von einer vatikanischen Kommission untersucht, die am Ende ihrer Untersuchungen eine Empfehlung ausspricht, die dann vom zuständigen Ortsbischof oder dem Vatikan selbst geprüft und entschieden werden.

Kommt es zu einer solchen Anerkennung, etwa einer Marienerscheinung und deren Botschaften, so ist meist von „Privatoffenbarungen“ die Rede, angesichts derer es den Gläubigen freigestellt wird, daran zu glauben. Die bekanntesten Marienwunder und -erscheinungen ereigneten sich 1858 im französischen Lourdes, 1917 im portugiesischen Fatima oder 1981 in Medjugorie in Bosnien-Herzegowina. Auch in Deutschland sind Marienerscheinungen bekannt, so etwa 1876/1877 im saarländischen Marpingen oder im bayerischen Heroldsbach Ende der 1940-er Jahre.

Die Neufassung der päpstlichen Anordnungen zum Umgang mit Marienerscheinungen folgt offenbar der Einrichtung des „Internationalen Observatorium für Erscheinungen und mystische Phänomene“ an der päpstlichen Akademie „Pontificia Academia Mariana Internationalis“ (PAMI) im vergangenen Jahr, die „die Untersuchung, Authentifizierung und korrekte Verbreitung solcher Ereignisse (…) in Übereinstimmung mit dem kirchlichen Lehramt, den zuständigen Behörden und den geltenden Normen des Heiligen Stuhls zu diesem Thema“ fördern soll (…GreWi berichtete).

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Laut PAMI-Präsident Pater Stefano Cecchin werde die Beobachtungsstelle mit Experten und Forschern sowie hochrangigen Persönlichkeiten aus dem wissenschaftlichen Bereich sowie mit kirchlichen Behörden zusammenarbeiten. Die Arbeit des OIA sei nicht zuletzt deshalb so wichtig, da „angebliche Botschaften oft Verwirrung stiften und ängstliche apokalyptische Szenarien oder sogar Anschuldigungen gegen den Papst und die Kirche verbreiten“. Dies allein sei natürlich schon ein grundsätzlicher Widerspruch an sich. Außerdem sei es laut Cecchin wichtig, „Unterstützung bei der Ausbildung zu leisten, da der Umgang mit bestimmten Fällen eine angemessene Vorbereitung erfordere“. Die Beobachtungsstelle werde zudem „nationale und internationale Kommissionen einsetzen, um Erscheinungen und mystische Phänomene, die in verschiedenen Gebieten der Welt gemeldet werden, zu bewerten und zu untersuchen.“

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Hintergrund
Zuletzt hatte die Glaubenskongregation am 24. Februar 1978 „Normen für die kirchliche Beurteilung von Marien- und sonstigen Erscheinungen sowie Privatoffenbarungen“ festgelegt. Diese wurde jedoch erst 2012 (!) veröffentlicht (…GreWi berichtete).

Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher Erscheinungen und Offenbarungen

Vorbemerkung zur Entstehung und zum Charakter der Normen
Auf der jährlichen Vollversammlung im November 1974 haben die Väter dieser Hl. Kongregation die Probleme bezüglich mutmaßlicher Erscheinungen und häufig damit verbundener Offenbarungen untersucht. Sie sind zu folgenden Ergebnissen gekommen:

1. Dank der Kommunikationsmittel (Massenmedien) verbreiten sich heute Nachrichten über solche Erscheinungen schneller unter den Gläubigen als in früheren Zeiten. Darüber hinaus begünstigt und vervielfacht die heutige Mobilität Pilgerfahrten, so dass die kirchliche Autorität sich zur genannten Sache äußern muss.

2. Andererseits machen es die heutige Mentalität und die Notwendigkeit einer kritischen wissenschaftlichen Untersuchung schwieriger, wenn nicht fast unmöglich, mit der gebotenen Schnelligkeit jenes Urteil zu fällen, das in der Vergangenheit die Untersuchungen zur Sache abgeschlossen hat (constat de supernaturalitate, non constat de supernaturalitate) und den Ordinarien die Möglichkeit bot, den öffentlichen Kult oder andere Formen der Verehrung durch die Gläubigen zu gestatten oder zu verbieten.

Aus den genannten Gründen und damit die Verehrung durch die Gläubigen, die durch solche Geschehnisse hervorgerufen wird, sich in voller Übereinstimmung mit der Kirche entfalten und Frucht tragen kann, woran die Kirche selbst in Zukunft den wahren Charakter dieser Phänomene erkennen kann, haben die Väter beschlossen, dass in diesem Bereich das folgende Verfahren Anwendung findet.

Sobald die kirchliche Autorität über irgendwelche mutmaßlichen Erscheinungen oder Offenbarungen Kenntnis erhält, ist es ihre Aufgabe:

a) an Hand der positiven und negativen Kriterien über die Geschehnisse zu urteilen (vgl. unten Nr. I)

b) sofern diese Prüfung zu einem positiven Ergebnis führt, einige Ausdrucksformen des öffentlichen Kultes oder der Verehrung zu erlauben, wobei diese zugleich weiterhin mit großer Klugheit überwacht werden müssen (dies ist gleichbedeutend mit der Formel „pro nunc nihil obstare“);

c) im Licht der mit der Zeit gewonnenen Erfahrung und unter besonderer Berücksichtigung der geistlichen Fruchtbarkeit, die aus der neuen Verehrung hervorgeht ein Urteil über die Wahrheit und Übernatürlichkeit zu fällen, wo der Fall es erfordert.

I. Kriterien, um wenigstens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den Charakter mutmaßlicher Erscheinungen und Offenbarungen beurteilen zu können

A) Positive Kriterien:

a) Eine durch genaue Untersuchungen gewonnene moralische Gewissheit oder wenigstens große Wahrscheinlichkeit über die Wirklichkeit des Ereignisses.

b) Besondere Umstände bezüglich der Wirklichkeit und der Natur des Geschehenen, wie etwa:

1. persönliche Eigenschaften des oder der Betroffenen (insbesondere psychische Ausgeglichenheit; Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit im sittlichen Lebenswandel; Aufrichtigkeit und beständige Folgsamkeit gegenüber der kirchlichen Autorität; die Fähigkeit, zu gewöhnlichen Ausdrucksformen des Glaubenslebens zurückzukehren; usw.);

2. bezüglich der Offenbarungen: Wahrheit und Irrtumslosigkeit der theologischen und geistlichen Lehre;

3. eine gesunde Verehrung sowie reichliche und anhaltende geistliche Früchte (wie etwa Geist des Gebetes, Bekehrungen, Zeugnisse der Nächstenliebe, usw.).

B) Negative Kriterien:

a) Ein offensichtlicher Tatsachenirrtum.

b) Lehrmäßige Irrtümer, die Gott selbst, der allerseligsten Jungfrau Maria oder einem Heiligen in ihren Äußerungen zugeschrieben werden, wobei man allerdings die Möglichkeit berücksichtigen muss, dass die Person – möglicherweise unbewusst – zu einer authentischen übernatürlichen Offenbarung rein menschliche Elemente oder gar irgendwelche Irrtümer der natürlichen Ordnung hinzugefügt haben könnte (vgl. hl. Ignatius, Exerzitienbuch, Nr. 336).

c) Ein offensichtliches Gewinnstreben, das unmittelbar mit dem Geschehen verbunden ist.

d) Schwer unmoralische Handlungen, die zum Zeitpunkt oder anlässlich des Geschehens entweder von der betreffenden Person oder von ihren Anhängern begannen wurden.

e) Psychische Erkrankungen oder psychopathische Tendenzen der Person, die mit Sicherheit einen Einfluss auf das mutmaßlich übernatürliche Geschehen ausübten, sowie Psychosen, Massenhysterien oder ähnliche derartige Phänomene.

Es muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass diese positiven und negativen Kriterien indikativen und nicht taxativen Charakter haben und in kumulativer Weise bzw. in einer gewissen wechselseitigen Konvergenz angewandt werden müssen.

II. Über die Art des Eingriffs der zuständigen kirchlichen Autorität

1. Falls im Zusammenhang mit einem mutmaßlich übernatürlichen Ereignis unter den Gläubigen gleichsam spontan ein Kult oder eine andere Form der Verehrung entsteht, ist es eine dringende Aufgabe der zuständigen kirchlichen Autorität, sich unverzüglich zu informieren und mit Umsicht eine Untersuchung durchzuführen.

2. Auf die legitime Bitte von Gläubigen hin (d. h. von solchen, die in Gemeinschaft mit den Hirten stehen und nicht von sektiererischem Geist getrieben werden) kann die zuständige kirchliche Autorität eingreifen und bestimmte Formen des Kultes oder der Verehrung erlauben und fördern, sofern dem unter Beachtung der oben genannten Kriterien nichts entgegen steht. Es muss dabei aber darauf geachtet werden, dass die Gläubigen diese Handlungsweise nicht als eine Anerkennung des übernatürlichen Charakters des Geschehens durch die Kirche missverstehen (vgl. Vorbemerkung, c).

3. Aufgrund des ihr eigenen Lehr- und Hirtenamtes kann die zuständige kirchliche Autorität auch aus eigenem Antrieb einschreiten. Unter besonderen Umständen muss sie dies sogar tun, zum Beispiel um Missbräuche in der Ausübung des Kultes oder der Verehrung zu korrigieren bzw. zu verhindern, um Irrlehren zu verurteilen, um die Gefahren eines falschen oder unangebrachten Mystizismus zurückzuweisen, usw.

4. In Zweifelsfällen, die das Wohl der Kirche in keiner Weise gefährden, soll sich die zuständige kirchliche Autorität jedes Urteils und jedes direkten Eingriffs enthalten (denn es kann auch passieren, dass im Laufe der Zeit ein Geschehen mit mutmaßlich übernatürlichem Charakter wieder in Vergessenheit gerät). Sie darf aber nicht nachlassen, wachsam zu bleiben, damit sie, wenn erforderlich, schnell und klug eingreifen kann.

III. Die zum Einschreiten zuständigen Autoritäten

1. Die Aufgabe zu wachen und einzuschreiten kommt in erster Linie dem Ortsordinarius zu.

2. Die regionale oder nationale Bischofskonferenz kann einschreiten:

a) wenn der Ortordinarius das Seine getan hat und sich an die Konferenz wendet, um ein sichereres Urteil über die Sache zu erlangen.

b) wenn das Geschehen schon die Nation oder Region betrifft, freilich immer mit der vorgängigen Zustimmung des Ortsordinarius.

3. Der Apostolische Stuhl kann sowohl auf Bitten des Ordinarius selbst oder einer qualifizierten Gruppe von Gläubigen als auch direkt auf Grund der universalen Jurisdiktion des Papstes eingreifen (vgl. unten Nr. IV).

IV. Das Einschreiten der Hl. Kongregation für die Glaubenslehre

1. a) Das Einschreiten der Hl. Kongregation kann sowohl vom Ordinarius, nachdem er das Seine getan hat, als auch von einer qualifizierten Gruppe von Gläubigen erbeten werden. Im zweiten Fall ist darauf zu achten, dass das Ansuchen bei der Hl. Kongregation nicht durch zweifelhafte Gründe motiviert ist (wie zum Beispiel der Wunsch, den Ordinarius zur Abänderung seiner rechtmäßig getroffenen Entscheidungen zu zwingen oder einer sektiererischen Gruppe Anerkennung zu verschaffen, usw.).

b) Es ist Aufgabe der Hl. Kongregation, bei schwierigeren Fällen, besonders wenn die Sache einen größeren Teil der Kirche betrifft, aus eigenem Antrieb einzugreifen, stets nachdem der Ordinarius und, wenn es die Situation erfordert, auch die Bischofskonferenz gehört wurde.

2. Es kommt der Hl. Kongregation zu, die Vorgangsweise des Ordinarius zu prüfen und zu billigen oder, wo dies möglich und angeraten erscheint, eine neue Untersuchung der Sache, die sich von der durch den Ordinarius durchgeführten unterscheidet, einzuleiten, sei es durch die Kongregation selbst oder durch eine Sonderkommission.

Die vorliegenden Normen sind in der Vollversammlung dieser Hl. Kongregation beschlossen und von Papst Paul VI., feliciter regnans, am 24. Februar 1978 approbiert worden.

Rom, am Sitz der Hl. Kongregation für die Glaubenslehre, am 25. Februar 1978.
Franjo Kardinal Seper
Präfekt
+ Jérôme Hamer, O.P.
Sekretär

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Recherchequellen: Vatican.ca, eigenen Recherchen grenzwissenschaft-aktuell.de

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