Zürich (Schweiz) – Vor einem Jahr sorgten zwei Wissenschaftler mit einer neuen Erklärung für das „Unglück am Djatlow-Pass“, bei dem im Februar 1959 neun Schneewanderer im nördlichen russischen Ural auf bislang mysteriöse Weise ums Leben kamen, international ebenso für Aufsehen wie für Kontroversen – machten sie doch eine ungewöhnliche Form von Lawinenabgang für die Ereignisse verantwortlich. Weitere Expeditionen zum Ort des Geschehens bestätigen nun dieses Szenario.
Im Januar 2021 hatten der Leiter des Labors für Schnee- und Lawinensimulation (Snow and Avalanche Simulation Laboratory, SLAB) und Gastwissenschafter am Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), Professor Gaume und Dr. Alexander Puzrin, Professor und stellvertretender Leiter des Instituts für Geotechnik der ETH Zürich im Nature-Fachjournal „Communications Earth & Environment“ (DOI: 10.1038/s43247-020-00081-8) das Ergebnis von Modellberechnungen vorgelegt und geschlussfolgert, dass vermutlich eine seltene Art von kleinen Schneebrettlawinen indirekt zum Tod der Mitglieder der Ski-Expedition im Uralgebirge geführt hatte (…GreWi berichtete).
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Hintergrund
Nachdem die Gruppe auch bis zum 20. Februar 1959 von ihrer Tour nicht zurückgekehrt war, begab sich eine Gruppe von freiwilligen Studenten und Lehrern – später auch mit Unterstützung von Armee und Miliz mit Flugzeugen und Hubschraubern – auf die Suche nach den Vermissten.Am 26. Februar erreichten die Rettungsteams das verlassene Camp der Gruppe. Das Zelt der Skiwanderer war stark beschädigt. Eine Spur von Fußabdrücken führte hangabwärts zur Grenze eines nahegelegenen Waldes, an dessen Rand der Suchtrupp die Überreste eines Feuers sowie die ersten beiden Leichen entdeckten. Beide waren barfuß und nur mit Unterwäsche bekleidet. In wenigen hundert Metern Entfernung fanden sich dann auch drei weitere Leichen. Die Leichen der restlichen Mitglieder der Gruppe wurden erst zwei Monate später unter meterhohem Schnee entdeckt.
Untersuchungen der Todesfälle kamen damals zu dem Ergebnis, dass die Wanderer ihr Zelt von innen heraus aufgeschlitzt, dieses barfuß und nur leicht bekleidet verlassen hatten. An den Leichen fanden sich keine Anzeichen eines Kampfes. Dennoch wiesen zwei Opfer Schädelbrüche auf, zwei andere hatten gebrochene Rippen, und einem weiblichen Opfer fehlte sogar die Zunge. Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Kleider radioaktiv verseucht waren, während eine Quelle dieser Strahlung vor Ort nicht ausgemacht werden konnte. Zudem berichteten Angehörige, allerdings erst nach den Beerdigungen, dass die Haut der jungen Opfer tief gebräunt ausgesehen habe und die Haare komplett grau gewesen seien. Aufgrund dieser und anderer Merkwürdigkeiten rankten sich seither eine Vielzahl von Erklärungstheorien um das Unglück – angefangen von einem Angriff eines Yetis oder von Aliens bis hin zu geheimen Militärexperimenten…
Sowjetische Untersucher legten sich abschließend nur darauf fest, dass “höhere Gewalt” zum Tod der neun Wanderer führte. Der Zugang zu dem Gebiet wurde für drei Jahre nach dem Unglück gesperrt.
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Jetzt haben die beiden Wissenschaftler in einem Folgeartikel ebenfalls in „Nature Communications Earth & Environment“ (DOI: 10.1038/s43247-022-00393-x) die Auswirkungen ihrer Forschungsergebnisse in Wissenschaft und Medien, sowie die Ergebnisse dreier Folgeexpeditionen zum Djatlow-Pass beschrieben, die ihre Theorie der Schneebrettlawine untermauern.
Einer der Hauptkritikpunkte als Reaktion auf den Erstartikel war die Vermutung einiger Kritiker, dass der Hang am Djatlow-Pass nicht steil genug gewesen sei, um eine Lawine auszulösen. Drei weitere Expeditionen zum Djatlow-Pass, die zusammen mit unabhängigen Untersuchungen russischer Schnee- und Klimawissenschaftler die Lawinenmodellierung von Gaume und Puzrin organisiert wurden, liefern nun neuste Erkenntnisse. Diese stützen die Lawinen-Theorie nicht zuletzt anhand von mit Drohnen angefertigter Geländemodelle (s. Grafik. o.) und zeigen, dass die Region sogar stark lawinengefährdet ist und die Hänge am Djatlow-Pass auch steil genug sind, um die beschriebenen Schneebrettlawinen auszulösen.
WEITERE MELDUNGEN ZUM THEMA
Neue Computermodelle stützen Lawinen-Erklärung für das „Unglück am Djatlow-Pass“ 29. Januar 2021
Staatsanwalt präsentiert Erklärung für Djatlow-Pass-Unglück 12. Juli 2020
60. Jahrestag: Russische Behörden rollen Djatlow-Pass-Unglück neu auf 4. Februar 2019
Recherchequelle: ETH Zürich, eigenen Recherchen grenzwissenschaft-aktuell.de
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