Weitere Studie weckt Zweifel an gleichmäßiger Ausdehnung des Universums
Bonn (Deutschland) – Überall im Weltall herrschen dieselben Regeln der Physik: Diese Vorstellung ist die Grundlage zahlloser Berechnungen der Astrophysik. Eine aktuelle Studie der Universitäten Bonn und Harvard stellt diese Grundthese fundamentales Prinzip der Kosmologie nun jedoch nun in Frage. „Sollten sich die Messwerte bestätigen, würde das viele Annahmen zu den Eigenschaften des Universums über den Haufen werfen“, so die Forscher.
Seit dem Urknall, so die derzeit geltende Lehrmeinung, dehnt sich das Universum immer weiter aus. Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, dass diese Ausdehnung in alle Richtungen stets gleichmäßig erfolgte. Astrophysiker sprechen hier auch von „Isotropie“.
Viele Berechnungen zu fundamentalen Eigenschaften des Universums basieren auf dieser Annahme. „Möglicherweise sind sie alle falsch – oder wenigstens ungenau.“ Zu diesem Schluss kommen die Astrophysiker um Konstantinos Nikolaos Migkas vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn gemeinsam mit Kollegen um FFF von der Harvard University in ihrer aktuell im Fachjournal „Astronomy & Astrophysics“ (DOI: 10.1051/0004-6361/201936602) veröffentlichten Studie.
Darin haben die Wissenschaftler die Isotropie-Hypothese erstmals mit einer neuartigen Methode auf den Prüfstand gestellt, die deutlich verlässlichere Aussagen erlaubt als bislang. Das Ergebnis war und ist allerdings selbst für die Autoren unerwartet: „Manche Gebiete im All dehnen sich sehr viel schneller aus als sie eigentlich sollten, andere dagegen weitaus langsamer.“
In ihrer Studie haben Migkas und Kollegen einen neuen, effizienten Isotropietest entwickelt. Dieser basiert auf der Beobachtung von Galaxienhaufen. Diese auch als Cluster bezeichneten Haufen geben Röntgenstrahlung ab, die außerhalb der Erdatmosphäre aufgefangen werden kann, etwa mit den hierzu genutzten Satelliten-Röntgenteleskopen „Chandra“ und „XMM-Newton“.
„Anhand bestimmter Merkmale der Strahlung lässt sich die Temperatur der Galaxienhaufen berechnen. Und auch ihre Helligkeit: je heißer sie sind, desto gleißender leuchten sie“, erläutert die Pressemitteilung der Bonner Universität und führt dazu weiter aus: „In einem isotropen Universum gilt eine einfache Regel: Je weiter ein Himmelsobjekt von uns entfernt ist, desto schneller bewegt es sich von uns weg. Aus seiner Geschwindigkeit kann man daher exakt auf seine Entfernung schließen, und zwar unabhängig von der Richtung, in der das Objekt liegt – so dachte man zumindest bislang.“
„Tatsächlich ist es aber so, dass unsere Leuchtkraft-Messungen den Ergebnissen dieser Entfernungsberechnung oft widersprechen“, betont Migkas. „Denn mit zunehmender Distanz sinkt die Lichtmenge, die auf der Erde ankommt. Wer die ursprüngliche Leuchtkraft eines Himmelskörpers und seine Entfernung kennt, weiß also, wie hell er im Teleskopbild aufleuchten sollte.“
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Tatsächlich sind die Wissenschaftler nun genau an diesem Punkt auf Diskrepanzen gestoßen, die sich mit der Isotropie-Hypothese nur schwer vereinbaren lassen: „Manche Galaxienhaufen strahlten demnach viel schwächer, als zu erwarten gewesen wäre. Ihre Distanz zur Erde ist demnach vermutlich deutlich größer, als anhand ihrer Geschwindigkeit berechnet. Bei anderen verhielt es sich dagegen gerade umgekehrt.“
Für diese Beobachtung gibt es, laut den Forschern, nur drei mögliche Erklärungen:
„Zum einen ist es möglich, dass die Röntgenstrahlung, deren Intensität wir gemessen haben, auf dem Weg von den Galaxienhaufen zur Erde abgeschwächt wird. Dafür könnten zum Beispiel noch unentdeckte Gas- oder Staubwolken innerhalb oder außerhalb der Milchstraße verantwortlich sein. In vorläufigen Tests finden wir diese Diskrepanz zwischen Messung und Theorie aber nicht nur bei Röntgenstrahlung, sondern auch bei anderen Wellenlängen. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass irgendein Materienebel völlig verschiedene Strahlungstypen in gleicher Weise absorbiert. Genauer werden wir es allerdings erst in einigen Monaten wissen.
Eine zweite Möglichkeit sind so genannte ‚Bulk Flows‘. Dabei handelt es sich um Gruppen benachbarter Galaxienhaufen, die sich durchgehend in eine bestimmte Richtung bewegen – beispielsweise aufgrund irgendwelcher Strukturen im All, von denen starke Gravitationskräfte ausgehen. Diese würden die Galaxienhaufen daher zu sich ziehen und so ihre Geschwindigkeit (und damit auch ihre daraus abgeleitete Distanz) verändern. Auch dieser Effekt würde bedeuten, dass viele Berechnungen zu den Eigenschaften des lokalen Universums sehr ungenau wären und wiederholt werden müssten.
Die dritte Möglichkeit ist die gravierendste: Was ist, wenn das Universum gar nicht isotrop ist? Wenn es sich an manchen Stellen rasch ausbeult, während es in anderen Regionen kaum wächst? Eine solche Anisotropie könnte zum Beispiel durch die Eigenschaften der rätselhaften ‚Dunklen Energie‘ zustande kommen, die wie ein zusätzlicher Treibsatz für die Expansion des Universums wirkt.“
Noch fehle allerdings eine Theorie, die das Verhalten der Dunklen Energie mit den Beobachtungen in Übereinklang bringt: „Wenn es uns gelingt, eine solche Theorie zu entwickeln, könnte das die Suche nach der genauen Natur dieser Energieform enorm beschleunigen“, zeigt sich Migkas zuversichtlich.
Die aktuelle Studie basiert auf den Daten von mehr als 800 Galaxienhaufen. 300 von ihnen wurden von den Autoren selbst analysiert; die restlichen Informationen stammen aus bereits veröffentlichten Untersuchungen. Das neue satelliten-gestützte eROSITA-Röntgenteleskop soll in den nächsten Jahren noch mehrere Tausend weiterer Galaxienhaufen erfassen. Spätestens dann wird sich herausstellen, ob die Isotropie-Hypothese tatsächlich ad Acta gelegt werden muss.
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Quelle: Universität Bonn
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